Leverkusen verliert in Liverpool
Lehrstunde in Liverpool
06. Nov 2024, 18:52 Uhr
Beim 0:4 gegen den FC Liverpool wirkt Bayer Leverkusen erstmals überfordert. In der zweiten Halbzeit hat das Team von Trainer Xabi Alonso dem Spieltempo und der Robustheit des Gegners nichts entgegenzusetzen. Nach dem Spiel macht Alonso einen geknickten Eindruck – und wird immerhin von den Liverpool-Fans getröstet.
Die Fans des FC Liverpool spürten, dass es ihrem Liebling Xabi Alonso nicht gut ging. Der Trainer von Bayer Leverkusen, der zwischen 2004 und 2009 erfolgreich für Liverpool gespielt hatte und dadurch bei den Reds gewissermaßen Heldenstatus erlangte, lief nach der deutlichen Niederlage seiner Mannschaft geknickt über den Platz zum Stadionausgang. Um ihn aufzubauen, fingen die im Stadion verbliebenen Liverpool-Anhänger an, seinen Namen zu rufen und ihm zu applaudieren. Gerührt von der Zuneigung an der Anfield Road, die Alonso in diesem Moment so nicht erwartet hatte, bedankte er sich in alle Richtungen. Er trage ein bitteres Gefühl in sich, weil er durch das Resultat den Empfang nicht habe geniessen können, sagte er. Trotzdem habe er die besondere Reaktion geschätzt. Dass nach so vielen Jahren weiterhin diese Beziehung bestehe, sei schön gewesen.
Die Geste war für Xabi Alonso, wenn man so will, das einzig erfreuliche Erlebnis bei seiner Rückkehr an die alte Wirkungsstätte. Denn das deutliche 0:4 (0:0) stellte für den Spanier – zusammen mit einem 1:5 im Bundesliga-Spiel gegen Eintracht Frankfurt im Oktober 2022 – die höchste Pleite in seiner Profitrainerlaufbahn dar, ebenso schmerzlich wohl wie die in der Vorsaison erlittene Europa-League-Finalniederlage gegen Atalanta Bergamo (0:3). Leverkusens Torwart Lukas Hradecky gestand, der Trainer habe unter dem Ergebnis „gelitten“. Im Kabinengang erhielt Alonso Zuspruch von seinem Kollegen Arne Slot. Den Niederländer hatte Liverpool verpflichtet, als einst klar geworden war, dass Alonso als Trainernachfolger des im Sommer zurückgetretenen Jürgen Klopp nicht zur Verfügung stehen würde.
Für das Duell mit seinem Ex-Klub Liverpool hat sich Alonso eine spezielle Taktik überlegt
Für das Liverpool-Match hatte sich Alonso eine spezielle Taktik zurechtgelegt, er stellte sein Team mit fünf Mittelfeldspielern und ohne Mittelstürmer auf. Der Torjäger Victor Boniface lief etwa auf der linken Seite auf. Zunächst konnte Leverkusen dadurch den Gegner überraschen und die Partie ausgeglichen gestalten. Aber Slots Anpassungen in der Halbzeit hatte Leverkusen dann nichts mehr entgegenzusetzen. Liverpool erhöhte die Schlagzahl, attackierte früher und setzte die Alonso-Elf durch Manndeckung unter Druck. Liverpools in der Angriffsmitte agierender Linksaussen Luis Díaz erzielte drei Tore, dazu traf Cody Gakpo.
Es könne passieren, dass man nach Liverpool komme und untergehe, weil die Reds ein Spitzenteam seien, sagte Alonso. Kaum einer weiß das besser als er, der seinerzeit 210 Pflichtspiele für den Klub bestritten hatte. Er hat diverse Male auf dem Platz erlebt, wie Liverpool mit der Unterstützung des eigenen Publikums im heimischen Anfield einen Gegner überrennen kann. Diesmal war seine eigene Mannschaft davon betroffen. Bei der Suche nach einer plausiblen Erklärung habe es „ein bisschen Diskussion in der Kabine“ gegeben, berichtete Hradecky. Doch auch er wisse nicht, wie man das erste Gegentor hätte besser verteidigen können; dem Treffer war ein herausragender Pass von Liverpool-Spielmacher Curtis Jones vorausgegangen. Kapitän Granit Xhaka pflichtete ihm bei, man könne die Reds, die derzeit das formstärkste Team in Europa sind, nie ein ganzes Spiel lang dominieren, sagte er. Xhakas Fazit: „Man lernt von den Besten.“
Nun kommt es darauf an, wie Leverkusen die Niederlage verkraftet
Nach dem ansprechenden Bundesliga-Spiel gegen den VfB Stuttgart (0:0), nach dem sich die Mannschaft auf dem Weg zur alten Leistungsstärke wähnte, sind Bayer Leverkusen unter Alonso erstmals die Grenzen aufgezeigt worden. Der deutsche Meister wirkte mit dem Spieltempo und der Körperlichkeit des Gegners überfordert. Die Offensive um den wenig einflussreichen Florian Wirtz konnte sich in den Zweikämpfen fast gar nicht behaupten, selbst der kräftige Boniface prallte immer wieder an der gegnerischen Abwehr ab. Das sei nicht das übliche „Bayer-Leverkusen-Feuerwerk“ gewesen, gab Hradecky zu. Der Respekt vor der Schlagkraft Liverpools schien erheblich zu sein, das verdeutlichten auch die vielen taktischen Anpassungen des Trainers.
Nun steht Leverkusen vor dem Bundesliga-Auswärtsspiel am Samstag beim Tabellenletzten VfL Bochum vor der Herausforderung, einen sehr empfindlichen Rückschlag verkraften zu müssen. Dabei kommt es vor allem auch auf die Reaktion von Alonso an, der solche Situationen zwar als Spieler kennt, aber noch nicht als Trainer. Hradecky empfahl, aus dem Spiel zu lernen und es dann zu vergessen. Den ersten Schritt bei der Aufarbeitung haben die Liverpool-Fans aus Verbundenheit zu Xabi Alonso übernommen – indem sie ihm nach Abpfiff wohlwollend Mut machten.