Granit Xhaka zum AFC Sunderland

Schweizerdeutsch in Sunderland

30. Juli 2025, 14:57 Uhr

Gibt nun beim Sunderland AFC die Richtung vor: der Schweizer Nati-Kapitän Granit Xhaka. (Foto: Max Maiwald / DeFodi Images / Imago Images)
Gibt nun beim Sunderland AFC die Richtung vor: der Schweizer Nati-Kapitän Granit Xhaka. (Foto: Max Maiwald / DeFodi Images / Imago Images)

Zwei Schweizer, ein englischer Traditionsklub: Milliardenerbe Kyril Louis-Dreyfus holt Granit Xhaka von Bayer Leverkusen zum Premier-League-Aufsteiger AFC Sunderland. Der Mittelfeldstrage soll den Aufsteiger etablieren – und löst bei seiner Ankunft Euphorie aus.

Von Sven Haist, London

Der Wechsel von Granit Xhaka zum Sunderland AFC zählt zweifellos zu den markantesten Fussballtransfers der jüngeren Schweizer Geschichte. Ausschlaggebend dafür ist vor allem die gemeinsame Schweizer Herkunft der beiden Hauptakteure: Auf Klubseite steht der 28-jährige Haupteigner und Milliardenerbe Kyril Louis-Dreyfus, auf Spielerseite der 32-jährige Nati-Kapitän Xhaka. Eine derart prominente Übereinkunft unter Landsleuten aus der Schweiz ist im internationalen Spitzenfussball eine ausgesprochene Seltenheit. Und genau dieser Umstand hat massgeblich zum Zustandekommen dieses ungewöhnlichen Deals beigetragen. Denn Xhaka, ein erprobter Champions-League-Routinier, scheint für den vergleichsweise gewöhnlichen Ligabetrieb eines Aufsteigers eigentlich überqualifiziert.

Die offizielle Bestätigung von Xhakas Verpflichtung durch den Sunderland Association Football Club ist nur noch Formsache. Der Mittelfeldstratege hält sich bereits seit Montag in Sunderland auf, wird einen Dreijahresvertrag bis 2028 unterzeichnen und soll bis zu zehn Millionen Franken verdienen – mehr als zuletzt in Leverkusen. Die Grundablöse an Bayer Leverkusen beträgt 15 Millionen Franken, hinzu kommen leistungsabhängige Bonuszahlungen von bis zu fünf Millionen. Für diesen finanziellen Kraftakt setzte sich Louis-Dreyfus persönlich über Wochen hinweg ein. Es heisst, er habe seinen stolzen Landsmann in mehreren Telefongesprächen zu einer Rückkehr nach England bewegt. Dabei vermittelte er Granit Xhaka offenbar jene Wertschätzung, die er beim Bundesligisten zuletzt vermisst haben könnte. Laut «Sport-Bild» meldete sich Leverkusens Trainer neuer Erik ten Hag nach seiner Ernennung zunächst drei Wochen lang nicht bei Xhaka. Als er später um dessen Verbleib warb, war die Entscheidung längst gefallen.

Während seiner Arsenal-Zeit erlebte Granit Xhaka den Kult um Sunderland aus der Nähe mit

Vor seinem zweijährigen Engagement bei der Werkself hatte Xhaka sieben Jahre für den Arsenal FC in London gespielt. Während dieser Zeit erlebte er aus nächster Nähe mit, welche Strahlkraft und Tradition den Kultklub Sunderland umgeben – auch wenn er selbst nie im ehrwürdigen «Stadium of Light» in Sunderland aufgelaufen ist. Beim damaligen Auswärtsmatch mit Arsenal, kurz vor Sunderlands Abstieg im Sommer 2017, fehlte er gesperrt wegen einer roten Karte. Die «Black Cats» sind mit sechs Meisterschaften eine feste Grösse im englischen Nordosten und haben durch die Netflix-Serie «Sunderland ‚Til I Die» weltweite Fussballbekanntheit erlangt. Die Tyne-Wear-Derbys gegen das nur eine halbe Stunde entfernte Newcastle United gehören zu den Höhepunkten in jeder Premier-League-Runde, da sie die tief verwurzelten Rivalitäten zweier leidenschaftlicher Fanlager entfachen. Fussballprofis schwärmen regelmässig vom eigenwilligen Charme der Region und von der Herzlichkeit ihrer Menschen.

Kaum verwunderlich also, dass Xhakas Ankunft bei den leidgeprüften Sunderland-Ultras in der strukturschwachen Arbeiterstadt eine Euphorie ausgelöst hat – vergleichbar mit der Begeisterung nach der sensationellen Rückkehr in die höchste Spielklasse, nach acht Jahren Zweit- und Drittklassigkeit. Die Reaktionen dürften den Schweizer Rekordnationalspieler nicht unberührt gelassen haben. Das «Sunderland Echo» kommentierte, dass Granit Xhaka ein «fussballerischer und emotionaler Gamechanger» für den Sunderland AFC und Louis-Dreyfus sei – ein Spieler, der das Ansehen des Klubs durch seine blosse Präsenz entscheidend verändert. Zwar ist Xhaka nicht der teuerste Transfer der Vereinshistorie, doch unbestritten der berühmteste Zuzug seit vielen Jahren.

Sein Status im Team dürfte dem eines Sonnenkönigs gleichen: Alles dreht sich um ihn

Sein Status innerhalb der Mannschaft dürfte dem eines Sonnenkönigs gleichen: Alles wird sich um ihn drehen. Seine Erfahrung und Führungsstärke sollen die jungen Mitspieler zum Klassenerhalt führen. Dafür wich Louis-Dreyfus bewusst von seiner bisherigen Strategie ab, nahezu ausschliesslich aufstrebende Talente zu verpflichten. Xhaka ist der älteste Feldspieler im Kader – mit mehr als fünf Mal so vielen Startelfeinsätze in der Premier League wie alle seine Teamkollegen zusammen.

In der Zentrale nimmt er den Stammplatz von Jobe Bellingham, der Sunderland bekanntlich für 30 Millionen Franken Richtung Borussia Dortmund verliess. Mit diesem Rekorderlös sowie den garantierten TV-Ausschüttungen in dreistelliger Millionenhöhe versucht Louis-Dreyfus, den Kader auf das Niveau der Konkurrenz zu heben. In dieser Transferperiode investierte der Klub ungefähr 100 Millionen Franken in sechs Zugänge, darunter die Rekordsumme von 30 Millionen für das Mittelfeldtalent Habib Diarra von Racing Strassburg. Solche schwindelerregenden Beträge sind für Premier-League-Aufsteiger längst keine Ausnahme mehr; bei den Mitaufsteigern Leeds und Burnley sieht es ähnlich aus. Nottingham Forest gelang es in der Saison 2022/23 als bisher letztem Verein, sich nach dem Aufstieg in der Liga zu halten – mit einem damaligen Investitionsvolumen von 200 Millionen Franken.

Kyril Louis-Dreyfus möchte seinen Klub etablieren – und sich selbst

Mit dem Xhaka-Coup demonstriert Louis-Dreyfus, dessen Vater Robert vor seinem Tod ein einflussreicher Strippenzieher im Weltfussball war, seine Verbundenheit zu Sunderland. Er verfolgt weiter den Aufbau des Vereins – und strebt auch selbst eine feste Position im internationalen Fussballmanagement an. Wäre er allein an finanziellem Gewinn interessiert, hätte er den Verein längst mit hohem Profit verkaufen können, nachdem er sich seit Winter 2021 schrittweise die Mehrheitsanteile von mittlerweile 64 Prozent gesichert hatte.

Doch er bleibt – und geht damit das Risiko ein, dass der Verein bei einem Abstieg wieder an Wert verliert. Das wiederum würde auch Xhakas Pläne durchkreuzen. Aus heutiger Sicht ist schwerlich anzunehmen, dass der ehrgeizige Granit Xhaka seiner illustren Laufbahn erstmals ein Jahr in der zweiten Liga anhängen würde. Es bleibt ohnehin abzuwarten, inwiefern er sich damit arrangiert, dass viele seiner neuen Mitspieler – ebenso wie Trainer Régis Le Bris – wohl kaum das Spitzenniveau haben, das er selbst seit Jahren gewohnt ist.

Für Sunderland schlug Granit Xhaka mehrere Angebote von Europapokalklubs aus

Seine Entscheidung für den Sunderland AFC (und gegen einige interessierte Europapokalteilnehmer) dürfte auch von Überlegungen für die Zeit nach der aktiven Profikarriere beeinflusst gewesen sein. In den letzten Jahren hat sich Xhaka in England die zweihöchste Trainerlizenz erarbeitet und mehrfach erkennen lassen, dass er sich später eine Tätigkeit als Coach vorstellen kann. «Es ist wichtig, einen Plan für die Zukunft zu haben», sagte er dazu. In gewisser Weise übernimmt er nun bereits eine solche Rolle – durch seine exponierte Stellung im Team. Er soll sein Wissen weitergeben und kann sich dabei möglicherweise selbst ein Stück weit erproben. Ein ähnlicher Austausch ist auch mit Kyril Louis-Dreyfus im Management denkbar – auf Schweizerdeutsch.

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