Verletzung von Jamal Musiala

Zwischen Schock und Wut

11. Juli 2025, 19:38 Uhr

Jamal Musiala kollidiert mit Gianluigi Donnarumma und zieht sich einen Wadenbeinbruch zu. (Foto: Rich von Biberstein / Icon Sportswire / Imago Images)
Jamal Musiala kollidiert mit Gianluigi Donnarumma und zieht sich einen Wadenbeinbruch zu. (Foto: Rich von Biberstein / Icon Sportswire / Imago Images)

Der FC Bayern scheidet gegen Paris Saint-Germain im Viertelfinale der Klub-WM aus. Die Niederlage wird überschattet durch die schwere Verletzung von Jamal Musiala. Dadurch geraten die Bayern auf dem Transfermarkt noch mehr unter Druck.

Von Sven Haist, New York

Zu den herausragenden Stärken von Thomas Müller, 35, gehört zweifelsohne sein ausgeprägtes Gespür für seine Mitspieler. Auch in seinem vermutlich letzten Pflichtspiel für den FC Bayern, nach 25 Jahren im Klub, stellte er diese Fähigkeit erneut unter Beweis – als sein deutlich jüngerer Nachfolger Jamal Musiala, 22, unmittelbar vor der Halbzeitpause im Viertelfinale der Klub-WM gegen Paris Saint-Germain (0:2) mit dem gegnerischen Torwart Gianluigi Donnarumma kollidierte und sich wahrscheinlich das linke Wadenbein brach. Musiala schrie vor Schmerzen, zog verzweifelt das Trikot übers Gesicht und wurde auf einer Trage aus dem Stadion transportiert.

Trotz des weiterlaufenden Spiels, in das Müller in der 80. Minute eingewechselt wurde und in dem er das Ausscheiden seiner Man­nschaft trotz doppelter Überzahl am Ende nicht mehr abwenden konnte, erklärte er später, seine Gedanken seien bisweilen bei Jamal Musiala gewesen. Ihm sei es schwergefallen, sich voll und ganz auf das Geschehen zu konzentrieren: „Wir sind keine Roboter“, sagte Müller. Er zeigte sich tief betroffen vom Pech des Kollegen, ebenso wie alle anderen Beteiligten.

Gegen PSG stand Jamal Musiala überraschend erstmals seit drei Monaten in der Startelf

Musialas Verletzung verdunkelt den Blick des FC Bayern auf den Interkontinentalvergleich in den USA – als hätte sich plötzlich der Vorhang vor dem Panorama der New Yorker Skyline zugezogen. Zwar erhält der Branchenführer aus Deutschland für die Teilnahme und das Erreichen des Viertelfinales einen Scheck über 50 Millionen Euro, doch wirkt dieser Betrag wie eine Art Schmerzensgeld, wenn Jamal Musiala lange ausfällt. Der Offensivmann stand gegen Paris überraschend wieder in der Startelf – erstmals nach einem Muskelbündelriss im linken hinteren Oberschenkel vor drei Monaten, durch den er den Rest der Saison verpasste. Zuvor kam er in drei von vier Turnierspielen zu Kurzeinsätzen. Musiala sei wegen des dramatischen Rückschlags „extrem geknickt“, sagte Bayerns Sportvorstand Max Eberl.

Die Kollision mit Donnarumma ereignete sich am Strafraumeck, direkt an der Torauslinie. Musiala versuchte, einen ungenauen Pass von Michael Olise, der eigentlich nicht für ihn bestimmt war, doch noch zu erlaufen. Dabei spekulierte er auf ein Missverständnis zwischen PSG-Verteidiger Willian Pacho, der dem Ball am nächsten stand, und Donnarumma, der im rechten Winkel zu beiden Spielern heraneilte. Weil der Torwart zögerte, ob er in dieser Situation aus dem Tor kommen sollte, musste er schließlich an Musiala und Pacho vorbeihechten, um den Ball irgendwie abzugreifen. Tragischerweise stürzte Donnarummas Körper auf Musialas Fuß, sodass dieser sich verdrehte.

Manuel Neuer nimmt Donnarumma dessen Betroffenheit nicht ab

„Wenn ich mit 100 Kilo und im Sprint“ auf jemanden draufspringe, sei die Gefahr groß, beanstandete Eberl. Zwar wollte er keinen Vorwurf erheben, aber mit Rücksicht habe Donnarumma nicht gehandelt, fand er. Ähnlich säuerlich äußerte sich Bayern-Keeper Manuel Neuer, der seinem Gegenüber vorhielt, eine Verletzung Musialas „in Kauf genommen“ zu haben. Zudem hielt er dem emotional sichtlich aufgewühlten Donnarumma vor, sich seiner Meinung nach anschließend nicht genügend um Musiala gekümmert zu haben und stellte sogar dessen Betroffenheit infrage. Italiener seien „sehr emotional“, da müsse jeder für sich entscheiden, ob man ihm das abnehme. Laut Neuer sei Donnarumma erst zu Jamal Musiala hingegangen, nachdem er ihn dazu explizit angehalten hatte.

Die Erregtheit der Bayern war angesichts der schmerzhaften Diagnose von Jamal Musiala nachzuvollziehen. Der Verein hatte im vergangenen Februar den Vertrag des Edeltechnikers zu fürstlichen Konditionen bis Juni 2030 verlängert. Dessen Verbleib war eine Prestigeangelegenheit, es sollte ein Zeichen an die internationale Konkurrenz sein, demnächst wieder die Champions League gewinnen zu wollen. Den letzte Titel gab es vor fünf Jahren. Um ihn herum sollte das Team aufgebaut und der Spieler selbst zur Identifikationsfigur der Fans werden, insbesondere nach dem Abschied von Müller.

Durch den Ausfall von Jamal Musiala gerät Max Eberl noch mehr unter Druck

Stattdessen gerät Eberl, der die Transfergeschäfte des Klubs verantwortet, nun noch mehr als ohnehin schon unter Druck. Zum einen offenbarten die PSG-Tore von Désiré Doué (78. Minute) und Ousmane Dembélé (90.+6) wiederh­o­lt die Unterlegenheit der eigenen Abwehr auf Spitzenniveau. Selbst nach den roten Karten für Pacho (82./grobes Foul) und Ex-Bayern-Profi Lucas Hernández (90.+2/Ellbogenschlag) ließen sich die Münchner leichtfertig auskontern. Zum anderen benötigt es zeitnah Ersatz für Musiala. Dessen Position könnte theoretisch der von den Bayern öffentlich umworbene Nick Woltemade vom VfB Stuttgart ausfüllen. Allerdings gehen die finanziellen Vorstellungen beider Seiten weit auseinander. Musialas Abwesenheit stärkt die Verhandlungsposition der Stuttgarter weiter.

Dass frische Qualität dem Spielerkader des FC Bayern durchaus guttun würde, ist angesichts des ernüchternden Gastauftritts in den Staaten mit drei Siegen und zwei Niederlagen kaum zu leugnen. Das Match gegen Paris bestätigte die Eindrücke aus den vergangenen Saisons: Der FC Bayern gehört international derzeit nur noch zur erweiterten Elite. Sollte es Eberl nicht gelingen, die Lücke, die Musiala erst mal hinterlässt, schnell zu füllen, könnte möglicherweise auch ein kurzzeitiges Engagement von Thomas Müller in Erwägung gezogen werden. Solche Spekulationen wies das Münchner Urgestein aber entschieden zurück: Sie hätten „nichts mit der Realität“ zu tun, sagte er und betonte, dass die Diskussion ihm unangenehm sei. Aus seiner Sicht sollte es um die Genesung von Jamal Musiala gehen.

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