Aufstiegsspiele in England
Helden für einen Tag
24. Mai 2025, 14:10 Uhr

Die Playoffs um den Aufstieg im englischen Fußball ziehen jedes Jahr zigtausende Fans an. Das liegt an der Historie, der sportlichen Bedeutung – und dem Spielort Wembley. Über die Faszination eines besonderen Wochenendes.
„We will live and die in these towns“, ist der Refrain eines Volkslieds, der den oft grauen Alltag in den englischen Kleinstädten zusammenfasst: Wir leben und sterben hier. Das Motto repräsentiert einerseits den Stolz auf die eigene Heimat und drückt andererseits ein wenig die Ausweglosigkeit aus, sich aus jenen englischen Gegenden herauszuarbeiten, in die man hineingeboren worden ist. Für nicht wenige Leute ist die Verbundenheit zum ortsansässigen Fußballklub daher ein wesentlicher Bestandteil des eigenen Lebens. Die Vereine bieten Zugehörigkeit, Ablenkung – und auch jede Saison so etwas wie die Chance, sich als Fan zumindest für einen Tag wie ein Held zu fühlen. Wenn sich der eigene Herzensverein für die Playoffs um den Aufstieg im Londoner Wembley-Stadion qualifiziert.
Die Spiele um den Aufstieg sind Höhepunkte für unterklassige Vereine
Die Aufstiegsspiele im englischen Profifußball besitzen eine vergleichbare Tradition und Bedeutung wie die berühmten Matches am Boxing Day. Sie sind der Höhepunkt für viele Fußballer, die es nicht in die Premier League schaffen. Am letzten Mai-Wochenende werden stets die finalen Aufsteiger in den ersten vier Profiligen ermittelt. Auch in dieser Saison ist das so: Am Samstag (Anstoß wirklich um: 16.01 Uhr) stehen sich die Zweitligisten AFC Sunderland mit dem vom BVB umworbenen Jobe Bellingham und Sheffield United um den Aufstieg in die Premier League gegenüber, am Sonntag die Drittligisten Charlton Athletic und Leyton Orient um die Championship sowie AFC Wimbledon und Walsall um die League One am Montag, traditionell ein Feiertag in England.
Seit 1990 finden die Playoffs um den Aufstieg in Wembley statt
Die Faszination der Partien ergibt sich aus der Historie der Play-offs in England, ihrer sportlichen Brisanz und dem speziellen Spielort Wembley. Die Entscheidungsspiele wurden vor vier Jahrzehnten eingeführt. Zunächst mit Hin- und Rückspiel und seit 1990 immer in einer einzigen Partie in Wembley, gegebenenfalls mit Verlängerung und Elfmeterschießen. Für die Endrunden qualifizieren sich die dritt- bis sechstplatzierten Vereine der jeweiligen Mammutligen mit 24 Klubs, die dann in einer vorherigen Ausscheidungsrunde die zwei finalen Play-off-Teilnehmer ermitteln. Die beiden Tabellenersten steigen schon zuvor direkt auf, Daniel Farke ist also mit Leeds United bereits in der Premier League. Die Größe der unteren Spielklassen mit insgesamt 46 Spieltagen ist eine Besonderheit auf der Insel, weil bis auf eine kurze Sommerpause durchgespielt wird.
Der Aufstieg in die Premier League: Das lukrativste Spiel im Weltfußball
Für die Sieger gibt es in allen Ligen einen Pokal, sie bekommen ihn auf der Ehrentribüne im Wembley überreicht. David Wagner reckte ihn beispielsweise 2017 nach dem Sieg mit Huddersfield Town über den FC Reading in die Höhe. Die Trophäe für den Gewinner des Championship-Play-off ist ein Prachtstück, sie wiegt 16 Kilogramm und steht symbolisch für den Wert des Spiels, in dem es um ungefähr 200 Millionen Euro geht. Derart viel Geld ist dem Aufsteiger in die Premier League nämlich durch TV-Einnahmen und allfällige Abschlagszahlungen bei einem Wiederabstieg garantiert. Mehr gibt es in keiner anderen Partie auf einen Schlag zu verdienen – weshalb das Championship-Finale als das lukrativste Einzelspiel im Weltfußball gilt. Dazu kommt der enorme Reiz für die Klubs, immerhin für mindestens eine Saison zu Englands Fußballelite zu gehören.
Jeder Spieler und Fan möchte einmal ins Wembley
Viele Partien um den Aufstieg sind trotz des riesigen Fassungsvermögens im Wembley von rund 90.000 Zuschauern stark ausgelastet. Der Andrang der Fans hat nicht nur mit dem Spiel zu tun, sondern auch mit dem Stellenwert des englischen Nationalstadions. Wembley lässt sich guten Gewissens zu den Wahrzeichen des Landes zählen. Seine Bekanntheit steht den anderen Touristenattraktionen um nicht viel nach. Das Stadion bedeutet den Briten so viel wie der Center Court in Wimbledon oder die Rennstrecke in Silverstone. Für den Rest der Fußballwelt ist das fast religiös verehrte Wembley ein Fernreiseziel. Jeder Funktionär, Spieler und Fan möchte es mal mit eigenen Füßen betreten. Über das Günther Netzer einst sagte: „Wer da nicht Fußball spielen kann, der wird es im Leben nie lernen.“
Wegen des Kultstatus haben sich die Aufstiegsspiele für die Anhänger der beteiligten Klubs zu einem speziellen, nicht selten einmaligen Tagesausflug entwickelt. Die Anhänger treffen sich lange vor Spielbeginn in den Pubs an der Baker Street Station, und fahren von dort aus gemeinsam und stimmungsvoll mit der Londoner Tube direkt zum Stadion. Der Ablauf ist stets derselbe, egal um welches Spiel es sich im Wembley handelt. Auch das macht das Erlebnis so einzigartig.
Warum sich der englische Modus um den Aufstieg nicht kopieren lässt
All das erklärt, warum die Play-offs in England ein Riesending sind. Andere Fußballländer schauen bisweilen neidvoll auf die Insel, auch die deutschen Fans. Das Magazin 11 Freunde fragte vor zwei Jahren in einem Essay, warum die Bundesligen sich die Relegation nicht von den Engländern abschauen würden. Die Antwort liegt auf der Hand: Weil die Rahmenbedingungen ziemlich unterschiedlich sind.
Die deutsche Ligastruktur mit insgesamt nur 56 Vereinen in drei Profiligen lässt ein solches System kaum zu. Hätte am Ende der Saison der sechstplatzierte Klub noch eine Chance auf den Aufstieg, wäre ein Drittel der Vereine an der Promotion zur Bundesliga beteiligt. Das würde die eigentliche Saison entwerten. Zudem ist eine Spielklassenbeförderung in Deutschland mit viel weniger Geld versehen, was die Brisanz verringert. Und ein Stadion, das der Aura von Wembley hierzulande entspräche, gibt es ebenso nicht. Am ehesten käme das Olympiastadion in Berlin in Betracht.
Folglich gehen die Blicke auch an diesem Wochenende zur Aufstiegsrunde nach England. Es wird erneut emotionale Bilder geben, von feiernden und trauernden Fans in Wembley – bevor es für alle dann wieder zurückgeht in die heimischen Towns.

Bier für das Aufstiegsbiest
Der Deutsche Daniel Farke ist der erfolgreichste ausländische Trainer in der Championship und steigt mit Leeds United zum dritten Mal in die Premier League auf. Doch das soll nur der Anfang sein. Der Klub, hinter dem auch der Getränkekonzern Red Bull steckt, hat große Pläne.