Liverpool verliert Tabellenführung

Wieder vom United-Zombie erschreckt

08. Apr 2024, 18:23 Uhr

Verloren und dann auch noch verspottet: Jürgen Klopp schimpft bei der Niederlage des FC Liverpool gegen Manchester United. (Foto: Nigel Keene)
Verloren und dann auch noch verspottet: Jürgen Klopp schimpft bei der Niederlage des FC Liverpool gegen Manchester United. (Foto: Nigel Keene)

“Jürgen’s cracking up”: Jürgen Klopp bricht ein, singen die Fans von Manchester United spöttisch. Beim 2:2 gegen den Erzvrivalen verliert der FC Liverpool zunächst die Nerven und dann die Tabellenführung der Premier League. Für Klopp ist die Situation ein Déjà-vu.

Von Sven Haist, London

Auf dem Weg zum Stadionausgang schien Jürgen Klopp die Nerven zu verlieren – so, wie zuvor auch sein Team im Premier-League-Spiel bei Manchester United. Die gegnerischen Fans verabschiedeten den Trainer des FC Liverpool bei seinem vorerst letzten Besuch im Old Trafford mit einem bissigen Sprechgesang. Zur Melodie der englischen Fußballhymne “Football’s coming home” spotteten die Zuschauer in Dauerschleife und nicht zu überhörender Lautstärke: “Jürgen’s cracking up” – Jürgen Klopp bricht ein.

Die United-Fans verspotten Liverpool-Trainer Jürgen Klopp.

Die Entstehung des Einzeilers geht zurück auf einen legendären Disput im Meisterschaftskampf 2009 zwischen Uniteds Ewigtrainer Alex Ferguson und Liverpools damaligem Coach Rafael Benítez. In einer vom Blatt abgelesenen Schimpftirade hatte Benítez Ferguson vorgeworfen, jenseits der erlaubten Regeln zu agieren. Dieser konterte spitz, er müsse zuerst die Psychoanalyse-Schriften von Sigmund Freud lesen, um Benítez zu verstehen. Weil Liverpool kurz darauf die Tabellenführung verlor und Manchester United den Titel gewann, wurde Benítez damals auf diese Weise veräppelt. Und nun auch Klopp.

Liverpools Bilanz gegen United in dieser Saison: zwei Liga-Remis und ein FA-Cup-Aus

Zunächst ließ sich der Deutsche nichts davon anmerken, er lief ruhig an den Tribünen vorbei. Doch vor dem Kabinentunnel reagierte Klopp auf die Schmähungen. Er hielt sich die rechte Hand ans Ohr. Mit dieser Geste löste er Erheiterung unter den Anhängern der Heimelf aus; sie jubelten, als wäre ein weiteres Tor für ihre Mannschaft gefallen. Tatsächlich könnte es sein, dass der Liverpool FC auf Klopps Abschiedstour am Sonntagabend erneut einen Titel gegen Manchester United leichtfertig verspielt hat.

Nur drei Wochen, nachdem United Liverpool durch einen Last-Minute-Treffer in der Verlängerung aus dem FA Cup geworfen hatte, stürzten die Red Devils die Reds jetzt auch als Premier-League-Primus. Durch das 2:2 (0:1) der Erzrivalen am Sonntag bleibt der zuvor in Brighton erfolgreiche FC Arsenal aufgrund der deutlich besseren Tordifferenz auf dem ersten Platz, Manchester City liegt um einen Zähler dahinter. Nach dem Spiel klagte Klopp, United würde gegen Liverpool immerzu eine “Extraschicht einlegen”. Schon im vergangenen Dezember hatte Liverpool ein torloses Remis gegen United die Spitzenposition im Klassement gekostet.

Liverpool wirkte erschrocken über die eigene Dominanz

Allerdings wirkt es bisweilen eher so, als würde Liverpool in den direkten Duellen in United mehr den Seriensieger aus alten Tagen sehen als die gegenwärtig einem Zombie gleichende Mannschaft von Trainer Erik ten Hag, die häufig abwesend erscheint und nur gelegentlich zum Leben erwacht. Meistens tut sie das, wenn der Gegner vor lauter Überlegenheit selbst erschrickt.

So auch diesmal: Nach der 1:0-Führung durch Luis Díaz in der 23. Minute, gefolgt von vielen ungenutzten Großchancen, spielte Liverpools Innenverteidiger Jarell Quansah zu Beginn der zweiten Halbzeit einen Querpass in die Füße von Uniteds Bruno Fernandes. Der zog vom Mittelkreis sofort ab – und erwischte den Ball mit dem Außenspann derart perfekt, dass dieser sich am vor seinem Strafraum postierten LFC-Torhüter Caoimhín Kelleher vorbei drehte. Kurz darauf gelang Uniteds Kobbie Mainoo ein ähnlicher Kunstschuss zur 2:1-Führung. Erst spät konnte Mohamed Salah für Liverpool per Elfmeter immerhin ausgleichen. Kapitän Virgil van Dijk klagte, man hätte “mindestens 2:0 führen müssen” und man habe den Gegner durch viele vergebene Chancen “am Leben gelassen”. Deshalb sei das Resultat “zu 100 Prozent” selbst verschuldet gewesen.

Vor allem gegen die Erzrivalen tut sich Liverpool auswärts schwer

Dieses Phänomen veranschaulichte der Guardian mit dem Beispiel einer “schwerfällig aussehenden Tür”, der man zur Öffnung “einen kräftigen Stoß verpasst – nur um dann festzustellen, dass der erwartete Widerstand nicht vorhanden gewesen und man deshalb auf die Schnauze gefallen” sei. Obwohl die Punkteteilung Uniteds Europapokal-Ambitionen genauso wenig zuträglich war wie dem Titelstreben Liverpools, werteten die Heimfans das Resultat wie einen Sieg. Für sie geht es derzeit vor allem darum, dass ihr Klub am Saisonende den Status des alleinigen Rekordmeisters vor Liverpool bewahrt.

Dieses Ziel ist durch das Liverpooler Déjà-vu etwas wahrscheinlicher geworden. Schon 2019 führte Klopps Team das Rennen gegen City im Frühjahr an und gewann zehn der letzten zwölf Spiele. Doch wegen zweier Unentschieden gegen United und Everton lag City in der Abschlusstabelle dann doch einen Punkt vorn. 17 Mal trat Liverpool mit Klopp auswärts gegen beide Klubs an – dabei gab es nur vier Siege.

Arsenal kann auf eigener Kraft Meister werden – muss aber auch noch zu United

Sieben Spielrunden vor Schluss hat Arsenal den Ligatitel jetzt in eigener Hand. Allerdings steht dem Klub aus London ebenfalls noch ein Auswärtsspiel bei United bevor, am vorletzten Spieltag. Die Partie könnte also über den Ausgang der Meisterschaft mitentscheiden. Deswegen versuchte Klopp, den alten Rivalen zu Motivationszwecken schon mal zu mehr Leistung anzustacheln: Er gehe zu “100 Prozent” davon aus, dass Arsenal das Match gewinnen werde, wenn United weiter auf dem Level vom Sonntag agiere. Seine Hoffnung ist, dass am Ende der FC Arsenal einbricht.

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