Vertragspoker um Mohamed Salah

Der erste Zug des Königs

26. Nov 2024, 22:38 Uhr

Auch mit 32 Jahren befindet sich Mohamed Salah in bestechender Form. Die Basis dafür bildet seine Fitness. (Foto: James Marsh / Shutterstock / Imago Images)
Auch mit 32 Jahren befindet sich Mohamed Salah in bestechender Form. Die Basis dafür bildet seine Fitness. (Foto: James Marsh / Shutterstock / Imago Images)

Mohamed Salah beklagt sich öffentlich über ein fehlendes Angebot zur Verlängerung seines zum Saisonende auslaufenden Vertrags beim FC Liverpool. Damit erhöht er den Druck auf den Klub, seinen Erwartungen zu entsprechen. Das Taktieren wirkt wie eine Partie Schach.

Von Sven Haist, Liverpool

Am Sonntag stand Mohamed Salah beim Liverpool Football Club einmal mehr im Mittelpunkt. Zunächst verhalf er seinem Klub mit einem späten Doppelpack zum Liga-Auswärtssieg beim FC Southampton (3:2 nach 1:2-Rückstand). Und dann überraschte er mit einer seltenen Stippvisite in der Interviewzone. Der Reporter James Pearce hielt im Magazin The Athletic fest, dies sei erst Salahs dritte Audienz bei Zeitungsreportern in inzwischen siebeneinhalb Jahren am River Mersey gewesen. Diesmal trat er in eigener Sache auf – es ging um seinen zum Saisonende auslaufenden Vertrag.

Bisher habe er vom Klub kein Angebot zur Fortsetzung der Zusammenarbeit erhalten, monierte Mohamed Salah; er sei enttäuscht und verorte seine Zukunft deshalb gerade „vermutlich mehr weg als hier“. Dabei machte er unverblümt deutlich, eigentlich unbedingt verlängern zu wollen: Er gebe sein Bestes, betonte der 32-Jährige, er verehre die Fans, empfinde Liverpool als einen Verein wie keinen anderen und habe auch nicht vor, seine Laufbahn zeitnah zu beenden. Doch ein Verbleib in Liverpool liege nicht in seinen Händen.

Mit seinen Aussagen löste Salah ein Echo in der Fußballwelt aus

Mit seinen kalkulierten Aussagen hat Mohamed Salah den Druck auf das Liverpooler Management erhöht und in der Fußballwelt ein Echo ausgelöst, das dem nach seinen Toren an der Anfield Road nahe kommt. Seine Situation beherrscht seitdem die Berichterstattung vor dem Spitzenspiel in der Champions League zwischen Liverpool und Real Madrid am Mittwoch; sie überstrahlt selbst die angespannte Lage bei Real, das die Partie wohl gewinnen muss, um die Chance zu wahren, sich als eines der ersten acht Klubs direkt fürs Achtelfinale zu qualifizieren. Salahs Vertragspoker erinnert an seine letzte Zusage 2022, der ebenfalls zähe Verhandlungen vorausgegangen waren. Seinerzeit versuchte der damalige Trainer Jürgen Klopp die Anhänger, deren Lieblingsspieler der Ägypter ist, zu beruhigen: Eine Verlängerung mit Salah sei nichts, wo man sich auf eine Tasse Tee treffe und sich einige, erklärte Klopp. Damit spielte der Deutsche wohl auf die finanziellen Forderungen des Spielers an.

Auch in dieser Saison bestätigt Salah seine Extraklasse

Salahs Wochengehalt soll derzeit 350.000 Pfund betragen, zuzüglich Bonuszahlungen und Bildrechten angeblich eine Million, wie sein Berater im Rahmen einer Studie der Harvard Business School ausplauderte. Es ist anzunehmen, dass sich der Angreifer trotz seines fortgeschrittenen Alters erneut einen mehrjährigen Vertrag mit ähnlicher Vergütung vorstellt. So viel verdienen in England momentan nur Erling Haaland und Kevin De Bruyne, die beide für Manchester City spielen. Das Vorgehen von Salah ließ Liverpool bisher öffentlich unkommentiert. Grundsätzlich verhält sich die hinter dem Verein stehende Investmentfirma Fenway Sports vorsichtig bei teuren Vertragsangelegenheiten – um das Gehaltsgefüge und die Hierarchie im Team nicht zu gefährden. Zumal im Juni 2025 auch die Kontrakte der Schlüsselspieler Virgil van Dijk und Trent Alexander-Arnold enden.

Bei Personalentscheidungen bewies Liverpool zuletzt gutes Gespür

Mit diesen beiden soll der Verein um den neuen Sportdirektor Richard Hughes ebenfalls im Austausch stehen. Zuletzt bewies die Führungsriege ein gutes Gespür bei Personalentscheidungen. So gab Liverpool zum Beispiel einst dem Drängen des Stürmers Sadio Mané nach einer opulenten Gehaltssteigerung nicht nach – und ließ ihn ein Jahr vor Vertragsende für 30 Millionen Euro zum FC Bayern ziehen. Dort kam Mané nicht zurecht und wurde schon nach einer Saison an den saudi-arabischen Klub al-Nassr weiterverkauft.

Allerdings liegt Salahs Wertigkeit höher, er ist gewissermaßen der Totem des Vereins. Er hat die Reds mit 322 Torbeteiligungen in 367 Pflichtspielen zu allen relevanten Titeln im Klubfußball geschossen, darunter den Triumphen in der Champions League 2019 und Premier League 2020. In jeder Saison sind ihm stets mindestens 23 Tore gelungen – eine Konstanz, die in England gleichzeitig nur Tottenhams Harry Kane vor seinem Wechsel zum FC Bayern erreichte. In dieser Saison bestätigt Salah erneut seine starke Form. Der Linksfuß war an mehr als der Hälfte der Pflichtspieltore beteiligt und trug mit zu einem geschmierten Trainerwechsel von Klopp zu Arne Slot bei. Der LFC dominiert sowohl die Premier League als auch die Champions League – als Tabellenführer. Man könne auf Salah immer vertrauen, wenn es im Spiel mal kompliziert werde, lobt Slot.

Salah sei wie ein Judoka, sagt sein Ex-Trainer Heiko Vogel: Er besitze „Weltklasse-Griffe“

Der Offensivspieler ist eine Mischung aus Torjäger und Flügelspieler. Seine Stammposition ist Rechtsaußen und die Spielweise vereint Schnelligkeit mit Spielwitz und Zielstrebigkeit mit Eleganz. Salah sei wie ein Judoka, sagt Heiko Vogel am Telefon, der ihn vor zwölf Jahren auf dessen erster Europa-Station beim FC Basel trainiert hat: Denn dieser verfüge bei seinen Dribblings mit dem linken Fuß quasi über mehrere „Weltklasse-Griffe“, bei denen man als Gegner sofort verloren habe, wenn er einen von ihnen ansetzen könne. Seine Verpflichtung von der AS Roma 2017 für 42 Millionen Euro basierte auf einer Analyse-Software des Klubs, die bei Stürmern die Torwahrscheinlichkeit misst, die sich aus Laufwegen, Pässen und Schüssen ergibt. Ian Graham, Liverpools früherer Datenbeauftragte, berichtete der New York Times, Salah habe „alle Kriterien“ erfüllt.

Die Basis für seine beachtliche Verweildauer in der Weltspitze bilden seine Fitness und sein Charakter. Obwohl er von seinen Konkurrenten in den Zweikämpfen bisweilen hart angegangen wird, fiel er bisher nie lange aus. Die erheblichste Verletzung erlitt er im verlorenen Champions-League-Finale 2018, als er sich die Schulter auskugelte und danach nur eingeschränkt an der WM für Ägypten mitwirken konnte. Damals riss ihn Real-Madrid-Verteidiger Sergio Ramos im Kampfsport-Stil zu Boden. Dem Magazin GQ sagte Salah, er lege Wert auf Stabilisation und Ernährung. Dabei übe er mit Fitnessbändern, weil diese tief in die Muskeln wirkten.

Trotz seines Erfolgs habe sich Mohamed Salah als Mensch nicht verändert, lobt Vogel

Trotz seiner Weltkarriere tritt Salah immerzu ohne Allüren auf. Davor, dass er „so bodenständig, pflegeleicht und authentisch geblieben“ sei, könne er nur den Hut ziehen, sagt Vogel. Im Vergleich zur Zeit in Basel habe sich Salah „als Mensch nicht verändert“. Sinnbildlich dafür steht Vogels erste Begegnung mit Salah. Mit seiner „völligen Neugier und Offenheit in den Augen“ habe ihn dieser umgehend beeindruckt, berichtet der frühere Nachwuchsleiter und -trainer des FC Bayern. Dies sei keinesfalls selbstverständlich gewesen, weil sich Salah schon damals in seiner Heimat „auf dem Weg zum Star befunden“ hätte. Sein Durchbruch gelang ihm seinerzeit mit dem ägyptischen U-23-Team in einem Testmatch gegen Basel vor den Olympischen Spiele 2012. Er schoss nach seiner Einwechslung zwei Tore – woraufhin ihn die Schweizer umgehend einstellten.

Nun ist der FC Liverpool am Zug

Für seine Landsleute ist Mohamed Salah ein Vorbild. Auf ihn scheinn sie sich in Ägypten als gemeinsamen Nenner verständigen zu können. Das liegt wahrscheinlich auch daran, dass er sich nur selten öffentlich äußert und eigentlich nie kontrovers. Auch die Leute in Liverpool verehren ihn – als „ägyptischen König“. Sie hoffen, dass er über die Saison hinaus das Trikot des Klubs trägt. Auch Vogel wünscht sich das: Salah sei ein „einzigartiger Spieler, der seinen Zenit noch nicht erreicht hat“, glaubt er. Bei seinem Vertragsupdate erwähnte Salah auch, „so lange wie möglich auf Topniveau spielen“ zu wollen. Dabei wischte er die Gerüchte über einen Abschied nach Saudi-Arabien erst mal beiseite, er wolle darüber nicht sprechen, sagte er.

Das Taktieren zwischen Mohamed Salah und Liverpool gleicht einer Partie Schach, dem Lieblingshobby des Fußballers. Nach Salahs Vorpreschen ist nun der FC Liverpool am Zug.

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