Real Madrid in der Champions League
Mbappé steht auf dem Kopf
28. Nov 2024, 15:18 Uhr
Nach der Niederlage beim Lieblingsgegner FC Liverpool muss Real Madrid um das Weiterkommen in der Champions League bangen. Das Team harmoniert nicht und erinnert bereits an das wenig glorreiche Klubkapitel der einstigen Galatktischen. Sinnbildlich dafür steht Neuzugang Kylian Mbappé.
Die Welt von Real Madrid stand nach dem Spiel beim FC Liverpool auf dem Kopf – und die von Kylian Mbappé auch. Nach einem Rempler im Zweikampf von Liverpools Verteidiger Virgil van Dijk verlor der Angreifer das Gleichgewicht in der Luft und schlug schmerzhaft frontal mit dem Kopf auf dem Rasen auf, die Beine nach oben gestreckt. Mbappés Landung stand sinnbildlich für die Partie in der Champions League, in der Liverpool Real gewissermaßen einmal umgedreht hatte. Nach dem 0:2 (0:0) an der Anfield Road fand sich der Titelverteidiger auf dem 24. Platz der Champions-League-Tabelle wieder, dem letzten Rang, der noch zur Play-off-Runde für das Achtelfinale berechtigen würde. Die direkte Qualifikation ist rechnerisch beinahe ausgeschlossen, zumal Real zwei der abschließenden drei Spiele gegen Atalanta Bergamo, FC Salzburg und Dinamo Brest auswärts bestreiten muss.
Beim Gastspiel in Liverpool verlegte sich der Titelverteidiger fast durchgehend darauf, sich in der eigenen Hälfte zu verschanzen. So konnte sich Liverpool ungestört Real Madrid zurechtlegen, zuerst traf Alexis Mac Allister (52. Minute), dann Cody Gakpo (76.). Alle anderen zahlreichen Versuche konnte immerhin Real-Torhüter Thibaut Courtois abwehren. Der Belgier war quasi allein dafür verantwortlich, dass Reals Mauern nicht komplett einstürzten. Zudem setzte Liverpools Salah einen Elfmeter an den Pfosten (70.).
„Eine Nullnummer“ sei Kylian Mbappé gewesen, schrieb die Zeitung AS
Die Madrilenen schauten allenfalls sporadisch aus der Deckung. Die beste Chance vergab Mbappé, er scheiterte ebenfalls mit einem Elfmeter an Liverpools Keeper Caoimhín Kelleher (61.). „Eine Nullnummer“ sei Mbappé gewesen, obwohl er auf seiner Lieblingsposition auf dem linken Flügel agiert habe, spottete Madrids Sportzeitung AS. Auf die Ankunft des 25-Jährigen von Paris Saint-Germain hatte Real jahrelang gewartet. Nun hob er bloß einmal richtig ab – als ihn sein Bewacher Conor Bradley fulminant abgrätschte.
Im Gegensatz zu Reals in den vergangenen Saisons kollektiven Vorstößen basieren die eigenen Offensivambitionen gerade überwiegend auf Einzelaktionen. Einer der Gründe dafür ist der Rücktritt von Toni Kroos im Sommer. Anstelle des deutschen Taktgebers findet sich im Real-Kader gerade kein Spieler, der das Kommando im Mittelfeld übernehmen könnte. Unter der Regie von Kroos hatten die Königlichen seinerzeit keines der acht Duelle gegen Liverpool verloren, dazu gehörten die Champions-League-Finalsiege 2018 und 2022. Doch nun gab es für Real Madrid die erste Pleite gegen den Lieblingsgegner seit 15 Jahren.
Es sei nicht viel passiert, versuchte Real-Trainer Ancelotti zu beschwichtigen
Am Seitenrand forderte Trainer Carlo Ancelotti immer wieder seine Spieler auf, das Tempo zu drosseln. Dabei fanden die eigenen Kombinationen oft ohnehin nur in Schrittgeschwindigkeit statt. So agierte Ancelotti auch bei seiner Analyse. Er sagte, seine ersatzgeschwächte Mannschaft habe „gut“ gespielt und die Niederlage „ändere nicht viel“. Der Mister war in jeglicher Form um Schadensbegrenzung bemüht.
Zuletzt schien die Transferpolitik des Klubs ein wenig zu gewagt zu sein. Im Vorjahr stießen Jude Bellingham und Arda Güler in der Offensive zu den gleichfalls hochbegabten Vinicius und Rodrygo, nun kam noch Mbappé. Die Jungstars wirken wie „Mini-Galácticos“: Der Begriff der Galaktischen erinnert an eine besondere Real-Epoche vor zwei Jahrzehnten zurück. Damals versammelten sich die Weltstars David Beckham, Zinédine Zidane, Raúl, Roberto Carlos und Ronaldo im Kader. Genauso bekannt wie ihre Namen war seinerzeit aber auch, dass sie in dieser Formation keinen einzigen Titel gewinnen konnten. Dieselbe Blöße droht nun ihren Nachfolgern.
Mannschaftsspieler sind genauso wichtig wie Individualisten
Aus dieser Zeit zog der Klub eigentlich die Lehre, dass verlässliche Mannschaftsspieler bei der Zusammenstellung des Kaders genauso bedeutend sind wie aufregende Einzelspieler. Die Umsetzung erfolgte dann von 2014 bis 2024, als die sich in ihren Fähigkeiten ergänzenden Mittelfeldprofis Kroos, Luka Modric und Casemiro die individuelle Klasse ihrer Mitspieler vor ihnen gekonnt in Szene setzten. Auf diese Weise holte Real sechs Mal den Henkelpott. Gegen Liverpool sah es dagegen aus, als wollte jeder Offensivakteur für sich selbst glänzen.
Nach Ballgewinn habe man „ein paar Mal zu oft“ versucht, direkt einen Gegenangriff zu starten, gab Bellingham zu. Zudem räumte er bei seinem Besuch in der alten Heimat ein, dass der Gegner „mehr Lust“ gehabt habe als man selbst. Trotz deutlich weniger Ballbesitz liefen die Spieler von Real Madrid fünf Kilometer weniger als Liverpool. Der Unterschied in dieser Statistik ergab sich auch aus der Arbeitseinstellung der Offensiven. Liverpools Angreifer integrierten sich wie selbstverständlich in die eigene Verteidigung. Der Fleiß von Mohamed Salah, Darwin Núñez und Luis Díaz standen konträr zu dem ihrer Gegenüber. Vor allem Mbappé war kaum eine Hilfe.
Die Spielweise von Mbappé hat sich in Madrid bisher nicht verändert
Diese Haltung war schon in Paris von ihm lange zu beobachten gewesen. Bisher erfüllte sich Reals Hoffnung nicht, er würde seine Spielweise nach dem Wechsel umstellen. In fünf Champions-League-Partien gelang ihm bloß ein Tor, am ersten Spieltag gegen den VfB Stuttgart. Madrids Sportzeitung Marca verfügte, er sei nur „ein Schatten seiner selbst“. Inzwischen gibt es nicht wenige Fans in Madrid, die sich vorstellen könnten, Mbappé gleich wieder nach Paris abzugeben. Allerdings verhält es sich bei Kylian Mbappé wie bei vielen Spielern dieser Güteklasse. Ähnlich schnell wie sie in einem Spiel abtauchen, können sie auch wieder auf die Beine kommen.