Kai Havertz beim FC Arsenal

Kai Havertz ist Arsenals Thermometer

17. Apr 2024, 14:37 Uhr

Kai Havertz (rechts) bejubelt mit Bukayo Saka das Führungstor gegen den FC Bayern im Hinspiel.
(Foto: Dennis Ewert / Imago)
Kai Havertz (rechts) bejubelt mit Bukayo Saka das Führungstor gegen den FC Bayern im Hinspiel. (Foto: Dennis Ewert / Imago)

Vor dem Viertelfinal-Rückspiel gegen den FC Bayern nimmt Kai Havertz beim FC Arsenal eine Schlüsselrolle ein. Der Klub hat seine erfolgreichsten Phasen in dieser Saison immer dann, wenn der Nationalspieler auf Betriebstemperatur ist. Trotzdem wird er unterschätzt – auch weil er die Mannschaft in den Vordergrund stellt.

Von Sven Haist, London

aum ein Spieler spaltet die Meinungen in Englands Fußball in dieser Saison mehr als Kai Havertz. Der Offensivallrounder des FC Arsenal polarisiert fast so sehr wie einst sein deutscher Landsmann Mesut Özil, der das Trikot der Londoner in mehr als 250 Pflichtspielen getragen hatte. Der ehemalige englische Nationalverteidiger Rio Ferdinand etwa sagt, dass er bei seinen Experteneinsätzen im Stadion die Fans immer frage, ob sie sich bei Havertz bereits entschuldigt hätten. “Sie müssen sorry sagen” – denn viele hätten den 24-Jährigen nach seinem 65 Millionen Pfund teuren Transfer vom FC Chelsea im Sommer infrage gestellt.

Das Aufsehen um Kai Havertz ergibt sich, weil er für seine Vereine oft einem Thermometer gleicht. An seiner Formkurve lässt sich erstaunlich präzise ablesen, wie die Saison für Arsenal bisher verlaufen ist – und auch, mit welcher Temperatur sein Klub, die Gunners, an diesem Mittwoch zum Viertelfinal-Rückspiel der Champions League in München auf den FC Bayern treffen.

Sowohl in der Hin- als auch Rückrunde schoss Havertz Arsenal an die Tabellenspitze

Nach Arsenals lauwarmem Saisonstart in der Premier League, als Havertz bis zum siebten Spieltag auf seinen ersten Treffer für den neuen Verein warten musste, zeigte die Temperaturkurve klar nach oben. Der Klub übernahm im Herbst – dank des späten Auswärtssiegtors von Kai Havertz gegen Brentford – für einige Wochen die Tabellenführung. Zum Jahreswechsel waren die Leistungen der Londoner dann eine Weile ähnlich frostig wie die Temperaturen, Matches gingen in Serie verloren, einmal fehlte Havertz gesperrt. Der Guardian kritisierte, der Deutsche bringe “Arsenals Offensivschwäche auf den Punkt”.

Nachdem Trainer Mikel Arteta seiner Mannschaft ein ausgiebiges Wärmetrainingslager in Dubai verordnet hatte, kehrte der Klub im Frühjahr – diesmal auch dank des späten Heimsiegtors von Kai Havertz gegen Brentford – zurück an die Tabellenspitze. In dieser Phase gelangen dem DFB-Nationalspieler fünf Tore und vier Vorlagen in sieben Pflichtspielen. Die Gunners waren, um im Bild zu bleiben, das heißeste Geschoss der Liga – bis das Kanonenrohr im Hinspiel gegen die Bayern (2:2) zu überhitzen schien. Es folgte der Verlust der Tabellenführung im Ligaduell mit Aston Villa am Sonntag, in dem Havertz einige Chancen ausgelassen hatte.

Havertz spielt bei Arsenal immer, nur nicht immer auf derselben Position

Mit welcher Strategie die Gunners nun das Match in München aufnehmen werden, lässt sich abermals an Havertz erkennen. Er spielt bei Arsenal immer, nur nicht immer auf derselben Position. In der Offensivformation agiert er an der Seite von Declan Rice eher defensiv im Mittelfeld, in der defensiven Arsenal-Formation übernimmt er die Rolle des Mittelstürmers. Aufgrund seiner Flexibilität ist der Spieler Kai Havertz für die Zuschauer oft schwer zu greifen.

Dieses Phänomen kann kaum einer besser erklären als Markus von Ahlen, der Havertz als profilierter Nachwuchscoach von Bayer Leverkusen vor Jahren trainiert hatte. Von Ahlen hält Havertz’ Fähigkeiten für “Fluch und Segen” zugleich, weil das “Ich” mit dem “Wir” oft schwer vereinbar sei. Sobald sich ein Spieler über die Maßen ins Gesamtkonzept einbringe, leide darunter das eigene Profil, sagt von Ahlen am Telefon. Und Havertz habe sich “immer über die Mannschaft definiert” und deren Erfolg in den Vordergrund gestellt.

Havertz werde ähnlich unterschätzt wie einst Toni Kroos, findet sein Jugendtrainer

Der 53-Jährige sieht in Havertz’ gegenwärtiger Situation Ähnlichkeiten mit Toni Kroos, dem Mittelfeldstrategen von Real Madrid. Dessen Wert sei auch lange unterschätzt worden. Doch während Kroos in seiner Karriere auf dem Feld eher eine Position nach hinten gerückt ist, habe Havertz einen Schritt nach vorn gemacht, analysiert von Ahlen. In der gemeinsamen Zeit habe Havertz überwiegend im offensiven Mittelfeld agiert und von dort aus seine Teamkollegen in Szene gesetzt. Seine jetzt so häufig diskutierte Torgefahr habe sich Havertz erst nach und nach angeeignet. Die Zahlen bestätigen das: Havertz hat seine Torausbeute schon in der Bundesliga bei Leverkusen stetig gesteigert – und ab 2020 dann auch in der Premier League.

Markus von Ahlen betont die Bedeutung von Havertz für die Defensive

Dennoch wird von Ahlen nicht müde, die Bedeutung von Havertz für die Defensive zu betonen. Dieser habe immer die sehr hohe Bereitschaft besessen, sich bei gegnerischem Ballbesitz in den Dienst der eigenen Mannschaft zu stellen. Eine Spielsituation ist dem Coach dabei noch vor Augen: Im Finale um die B-Junioren-Meisterschaft 2016 sei Havertz energisch in die eigene Hälfte zurück gesprintet und habe dort einen wichtigen Zweikampf gewonnen; just dieses Nachsetzen sei ein entscheidender Impuls für den Sieg gewesen.

Das Teamplay hebt auch sein heutiger Trainer Arteta bei jeder Gelegenheit hervor. Alle würden Havertz bei Arsenal lieben, bekräftigte er – als Spieler und Mensch. Wenn man ihn darum bitte, vorn, rechts, links oder hinten zu spielen, tue er dies klaglos. Es sei “einfach eine Freude”, mit Havertz zu arbeiten. Und das sehen die meisten Fans mittlerweile genauso.

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