EM-Aus der Ukraine
Der Kriegsalltag ist zurück
27. Jun 2024, 18:53 Uhr
Auch das sportliche Abschneiden der Ukraine bei der EM stand im Schatten des russischen Angriffskriegs. Trotz des Vorrundenaus wurde das Land würdig vertreten. Die Mannschaft hinterlässt Europa zum Abschluss eine Botschaft über den Fußball hinaus.
Am Verhalten der Spieler nach Abpfiff lässt sich selten erkennen, ob die Ukraine gewonnen oder verloren hat. Das Zusammenkommen mit den eigenen Fans nach jedem Match gleicht einem Ritual, bei dem sich die Mannschaft am Strafraum aufstellt und immer wieder rhythmisch klatschend die Parole „U-kra-ina, U-kra-ina“ wiederholt. Die Zeremonie erinnert an die Isländer, die bei der EM 2016 auf diese Weise den eigenen „Húh“-Schlachtruf international populär gemacht haben. Er steht als Ausdruck der Einheit Islands, und auch die abgewandelte Form der Ukrainer soll in Kriegszeiten Geschlossenheit und Zusammenhalt demonstrieren.
Bei dieser EM ging es für die Ukraine mehr um den Spirit der eigenen Nation und die Sichtbarkeit in der Welt als um eine bestimmte Platzierung. Das sportliche Abschneiden stand im Schatten des fortlaufenden Angriffskrieges Russlands, dessen Auswirkungen die Mannschaft nachhaltig beeinträchtigen. Die Nachrichten aus der Heimat konnte wohl kein Spieler ausblenden, auch nicht für 90 Minuten. Trotz der Widrigkeiten ist es der ukrainischen Nationalelf gelungen, das eigene Land würdig zu vertreten und ein gutes Turnier zu spielen – auch wenn sie das Achtelfinale nach dem 0:0 gegen Belgien wegen des schlechteren Torverhältnisses knapp verpasst hat.
Die Ukraine steigerte sich im Turnier von Spiel zu Spiel
Nach der wohl zu sehr vom Pathos überladenen Auftaktniederlage gegen Rumänien steigerten sich die Ukrainer mit jeder Begegnung. Dem Sieg im Duell mit der Slowakei folgte ein noch besserer Auftritt im letzten Gruppenspiel: In der Schlussphase hatte die von Trainer Serhij Rebrov hervorragend eingestellte Mannschaft mehrmals die Chance, das Siegtor zu erzielen. Doch am Ende fehlte den Spielern Kraft und Präzision im Abschluss.
Wie bei jedem Mediengespräch bei dieser EM war der Trainer erneut gefordert, die Leistungen der Mannschaft angemessen in den Kontext der Gesamtlage des Landes einzuordnen. Und Rebrov, 50, fand, dass sein Team den Charakter der Nation repräsentiert habe und es wichtig gewesen sei, den Menschen in Europa zu zeigen, die Ukraine sei immer noch am Leben, gehöre zu Europa und werde weiter kämpfen. Seine Kernbotschaft hörte sich ähnlich an wie die des ukrainischen Präsidenten Wolodimir Selenskij: Er hoffe, „die Europäer verstehen, dass wir für Europa kämpfen und nicht nur für die Ukraine“, sagte Rebrov.
Ein Transparent erinnert an die gefallenen ukrainischen Soldaten
Die Kriegssituation war ebenso während des Spiels in Stuttgart präsent. Auf einem großen Transparent würdigten die ukrainischen Anhänger einen ihrer gefallenen Soldaten. Ukraine Now, der Markenauftritt des Landes, berichtete auf LinkedIn, das Bild sei von Künstlicher Intelligenz aus 182 Fotos gestorbener ukrainischer Armeekämpfer generiert worden. Sie hatten einst den Fanbewegungen ukrainischer Klubs angehört.
In wenigen Wochen fängt in der Ukraine wie in allen anderen europäischen Ländern die neue Saison an. Es wird weiter drei Männer- und zwei Frauenligen geben. Für einige Klubs stehen zudem die Qualifikationsrunden für die Europapokalwettbewerbe an. Dasselbe gilt für die Nationalmannschaft auf dem Weg zur WM 2026. Das Team müsse den heutigen Tag des Ausscheidens überwinden und ab morgen weiterarbeiten, sagte Rebrov. Die EM-Auftritte der ukrainischen Nationalmannschaft dürften dafür gesorgt haben, dass man sie nicht vergessen wird.