FC Liverpool in der Europa League
Die Fans sind leise, Liverpool verliert den Faden
12. Apr 2024, 18:09 Uhr
Die Fans des FC Liverpool protestieren gegen eine angekündigte Preiserhöhung. Unter der schlechten Stimmung im Stadion leidet besonders die Mannschaft beim 0:3 gegen Atalanta Bergamo – auch weil Jürgen Klopp mehrere Stammspieler schont.
Immer wieder drehte sich Jürgen Klopp zu den eigenen Fans um und versuchte, sie um lautstarke Unterstützung zu bitten. Aber diesmal verpufften seine Bemühungen, als hätte der Trainer des FC Liverpool in eine kaputte Fanfare geblasen. Statt dem bekannten Enthusiasmus an Europapokalabenden war die Stimmungslage in Anfield am Donnerstag von Reserviertheit geprägt, die selbst die Klubbesitzer vernommen haben dürften, obwohl sie den Fans sonst wenig zuhören.
In der Vorwoche verlautbarte die den Verein steuernde US-Investmentfirma Fenway Sports Group (FSG) ohne Vorabsprache, die Ticketpreise für die Heimspiele in der nächsten Saison aufgrund steigender Betriebskosten um zwei Prozent zu erhöhen – auf die Saison hochgerechnet eine Millionensumme. Das ziemlich ungenierte Vorhaben löste in der tief sozialistisch angehauchten Merseyside erwartungsgemäß einen Aufschrei aus. Die einflussreiche Fangruppierung Spion Kop 1906 zeigte sich „enttäuscht“ und kündigte an, im Viertelfinal-Hinspiel der Europa League gegen Atalanta Bergamo auf alle Blockfahnen zu verzichten. Zu sehen waren letztlich nur zwei weiß-rote Banner, auf denen geschrieben stand: „No to ticket price increases“ (Nein zu Preiserhöhungen) und „FSG Gr££d“ – die beiden Pfund-Zeichen betonten das Wort „greed“ (engl. für Gier).
Jürgen Klopp versteht die Fans
Die Auswirkungen der Empörung schien der für Fanbelange immer ein offenes Ohr habende Klopp als erster zu erahnen. Vor dem Bergamo-Match war er auffallend um Beschwichtigung bemüht. Die Sache sei „verzwickt“, sagte er diplomatisch. Zwar verstehe er „die Sorgen“ der Menschen, könne aber gleichzeitig versichern, alle Einnahmen würden „in den Fußball zurückfließen und nicht für irgendetwas verschwendet werden“. Eindringlich ermahnte er das Liverpooler Fußballvolk, die Situation während des Spiels außen vor zu lassen. Doch die Gesamtatmosphäre glich einer Abrechnung mit dem eigenen Klub.
Das kaum absehbare 0:3 (0:1) gegen Bergamo ist Klopps höchste Heimniederlage mit Liverpool. Eine Abreibung mit drei Toren Unterschied hatte er zuvor nur gegen Manchester City (1:4) und Real Madrid (2:5) kassiert, der bis dato letzten Pflichtspielniederlage in Anfield im Februar 2023. Die Szenerie erinnerte an das Ligaduell mit dem AFC Sunderland 2016, als Liverpool in der Schlussphase fulminant auseinanderfiel. Damals hatten die Fans aus Protest über zu hohe Ticketpreise das Stadion in der 77. Minute geschlossen verlassen. Zu diesem Zeitpunkt führte man 2:0, am Ende stand es 2:2.
Kaum ein Team ist mehr von den Fans abhängig als Liverpool
Ausgerechnet im jetzt vermeintlich letzten Europapokal-Heimspiel von Klopp auf seiner emotionalen Abschiedssaison zeigten die Fans, wie sich ein leises Anfiel anhört. Kaum ein Spitzenteam wirkt so abhängig vom lautstarken Support der Anhänger als Klopps Liverpool. Der Telegraph kommentierte, es sei gut gewesen, dass die Anhänger diesmal keine Fahnen mitbrachten – sonst hätten sie angesichts des nun wahrscheinlichen Ausscheidens nach Abpfiff „auf Halbmast“ gesetzt werden müssen.
Nach dem Vorstoß der Besitzer schien auch Klopp bei seiner Startaufstellung das Timing vermissen zu lassen: Er nahm sechs Änderungen vor und verzichtete auf die Stammkräfte Andrew Robertson, Dominik Szoboszlai, Mohamed Salah und Luis Díaz. Die Entscheidung trug nicht gerade zu einem möglichen Stimmungsumschwung bei. Zur Halbzeit korrigierte er sich, brachte Robertson, Szboszlai und Salah, später Díaz und Diogo Jota. Aber der Rhythmus war weg gegen die taktisch exzellent in der Manndeckung verteidigenden Italiener.
Liverpool schien Atalanta unterschätzt zu haben
Die Leistung der Equipe sei „richtig schlecht“ gewesen und ein „Tiefpunkt“, schimpfte Klopp. Die Abstände seien zu groß wären, seine Spieler hätten sich „überall und nirgendwo“ auf dem Spielgeld aufgehalten und komplett den „Faden verloren“. Manchmal sah es tatsächlich aus, als hätte Liverpool den Tabellensechsten der italienischen Liga umfänglich unterschätzt. Um die Tore von Gianluca Scamacca (38./60.) und Mario Pašalić (83.) auszugleichen, wäre bei den zahlreichen eigenen Chancen wesentlich mehr Konzentration und Konsequenz im Torabschluss notwendig gewesen.
Seine Wechsel begründete Klopp mit der engen Spieltaktung. Seit dem zurückliegenden Match gegen Manchester United waren jedoch mehr als vier Tage vergangenen. Während dem Trainer bis zum League-Cup-Triumph im Februar fast alle Personalbeschlüsse wie selbstverständlich gelungen waren, fehlt ihm momentan vermeintlich das Fortüne. Schon vor einem Monat irritierte Klopps Europapokal-Aufstellung, als er trotz eines klaren Hinspielerfolgs gegen Sparta Prag eine zu starke Mannschaft für das zweite Match nominierte – und beim folgenden FA-Cup-Aus seine wichtigsten Akteure vorzeitig auswechseln musste.
Diesmal muss die Aufholjagd auswärts gelingen
Für das Wiedersehen in einer Woche benötigt der FC Liverpool nun eine vergleichbare Aufholjagd wie in den grandiosen Europapokalduellen mit Borussia Dortmund und dem FC Barcelona in der Vergangenheit. In beiden Fällen trieb eine infernalische Anfield-Atmosphäre die Spieler an. Allerdings findet das Rückspiel diesmal auswärts in Bergamo statt – wobei das aufgrund der aktuellen Stimmungslage in Liverpool kein Nachteil sein muss.