Probleme des FC Bayern

Wieder durch die Mitte

15. Feb 2024, 15:35 Uhr

Sowohl Joshua Kimmich (links) als auch Dayot Upamecano (Hintergrund) können Lazios Angreifer Ciro Immobile nicht stoppen. (Foto: Marco Iacobucci / Imago)
Sowohl Joshua Kimmich (links) als auch Dayot Upamecano (Hintergrund) können Lazios Angreifer Ciro Immobile nicht stoppen. (Foto: Marco Iacobucci / Imago)

Lazio Rom legt die Probleme des FC Bayern offen. Den Münchnern mangelt es in der Defensive an Verlässlichkeit und Absicherung – weil es dem Klub nicht gelungen ist, wichtige Abgänge zu ersetzen.

Sven Haist, London

Bernd Leno hat kürzlich den gescheiterten Wechsel seines Mitspielers João Palhinha vom FC Fulham nach München in Erinnerung gerufen. Im vergangenen Sommer hatte Palhinha bereits den Medizincheck beim FC Bayern bestanden, erhielt jedoch am letzten Tag des Transferfensters keine Freigabe von Fulham. Den Londonern war es in der Kürze der Zeit nicht mehr gelungen, einen adäquaten Ersatz für den defensiven Mittelfeldspieler zu beschaffen. Trotzdem sei der Portugiese, der Wunschprofi des Trainers Thomas Tuchel für die aus seiner Sicht unzureichend besetzte Position vor der Abwehr, vom deutschen Rekordmeister „sehr beeindruckt“ gewesen, sagte Leno der Sportbild. Daher könne er sich vorstellen, dass ein Transfer „noch in Joãos Hinterkopf“ sei, sofern der FC Bayern ihn in Zukunft haben möchte. Das Interesse schien zuletzt abzunehmen, die Münchner verfolgten im Winter die Verpflichtung eines Mittelfeldabräumers nicht weiter. Aber das könnte sich bald wieder ändern.

Unbedrängt kann Anderson beim Gegentor durch das Mittelfeld laufen

Vier Tage nach der herben Pleite im Bundesliga-Topspiel gegen Bayer Leverkusen kassierte der FC Bayern am Mittwochabend erneut eine empfindliche Niederlage, diesmal ein 0:1 (0:0) bei Lazio Rom im Achtelfinal-Hinspiel der Champions League. Die ereignisarme Partie, in der die Münchner wie in Leverkusen trotz einigen guten Annäherungen in der ersten Halbzeit keinen Schuss aufs Tor bewerkstelligt hatten, ließ sich auf eine Spielszene verdichten – die Entstehung der roten Karte für Bayern-Innenverteidiger Dayot Upamecano und das folgende Elfmeter-Gegentor durch Lazio-Kapitän Ciro Immobile in der 69. Minute.

Die Pressekonferenz mit Thomas Tuchel nach dem Spiel bei Lazio Rom.

In der gegnerischen Spielhälfte verlor Bayerns Jamal Musiala das Duell gegen Felipe Anderson, der Ball sprang zentral vor die Füße von Danilo Cataldi, dem Spielgestalter der Römer. Trotz dem energischen Nachsetzen von Leroy Sané konnte Cataldi mit einem Steilpass den Konter einleiten – weil der umstehende Joshua Kimmich in seinem Rücken Anderson ziehen ließ. Statt sich nach dem Ballverlust zurückfallen zu lassen, blieb der deutsche Nationalspieler kurz stehen und spekulierte vergeblich darauf, den Pass abzufangen.

„Wir tun uns schwer, Zweikämpfe zu gewinnen, sagt Tuchel

So konnte Anderson den Ball rund 50 Meter über das Spielfeld treiben, ohne attackiert zu werden. Kimmich und Leon Goretzka, der zweite zentrale Mittelfeldspieler der Bayern, rannten ihm zwar hinterher. Aber als sie Anderson am Strafraum eingeholt hatten, schafften es beide mit ihren jeweiligen Tacklings nicht, den nun ballführenden Immobile zu stoppen. Konsterniert fasste Trainer Tuchel zusammen, dass sein Team einen Konter zulasse und diesen trotz Überzahl nicht stoppen könne. Sein alarmierendes Fazit: „Wir tun uns schwer, Zweikämpfe zu gewinnen.“

Auf erstaunlich ähnliche Weise mussten die Bayern auch in den vergangenen Königsklassensaisons entscheidende Gegentore hinnehmen: Immer war es ein Konter, immer ging es durch die Mitte. Nach dem Titelgewinn 2020 erzielte Kylian Mbappé in der Saison 2020/21 aus einem Gegenstoß heraus das richtungsweisende Viertelfinal-Hinspiel-Siegtor in München; in der folgenden Spielzeit gelang Villarreal durch eine Umschaltaktion der entscheidende Ausgleichstreffer im Viertelfinal-Rückspiel; und im vergangenen April war im Duell mit Manchester City ebenfalls das Münchner Zentrum verwaist, als Erling Haaland eine mögliche Aufholjagd mit seinem Tor endgültig zunichtemachte.

Bei beiden Champions-League-Finals hatte Tuchel einen Strategen im Team

Aus diesem Grund drängte Tuchel vor der Saison vehement auf die Anstellung eines überwiegend auf die Abwehr achtenden Mittelfeldstrategen. In seinen erfolgreichsten Trainerspielzeiten, als er 2020 mit PSG und 2021 mit Chelsea nacheinander das Champions-League-Finale erreichte und letzteres gewann, besaß er zwei der spielintelligentesten Profis auf dieser Position: Marquinhos in Paris und Jorginho in Chelsea.

Auch die Bayern hatten bei ihrem bisher letzten Königsklassentriumph einen solchen Profi in ihren Reihen: Thiago Alcántara. Die Wichtigkeit des Spaniers, der damals alle K.o.-Spiele an der Seite von Goretzka im zentralen Mittelfeld absolvierte (Kimmich spielte Rechtsverteidiger), schienen die Bayern jedoch zu unterschätzen. Nach Thiagos anschließenden Wechsel zum FC Liverpool ist seine Rolle nie nachbesetzt worden – und das bekommt der Klub nun regelmäßig auf Spitzenniveau zu spüren.

Alaba und Boateng unterliefen erstaunlich wenig Fehler

Fast identisch wie im defensiven Mittelfeld stellt sich die Situation in der Abwehrmitte da. Gemeinsam bildeten die jahrelangen Schlüsselspieler David Alaba und Jérôme Boateng das Innenverteidiger-Gespann in der Triple-Saison. Die beiden ergänzten sich von ihren Fähigkeiten und ihnen unterliefen kaum folgenreiche Patzer, weder im Spielaufbau noch in der Zweikampfführung. Im Sommer 2021 verließen Alaba und Boateng den Klub, die Münchner holten den spielstarken Dayot Upamecano als Nachfolger von RB Leipzig. Er sollte mit dem schon zwei Jahre zuvor engagierten Lucas Hernández wohl das neue Verteidigerduo bilden.

Doch den beiden mangelte es im Vergleich zu ihren erfolgreichen Vorgängern vor allem an Führungsstärke und Verlässlichkeit. Hernández stand verletzungsbedingt kaum zur Verfügung – und Upamecano leistete sich trotz seiner unübersehbaren Veranlagungen zu viele Fehler in entscheidenden Spielen. Bei der Hinspiel-Niederlage gegen Villarreal 2022 verlor er beim Siegtor seinen Gegenspieler aus den Augen, und ein Jahr später sah er in beiden Manchester-City-Partien nicht gut aus. Mit eklatanten Ballverlusten war er im Hinspiel an Gegentoren beteiligt und rutschte im Rückspiel vor dem Haaland-Treffer als letzter Mann aus. Schon in der ersten Halbzeit hatte er sich mit einer Notbremse eine rote Karte eingehandelt, die wegen Abseits durch den Videoreferee jedoch annulliert wurde.

„Es gab keine Not, so eine Bewegung zu machen“, klagt Tuchel über Upamecano

Und gegen Lazio unterlief Upamecano am Mittwochabend erneut ein Malheur vergleichbarer Kategorie, das Bayern das Weiterkommen ins Viertelfinale kosten könnte. Bei einem unachtsamen Klärungsversuch traf der Franzose den Gegenspieler Gustav Isaksen mit offener Sohle am Knöchel – Rot und Elfmeter! Nach dem Spiel drückte Tuchel seinen Unmut aus: Es sei „keine Not“ dagewesen, so eine Bewegung zu machen. Es hätte gereicht, wenn er den Stürmer „geblockt“ hätte. Dadurch habe man sich selbst „auf die Verliererstraße“ gebracht, fand Tuchel. Allerdings muss er sich dabei selbst die Frage gefallen lassen, warum er trotz der Erfahrungen aus den Vorsaisons erneut Upamecano den Vorzug vor dem wohl verlässlicheren Matthijs de Ligt gab. Dieser ersetzte Upamecano nach dem Platzverweis und dürfte ebenfalls dessen Position im Rückspiel in drei Wochen bekleiden.

Bis dahin wird sich die Kritik an den Ergebnissen vermutlich auf Thomas Tuchel richten. Auch wenn der Trainer das Bayern-Management bereits vor der Saison ausdrücklich auf den Wunsch nach einer Mittelfeldabsicherung hingewiesen hatte. Immerhin dürfte João Palhinha noch zu haben sein.

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