PSG schlägt Manchester City

Götterdämmerung im Prinzenpark

23. Jan. 2025, 12:08 Uhr

Der Prinz im Prinzenpark ist nicht mehr Kylian Mbappé, Lionel Messi oder Neymar - sondern die Mannschaft (Foto: Cyril Moreau / Best Image / Imago Images)
Der Prinz im Prinzenpark ist nicht mehr Kylian Mbappé, Lionel Messi oder Neymar - sondern die Mannschaft (Foto: Cyril Moreau / Best Image / Imago Images)

„Fluctuat nec mergitur“, Paris schwankt, geht aber nicht unter. Das Wahlspruch der Stadt gilt auch für den heimischen Fußballverein. Mit dem Rücken zur Wand gelingt Paris Saint-Germain einer der emotionalsten Heimsiege in der Champions League – weil das Team so spielt wie Manchester City zu besten Zeiten.

Von Sven Haist, Paris

Um das Vorrundenaus in der Champions League abzuwenden, beschworen die Fans von Paris Saint-Germain den lateinischen Wahlspruch der eigenen Stadt aus dem 14. Jahrhundert: „Fluctuat nec mergitur“, sie schwankt, geht aber nicht unter. Die Leute entfalteten die Devise auf Französisch („Battu par les flots Paris n’a jamais sombré“) im Rahmen einer Choreografie, die das an der Seine gelegene Stadion vor Anpfiff wie ein Schiff aussehen ließ, dem Pariser Wappen. Dazu gab es aufgemalte Totenköpfe zu sehen, sie sollten wohl die sportliche Lebensgefahr im Duell mit Manchester City verkörpern.

Die Inszenierung erwies sich gewissermaßen als Prophetie des Spielverlaufs im Pariser Platzregen am Mittwochabend. Die PSG-Flotte um Trainer Luis Enrique wurde heftig durchgeschüttelt wie auf hoher See und schien mehrmals zu kippen. Doch sie sank nicht. Durch das 4:2 (0:0), bei dem es in der zweiten Halbzeit ähnlich turbulent zuging wie vor Ewigkeiten bei französisch-britischen Seeschlachten, haben die Pariser nun das Ufer wieder in Sicht. PSG tauschte mit City die Plätze in der komplizierten Königsklassenregatta, von Rang 25 ging es hoch auf 22.

Im letzten Vorrundenspiel reicht Paris ein Remis beim VfB Stuttgart

Das bedeutet, dass PSG zum Einzug in die Achtelfinal-Playoffs am letzten Spieltag, für die sich die Klubs von Platz 9 bis 24 qualifizieren, ein Unentschieden beim VfB Stuttgart reicht. Den Schwaben würde dies brisanterweise ebenfalls für die nächste Runde genügen (sofern Dinamo Zagreb nicht AC Mailand mit mindestens sieben Toren Unterschied schlägt). Denn im Parallelmatch nehmen sich Manchester City und der FC Brügge gegenseitig die Punkte. Dabei kann sich auch City weiter an Land retten, muss dafür aber Brügge schlagen. Allenfalls theoretisch könnten die Lissaboner Klubs Benfica und Sporting sowie PSV Eindhoven noch aus den Playoff-Rängen fallen.

Aus Erleichterung über das Resultat verwandelte sich das PSG-Schiff nach dem zunächst aberkannten und nach dreiminütiger Abseitsüberprüfung doch gegebenen vierten Treffers durch Gonçalo Ramos in der Nachspielzeit in ein Partyboot. Die Spieler rannten zu Ramos an die Eckfahne und anschließend weiter zu den Fans – und Trainer Enrique tanzte mit seinen Assistenten am Seitenrand zum Disco-Song Y.M.C.A. Die Pariser Meisterleistung gehörte sicher zu den emotionalsten Europapokalheimsiegen des Klubs.

„Eiffel Shower“, spottete die Sun über nur 36 Prozent Ballbesitz von City

Aufgrund der Drucksituation wirkte der Erfolg wie jener gegen den FC Liverpool 2018, als man am vorletzten Spieltag der damaligen Gruppenphase ebenso gewinnen musste. Seinerzeit düpierte Thomas Tuchel taktisch Jürgen Klopp. Und nun trickste der Spanier Enrique auf vergleichbare Weise seinen Landsmann Pep Guardiola aus. Er stellte im Mittelfeld durch das Zurückfallen eines Angreifers personelle Überzahl her, das Guardiolas City destabilisierte. Die Gäste kamen bloß auf 36 Prozent Ballbesitz. „Eiffel Shower“, spottete die Boulevardzeitung Sun. Erstmals droht Guardiola in seiner Trainer-Laufbahn ein Königsklassenkollaps in der Vorrunde. Er räumte ein, PSG sei einfach viel besser und schneller gewesen als sein Team.

Das Generationstreffen zwischen PSG und City glich einer Götterdämmerung im Pariser Prinzenpark. Die junge Heimelf führte die Routiniers aus Manchester vor: Alle Spieler waren in Bewegung, kurze Pässe wechselten sich mit langen ab, dazu immer wieder Spielverlagerungen. PSG kickte wie City zu besten Zeiten. Unmittelbar vor der Halbzeit ging PSG vermeintlich in Führung. Allerdings wurde das Tor wegen einer minimalen Abseitsstellung zurückgenommen. Den PSG-Schock nutzte City nach der Pause aus und schlug durch Jack Grealish (50. Minute) und Erling Haaland (53.) zu.

Überragender Spieler ist der frühere Dortmund-Stürmer Dembele

Er wolle sich nicht vorstellen, wie die Kritik bei einer Pleite seines Teams ausgefallen wäre, sagte Enrique hinterher. In diesem Fall wäre das erste PSG-Scheitern in der Vorrunde kaum abzuwenden gewesen, seitdem sich das Land Katar 2011 über den eigenen Staatsfonds in den Klub eingekauft hat. Dieses Szenario hätte die Golffürsten wahrscheinlich so getroffen wie die stolzen Pariser ein Untergang der eigenen Stadt. Schließlich war es mitunter PSG-Präsident und Katar-Statthalter Nasser Al-Khelaïfi, der als Vorsitzender der Europäischen Klubvereinigung auf den neuen Ligamodus in der Champions League drängte. Die Reform sollte den Großvereinen prinzipiell noch mehr entgegenkommen.

Diesmal allerdings bewies PSG mit dem Kopf halb über Bord gegen City auf einmal jene Tugenden, die der Stadt Paris nachgesagt werden: Courage und Widerstandsfähigkeit. Der Grund dafür liegt möglicherweise darin, dass der Prinz bei PSG in dieser Saison nicht mehr Kylian Mbappé, Lionel Messi, Neymar oder Al-Khelaïfi ist – sondern die Mannschaft. Sie bäumte sich im Kollektiv auf, und teilte sich solidarisch die Treffer: Ousmane Dembélé (56.), Bradley Barcola (60.), João Neves (78.) und Ramos (90.+3).

Statt auf teure Altstars setzt Paris nun auf Talente

Dabei bewies Enrique mit seinen Personalentscheidungen ein beachtliches Gefühl für den Wellengang der Partie. Er ließ zunächst den grippegeschwächten früheren BVB-Angreifer Dembélé auf der Bank, brachte diesen dann als Mittelstürmer nach der Pause und positionierte ihn später für Ramos auf Rechtsaußen. Der Franzose trumpfte auf wie noch nie seit seinem Wechsel 2023 vom FC Barcelona; er lieferte die Szene des Spiels, als er seinen Gegenspieler Bernardo Silva tunnelte und den Ball danach aus fast unmöglichem Winkel an die Unterkante der Latte knallte (70.).

Der 27-Jährige ist der neue PSG-Sturmführer, um sich herum ausschließlich Talente: Kang-in Lee, 23, Ramos, 23, Barcola, 22, Désiré Doué, 19 – sowie der soeben vom SSC Neapel für 75 Millionen Euro geholte Spielmacher Khvicha Kvaratskhelia, 23, der erst ab der nächsten Wettbewerbsrunde spielberechtigt ist. Sie harmonieren derart prächtig, dass PSG es sich leistet, den einstigen 95-Millionen-Transfer Randal Kolo Muani von Eintracht Frankfurt bis zum Saisonende an Juventus Turin zu verleihen. Unter den etablierten Klubs in der Champions League hat man deutlich den jüngsten Altersschnitt.

Zuletzt fehlte es an Führung und Erfahrung, beides zeigte Paris nun

Die Idee dahinter ist, mit aufstrebenden Spielern den Teamgeist zu stärken und die Abhängigkeit von Individualisten zu verringern. Womöglich waren die PSG-Chefs den Kapriolen der exzentrischen Ausnahmespieler im Kader in den vergangenen Jahren überdrüssig geworden und mussten gleichfalls einsehen, dass es auf diese Art eher nicht zum Henkelpokal in der Königsklasse reichen wird. Mit dem kostspieligen Erwerb von Fußballstars hatte PSG nach dem Katar-Einstieg versucht, zu Europas Elite aufzuschließen. Das Vorgehen brachte Aufmerksamkeit – und das Königsklassenfinale 2020, das gegen den FC Bayern verlorenging (0:1). Doch nachhaltig schien diese Strategie nie wirklich zu sein.

Deshalb vollzog der Verein im Sommer 2024 nach dem Abschied von Mbappé zu Real Madrid, der letzten großen Berühmtheit in der Mannschaft, einen klaren Kurswechsel. Wo Außenstehende Zweifel sehen, erkenne er Potenzial und Fortschritt, verteidigte Enrique stets das Projekt. In der eigenen Liga ist PSG ungeschlagen Tabellenführer. Ein Mangel an Führung, Konstanz und Erfahrung zeigte sich zwar bei den Königsklassenpleiten gegen Arsenal, Bayern und Atlético Madrid – aber nun demonstrierte Enriques Elf all diese Qualitäten gegen das kriselnde City.

„Endlich magisch“, lobt Frankreichs Sportzeitung L’Équipe

„Enfin magiques“, schmachtete Frankreichs Sportzeitung L’Équipe über das neue Paris Saint-Germain: endlich magisch. Genauso erging es Luis Enrique, er lobte seine Spieler für den Einsatz, den Glauben und natürlich die Aufholjagd – sowie die eigenen Fans für ihre grandiose Unterstützung. Fluctuat nec mergitur.

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