Krise im belgischen Nationalteam

Es brennt bei Belgiens Teufeln

10. Sep 2024, 16:49 Uhr

Nach dem 0:2 in Frankreich staucht Kevin De Bruyne (rechts) seine Mitspieler zusammen und droht mit Rücktritt. (Foto: Jan De Meuleneir / Imago)
Nach dem 0:2 in Frankreich staucht Kevin De Bruyne (rechts) seine Mitspieler zusammen und droht mit Rücktritt. (Foto: Jan De Meuleneir / Imago)

Statt einem Neuanfang unter Trainer Domenico Tedesco gehen die Querelen in der belgischen Nationalelf weiter. Nach der Pleite gegen Frankreich droht Kevin de Bruyne mit Rücktritt. Das erhöht den Druck auf Tedesco – der sich mit Torwart Thibaut Courtois überworfen hat und eine Absage des formschwachen Stürmers Romelu Lukaku kassiert.

Von Sven Haist, London

Ik stop”, ließ sich deutlich von Kevin De Bruynes Lippen ablesen: Ich höre auf! Der Kapitän der belgischen Nationalmannschaft war geladen, als er am Spielfeldrand im Gespräch mit Sportdirektor Frank Vercauteren die Leistung gegen Frankreich in der Nations League aufarbeitete. Immer wieder schüttelte der Spielmacher energisch den Kopf und wiederholte, dass er seine Karriere in der Nationalelf beenden wolle. Mit seiner Rücktrittsandrohung löste De Bruyne gewissermaßen einen Höllenbrand bei Belgiens Red Devils aus, den roten Teufeln. Schon seit der WM 2022 lodert es im Team. Seinerzeit schied die Elf, auch wegen massiven internen Zerwürfnissen, in der Vorrunde aus, daraufhin traten einige Spieler sowie der damalige Trainer Roberto Martínez ab. Martínez Nachfolger Domenico Tedesco sollte das Feuer löschen und einen Generationswechsel einleiten.

“Ik stop”: Kevin De Bruyne droht mit seinem Rücktritt aus der Nationalelf.

Stattdessen kippte er Öl hinein: Gerade so zitterte sich Belgien kürzlich ins EM-Achtelfinale und schied gegen Frankreich verdient aus. Für die unambitionierte Spielweise wurde Tedescos Mannschaft nach dem letzten Gruppenspiel sogar gnadenlos ausgepfiffen. Und nun setzte es nach dem 3:1-Pflichtsieg gegen Israel die nächste empfindliche Pleite, wieder gegen Angstgegner Frankreich, diesmal ein 0:2 (0:1) in Lyon.

Man stehe mit zu vielen Spielern hinten drin, klagt Kevin De Bruyne

Mit glühend rotem Kopf schonte De Bruyne in seiner Analyse weder die Mitspieler noch den Trainer. Er sei einer der Ersten, der akzeptiere, dass die aktuelle Elf nicht mehr das Niveau von der WM 2018 habe, als die Belgier ins Halbfinale gekommen waren. Doch wenn es für die Spitze nicht reiche, müsse man zumindest alles geben und die Aufgaben erfüllen – was einige nicht getan hätten. Dies sei „inakzeptabel“. Was er meine? Das habe er in der Halbzeit klargemacht. Öffentlich werde er nichts sagen, er sei keine 18 mehr, zürnte der 33-Jährige.

Als der frühere belgische Nationalspieler Gilles De Bilde einwarf, dass das von Domenico Tedesco favorisierte hohe Pressing immerhin in der Anfangsphase funktioniert habe, fuhr De Bruyne ihn an, „taktisch nicht die richtigen Fragen“ zu stellen. Man stehe „mit zu vielen Spielern hinten drin“, klagte der Mittelfeldchef. Dadurch gebe es keine Verbindung nach vorn, nicht einmal in der zweiten Halbzeit sei das der Fall gewesen, als man zurückgelegen war. „Es ist, wie es ist“, resignierte De Bruyne. Immer wieder rieb er sich die Augen.

“Alle müssen sich beruhigen”, versucht Domenico Tedesco zu beschwichtigen

De Bruynes Fundamentalkritik, die den Eindruck hinterließ, dass die Spieler überfordert sind, versuchte Tedesco abzumildern. Für ihn sei De Bruyne ein Gewinnertyp, weshalb dessen Enttäuschung und Emotionalität normal seien. Ob er sich Sorgen mache, dass dieser tatsächlich abtreten könnte? „Darüber sollte man jetzt nicht reden. Alle müssen sich beruhigen“, fand Tedesco.

Domenico Tedesco versucht, die Kritik von Kevin De Bruyne zu rechtfertigen.

In der vergangenen Woche hatte De Bruyne in Aussicht gestellt, bis zur WM 2026 an Bord zu bleiben, sein Vertrag bei Manchester City läuft zum Saisonende aus. Sein letztes großes Ziel ist ein Titel mit Belgien, der ihm bisher verwehrt geblieben ist. Auf Klubebene hat De Bruyne bereits alle möglichen Pokale gewonnen. Im Duell mit Frankreich am Montag war er nun der letzte verbliebene Spieler aus der 2018er-Startelf. Die meisten seiner einstigen Weggefährten, darunter FC-Bayern-Trainer Vincent Kompany, haben ihre Karrieren beendet. Weil die nachkommenden Talente bisher eher nicht die hohen Erwartungen erfüllen konnten, stellt sich bei De Bruyne wohl eine gewisse Perspektivlosigkeit in der Nationalelf ein. Das erhöht den Druck auf Domenico Tedesco.

Seit der EM 2021 hat Belgien keine Topnation in einem Pflichtspiel geschlagen

Seit dem EM-Achtelfinalsieg gegen Portugal 2021 hat Belgien kein Pflichtspiel gegen eine Nation gewonnen, die sich in der Weltrangliste unter den ersten 20 befindet. Trotzdem schien Tedesco die Bedeutung der aktuellen Nations-League-Runde eher zu unterschätzen. Obwohl er in seiner EM-Analyse berichtete, dass sein Team während der EM „keinen einzigen Moment der Freude verspürt“ und es auch an Stabilität gemangelt habe, verzichtete er auf die Nominierung mehrerer bekannter Routiniers – um Platz für neue Spieler zu schaffen.

Dazu kam das Zerwürfnis zwischen Tedesco und Thibaut Courtois (Real Madrid), dem vermeintlich besten Torwart der Welt. Tedesco hatte Courtois gegen sich aufgebracht, indem er ihm in einem für diesen persönlich wichtigen Spiel vor einem Jahr die Kapitänsbinde untersagt hatte – zugunsten von Romelu Lukaku und in Abwesenheit von De Bruyne. Courtois reiste beleidigt ab, Tedesco machte die Sache publik. Seitdem bestritt der 32-Jährige kein Spiel mehr für die Nationalelf und kündigte kürzlich an, unter Tedescos Leitung nicht zurückzukehren. Zuvor hatte Sportdirektor Vercauteren in Absprache mit Tedesco Kontakt zu Courtois aufgenommen. Sein Nachfolger Koen Casteels, angestellt bei Saudi-Klub Al-Qadisiyah, ist ein solider Rückhalt, kommt aber nicht an die Klasse des eitlen Vorgängers heran.

Courtois kündigte an, unter Domenico Tedesco nicht mehr für Belgien zu spielen

Die Pointe lieferte nun der von Tedesco durchgehend gestärkte Stürmer Lukaku. Der bat seinen Trainer, ihn für diesen Länderspielblock nicht zu nominieren – weil er sich laut Tedesco dafür nicht in der richtigen Verfassung wähnte. Der 31-Jährige war erst kurz vor Transferschluss zur SSC Neapel gewechselt, nachdem ihn der FC Chelsea aussortiert hatte.

Tedescos Vertrag wurde vor der EM überraschend verlängert

Die Probleme des Teams exemplifizieren quasi die anhaltenden Querelen des belgischen Verbands. In seiner seit Februar 2023 währenden Amtszeit hat Tedesco etwa mit drei verschiedenen CEOs zusammengearbeitet, ein vierter dürfte nach dem soeben erfolgten Rauswurf von Piet Vandendriessche bald folgen. Um die sportliche Kompetenz zu erhöhen, kam zeitgleich mit Tedesco der in Russland lebende und früher dort auch trainierende Sportdirektor Vercauteren, 67, ehemals erfolgreicher Nationalspieler und -trainer des Landes. Auch Tedesco coachte einst zwei Jahre Spartak Moskau. Vercauterens Vertrag läuft zum Jahresende aus und wird nicht verlängert. Den Verlust bedauerte Tedesco, dessen eigener Kontrakt schon vor der EM überraschend bis zur WM 2026 verlängert wurde.

Die Entwicklungen im belgischen Verband dürften auch von Kevin De Bruyne beeinflusst werden. Nach seiner Unterredung mit Vercauteren schritt er auf den Platz zurück und unterhielt sich mit Frankreichs Kylian Mbappé. Der klopfte ihm auf die Schulter und flüsterte ihm ein paar aufmunternde Worte zu – vielleicht, dass er noch nicht im Nationalteam aufhören soll.

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