Der Tor-Roboter

Erling Haaland befindet sich in der Form seines Lebens und hält fast im Alleingang die Ambitionen von Manchester City aufrecht. Zu den Gründen für seine Torquoten gehören das immer gleiche Vorgehen im Strafraum, die Geburt seines Sohns – und rohe Kuhmilch.

Beim Torjubel war Erling Haaland wie erstarrt. Nach dem ersten seiner beiden Treffer zum 3:1-Heimsieg am Sonntag gegen den AFC Bournemouth blieb der Stürmer von Manchester City plötzlich stehen und vollführte an Ort und Stelle mechanisch anmutende Armbewegungen – als sei er für einen Moment zur Maschine geworden. Die Choreografie erinnerte an den bekannten „Robot Dance“ von Peter Crouch, den der englische Nationalstürmer erstmals vor der WM 2006 präsentiert hatte. Auf Instagram kommentierte Haaland seine Geste später augenzwinkernd: „Tja, offenbar konnte ich es nicht länger verbergen …“ Damit spielte er auf die Vorstellung an, vielleicht gar kein Mensch aus Fleisch und Blut zu sein, sondern ein künstliches Wesen. Betrachtet man seine übermenschliche Torquote, wirkt der Gedanke gar nicht so abwegig. Haaland, 25, trifft mit einer Verlässlichkeit, die tatsächlich einem perfekt programmierten Tor-Roboter entspricht.

Nach einem Viertel der Saison steht der Norweger bereits bei 26 Pflichtspieltoren für Verein und Nationalmannschaft. In zwölf Spielen in Serie hat er getroffen, nur Robert Lewandowski war 2021 mit Toren in 14 aufeinanderfolgenden Matches für den FC Bayern und Polen erfolgreicher. In der Premier League erzielte Haaland bisher 13 der 20 Tore von Manchester City (65 Prozent), nur bei den beiden Niederlagen gegen Tottenham Hotspur und Aston Villa blieb er torlos. Damit hat im englischen Oberhaus bislang er allein häufiger getroffen als die Hälfte der 20 Vereine. Nach einem mediokren Saisonstart hat Haaland City fast im Alleingang auf Platz zwei geschossen, sechs Punkte hinter Tabellenführer Arsenal. „Er lebt für Tore“, sagt sein Trainer Pep Guardiola und vergleicht ihn mit den Weltfußballern Lionel Messi und Cristiano Ronaldo. Haalands Konstanz und Ausbeute lägen „selbstverständlich“ auf dem Niveau dieser beiden, findet Guardiola.

Hinzu kommen vier Tore in der Champions League, die entscheidend dazu beigetragen haben, dass Manchester City Haalands früheren Klub Borussia Dortmund am Mittwoch (21 Uhr/Dazn) zu einem Spitzenspiel empfängt. Beide haben nach drei Spielen bereits sieben Punkte in der Königsklasse gesammelt. Seit seinem Transfer 2022 vom BVB zu City für 60 Millionen Euro hat Haaland trotz der starken Konkurrenz auf der Insel seine famose Quote von im Schnitt nahezu einem Tor pro Spiel konserviert: 141 in 159 Einsätzen für Manchester sind ihm gelungen, zuvor waren es 86 in 89 Partien beim BVB.

Haaland reagiert wie ein Automat, sobald der Ball ihm im Strafraum vor die Füße oder auf den Kopf fällt. Er handelt dann immer gleich: reaktionsschnell, unwiderstehlich, unbarmherzig. Gegen ihn zu verteidigen, ist oft eine vergebliche Anstrengung. Zieht man sich zurück, trifft die 1,95-Meter-Tormaschine Haaland nach Flanken und Abprallern. Rückt man auf, ist seine Geschwindigkeit kaum zu stoppen. Bournemouth wurde zuletzt zweimal brutal von Haaland ausgekontert, Gästetrainer Andoni Iraola gab frustriert zu: „Wenn man nur einen Meter hintendran ist, holt man ihn nicht mehr ein.“

Allerdings macht die Abhängigkeit von Haaland sein Team auch verletzlich, wenn er einmal nicht wie auf Knopfdruck funktioniert. „Er ist unser Schlüsselspieler“, räumt Guardiola unverblümt ein, „ohne ihn wäre es, ehrlich gesagt, schwer.“ Bisher hat in dieser Saison außer Haaland kein City-Spieler mehr als einmal in der Liga getroffen, zweitbester Klubtorschütze ist Burnleys Maxime Estève, dem gegen City zwei Eigentore unterliefen. Guardiola kritisierte kürzlich, dass dringend mehr Tore von anderen Spielern benötigt würden. Nach dem gewaltigen Kaderumbruch im Sommer steckt der Seriensieger City in einer Findungsphase, weshalb Guardiola ausnahmsweise einen eher pragmatischen und schnörkellosen Ansatz wählt. Anstelle des ewigen Ballbesitzfußballs gibt sein Team derzeit häufiger Spielanteile ab, Citys gewohnte Dominanz hat spürbar nachgelassen.

Zwar rücken Gegner dadurch vermehrt auf, was Haaland für seine brachialen Vorstöße mehr Freiraum verschafft. Zugleich aber hadert er mit dem Leistungslevel seiner Teamkollegen. „Ich bin stinksauer, und ich finde, jeder sollte das sein. Das ist einfach nicht gut genug“, schimpfte Haaland nach dem Champions-League-Unentschieden bei der AS Monaco. Durch den Abschied zahlreicher ehemaliger Leistungsträger ist Haaland inzwischen nicht nur Bestverdiener bei City, sondern auch einer der wichtigsten Führungsspieler. Er legt die Maßstäbe in der Kabine ähnlich hoch an wie seine Vorgänger. Manchmal wirkt es so, als erfüllten außer ihm nur noch wenige Spieler die Ansprüche des Vereins.

Seine persönliche Topform führt Haaland darauf zurück, dass er so gefestigt im Leben stehe wie noch nie. Sein vor einem Jahr geborener Sohn, sagt er, ermögliche ihm, vom Fußball auch mal „abzuschalten“ – zuvor habe er sich manchmal zu viele Gedanken gemacht. Hinzu kommen seine speziellen Alltagsroutinen, die er neuerdings auf seinem Youtube-Kanal erläutert: Stretching, Sauna, Eisbad, Rotlichttherapie – und Ernährung. Angeblich nimmt Haaland täglich bis zu 6000 Kalorien zu sich. Besondere Aufmerksamkeit erregt, dass dazu auch zwei Gläser rohe Milch gehören. Haaland bezeichnet sie als „Nährstoffbombe“, die „gut für Magen, Haut, Knochen und Muskeln“ sei. Er bezieht das Getränk direkt von einem Bauernhof in Cheshire bei Manchester, weil unbehandelte Milch im Supermarkt nicht verkauft wird. Die britische Lebensmittelaufsichtsbehörde warnt, dass sie „schädliche Bakterien“ enthalten könnte, die schlimmstenfalls zu Lebensmittelvergiftungen führen.

Mit derartigen Details gewährt Haalands Kanal den Fans Einblick in den Alltag eines Spitzensportlers. Die Manchester Evening News notierte: „Jede Entscheidung, die er tagsüber trifft, dreht sich um seinen Beruf und soll (seinen Leistungen) helfen.“ Die Abläufe wirken professionell und monoton und wiederholen sich – fast so wie auf dem Platz. Doch unfehlbar ist auch Haaland nicht: Gegen Bournemouth ließ er zahlreiche Chancen zum Dreierpack liegen. Das immerhin bewies: Er hat menschliche Züge.