Gary Linekers Abschied von der BBC
Meinungsmachender Moderator
08. Juni 2025, 15:14 Uhr

Gary Linkeker hat die Sportberichterstattung als Anchorman der BBC 26 Jahre geprägt, aber zuletzt mit umstrittenen politischen Posts immer wieder polarisiert: Über einen Moderator, der auf seinen letzten Metern zum Meinungsmacher geworden ist.
In 26 Jahren «Match of the Day»-Fussballsendung mit dem Moderator Gary Lineker in der BBC hat sich allerhand Erinnerungswürdiges zugetragen – auch der vor einer Woche verkündete Abgang des Sendungsgesichts gehört dazu. «I will see you all on Sunday», hauchte Lineker im Schlusssatz seines Rücktrittsvideos: Ich werde euch heute Sonntag alle zum letzten Mal sehen. Er wirkte erleichtert. Nicht darüber, dass er aufhört, sondern, dass er noch einen versöhnlichen Abschlusseinsatz bei Match of the Day erhält, das er seit 1999 ohne Unterbrechung moderiert.
Denn unlängst hatte Lineker einen umstrittenen und mit antisemitischen Motiven versehenen Beitrag («Zionismus erklärt in zwei Minuten» der Gruppe «Palestine Lobby») auf Instagram geteilt, der gegen die politischen Leitlinien der Rundfunkanstalt verstossen hatte. Zwar entfernte Lineker den Post wieder, beteuerte, die antisemitische Konnotation eines Ratten-Emojis im Titel nicht gesehen zu haben, und entschuldigte sich umfangreich – aber seinen sofortigen Rückzug von der Berichterstattung des Senders hatte das trotzdem praktisch unausweichlich gemacht.
Anders als vor zwei Jahren richtete sich die öffentliche Meinung gegen Lineker
Nach dem Vorfall wartete das BBC-Management ab. Der Generaldirektor des Senders, Tim Davie, wies lediglich allgemeingültig darauf hin, dass Fehler Einzelner zulasten der Reputation des ganzen Senders gingen. Währenddessen richtete sich die Stimmung im Land mit jedem Tag mehr gegen Gary Lineker. Der öffentliche Druck erhöhte sich, es wurde die Auflösung der Zusammenarbeit gefordert. Das kam der zum Sparen gezwungenen BBC, die einen Personalumbruch plant, sicher nicht ungelegen. Man hatte bereits vor einem halben Jahr mit Lineker dessen Abschied für nach der Fussball-WM 2026 fixiert. Auch Match of the Day sollte er zu diesem Saisonende abgeben. So einigten sich beide Seiten jetzt darauf, den Schlussstrich vorzuziehen.
Umgekehrt verhielt sich die Situation um Lineker im März 2023. Damals hatte er die rigide Flüchtlingspolitik der britischen Regierung mit der Wortwahl im Nationalsozialismus der dreissiger Jahre verglichen, woraufhin in die BBC vorübergehend suspendierte. Weil sich die Kollegen mit Lineker solidarisierten, fand eine spezielle Match-of-the-Day-Sendung statt – ohne jegliches Personal. Die Fussball-Spielberichte liefen stumm, ohne jeglichen Kommentar. Die Nation stellte sich ebenfalls hinter den beliebten Moderator, sodass ihn die BBC wieder zurückholen musste.
Immer wieder äußerte sich Gary Lineker einseitig zum Israel-Palästina-Konflikt
Lineker hatte die mächtigen Senderchefs düpiert – aber die spektakuläre Volte zu seinen Gunsten, so hatte es den Eindruck, ließ ihn fortan unvorsichtig werden. Er tauschte sein Profilbild in den sozialen Netzwerken aus, das ihn nun mit verschmitztem Gesichtsausdruck neben einem Zitat des Schriftstellers George Orwell zeigte: Freiheit bedeute, wenn überhaupt, das Recht, Menschen zu sagen, was diese nicht hören wollten. Die Orwell-Statue befindet sich vor dem Eingang der BBC-Zentrale in London. Dazu erweiterte Lineker die Betreffzeile seines X-Profils um die Anmerkung, Retweets von ihm stellten «keine Befürwortungen» dar. Es wirkte, als wollte er sich eine eigene Medienwelt in den sozialen Netzwerken gestalten.
In der Realität eckte Lineker fortan immer häufiger mit seinen Aktivitäten an, er äusserte sich über den Fussball hinaus zu diversen relevanten gesellschaftlichen und politischen Themen. Auffällig war dabei sein bisweilen die Lage verzerrendes Mitteilungsbedürfnis im Konflikt zwischen Israel und Palästina. Unlängst fand er in der Zeitung «Telegraph», dass die Spannungen für ein komplexes Thema gehalten würden, er das aber nicht so sehe. Es sei unvermeidlich gewesen, dass die israelische Besatzung massive Probleme verursache – und er fühle mit den Palästinensern, sagte Lineker.
Gary Lineker baute sich seine Bekanntheit über die Reichweite der BBC auf
Seinen Einsatz zu solchen Angelegenheiten will er unter Empathie verstanden wissen. Dazu bemerkte das britische Magazin «Spectator», dass Lineker zu glauben scheine, er spreche «die Wahrheit zur Macht, während er in Wirklichkeit die Macht» sei. Er hat auf den Plattformen X und Instagram zusammengerechnet zehn Millionen Follower. Seit 2014 betreibt er über seine eigene Produktionsfirma «Goalhanger» verschiedene Podcast-Formate und führt selbst durch die Gesprächsreihe «The Rest is Football». Alle von seiner Firma verantworteten Podcasts wiesen im vergangenen Jahr 400 Millionen Downloads auf; nur in den USA gibt es grössere unabhängige Podcast-Produzenten.
Seine Bekanntheit hat der ehemalige englische Nationalstürmer, der nach seiner Laufbahn ins TV-Geschäft gewechselt war, den Fussballmoderationen in der BBC zu verdanken. Als Frontmann des Senders war er über Jahrzehnte vor einem Millionenpublikum bei Welt- und Europameisterschaften im Einsatz, im FA Cup und bei Match of the Day, wo wöchentlich die Spieltaghöhepunkte der Premier League laufen. Dass Lineker nie exklusiv ins Privat- oder Bezahlfernsehen ging, um mehr zu verdienen als sein auf 1,35 Millionen Pfund gekürztes BBC-Spitzengehalt, lag an der Reichweite des Senders.
Lineker biete „Kompetenz gepaar mit Unterhaltung auf lockere Art“, sagt Thomas Hitzlsperger
Trotz des Konkurrenzkampfs auf dieser Position war Lineker bei der BBC als Anchorman gesetzt. Was ihn ausmacht, kann der Ex-Fussballer Thomas Hitzlsperger erläutern, der zu einem erlesenen Kreis gehört, der von Lineker sowohl in Interviews befragt wurde als diesen auch selbst befragte. Im Telefonat mit «Between The Lines» definiert Hitzlsperger dessen Erfolgsfaktoren als «Kompetenz gepaart mit Unterhaltung auf natürlich lockere Art», die für das Publikum leicht konsumierbar sei. Das deutete sich bereits in Linekers erster Sendung an, als er die Zusehenden auf eloquente und mit dem ihm eigenen pfiffigen Charme begrüsste. «Hey, ich sage euch was. Fussball ist wieder da», sprach Lineker im Intro, bevor er den Blick wegrichtete. Dann fragte er selbstironisch: «Taugt das was? Habe ich den Job?»
In ähnlicher Manier absolvierte Lineker seine Sendungen, sie waren von gründlicher Vorbereitung und spontanen Einfällen gleichermassen geprägt. Die grösste Aufmerksamkeit erregte er, als er nach der Meisterschaft seines Lieblingsvereins Leicester City wegen einer verlorenen Wette eine Match-of-the-Day-Ausgabe in Unterhose eröffnen musste. Er stellte scherzhaft doppeldeutig die sich über ihn amüsierenden Alan Shearer und Ian Wright als zwei Experten vor, die «alles abdecken» würden. Er meinte natürlich, dass beide angezogen im Studio sassen.
„Wir sind alle Heuchler“, sagte Gary Lineker mal – auch sein Abschied ist nicht perfekt
Einen wie Lineker könne man nicht kopieren, sondern nur bewundern, sagt Hitzlsperger über dessen Auftreten vor der Kamera. Nebst Begabung hat Lineker auch an seiner Performance gearbeitet und gefeilt, unter anderem habe er regelmässig Sprechtraining genommen, berichtete er mal. Zu hören ist das an seinem Sprechduktus, der Pausensetzung und den interessanten Formulierungen. Zu diesen zählt sein berühmter Ausspruch nach einer Pleite der Engländer gegen Deutschland: «Fussball ist ein einfaches Spiel, bei dem 22 Männer 90 Minuten einem Ball nachjagen – und am Ende immer die Deutschen gewinnen“, sagte der Spieler Lineker damals. Abgesehen von diesem Zitat gefällt Hitzlsperger ein anderes von Lineker besonders gut: «We are all hypocrites». Wir sind alle Heuchler.
Es soll ausdrücken, dass niemand perfekt sei. Das könnte man so auch auf Gary Linekers Rückzug von der BBC anwenden.