Arsenal in der Premier League

Nach den Idealen von Arsène Wenger

29. Mrz 2024, 11:45 Uhr

Arsenals Angriff auf die Spitze: Erstmals seit 2004 könnte der Klub wieder englischer Meister werden. (Foto: Zac Goodwin)
Arsenals Angriff auf die Spitze: Erstmals seit 2004 könnte der Klub wieder englischer Meister werden. (Foto: Zac Goodwin)

Der FC Arsenal hat sich von der Überfigur Arsène Wenger emanzipiert und gleichzeitig dessen Ideale bewahrt: Frühere Arsenal-Spieler haben das Sagen und das Team spielt mitreißend wie zu besten Wenger-Zeiten. Nun könnte der Klub die erste Meisterschaft seit 2004 gewinnen.

Von Sven Haist, London

Auf dem Weg zum FC Arsenal führt kein Weg an Arsène Wenger vorbei. Im Juli 2023 enthüllte der Verein eine dreieinhalb Meter hohe und halbe Tonne schwere Bronzeskulptur des Ewigtrainers von 1996 bis 2018 vor den Eingangstoren des Heimspielstadions in Nord-London, dessen Fertigstellung vor knapp zwei Jahrzehnten ein Herzensprojekt des Elsässers gewesen war. Sie zeigt den stilvollen Grandseigneur in seiner typischen Spieltags-Garderobe: Anzug, Weste, Hemd und Krawatte. Und auch die Pose wirkt passend: Wenger hält, wie früher, die Premier-League-Trophäe in Händen. Neben sieben FA-Cup-Triumphen, die ihn zum Rekordsieger des Wettbewerbs machen, gewann der heute 73-Jährige mit Arsenal drei Mal die Meisterschaft, 1998, 2002 und 2004 – letztere auf die ultimative Weise: ohne eine Ligapleite. Sein Team ging als Invincibles, die Unbesiegbaren, in die Historie ein.

Arsenal hat sich von Wenger emanzipiert – ohne dessen Ideale aufzugeben

Mit diesem Denkmal möchte der FC Arsenal einerseits die Lebensleistung des langwährenden sportlichen Vordenkers ehren und in Erinnerung halten. Und andererseits auch Frieden schließen mit Wengers unrühmlichem Abschied. Nach einem schleichenden Niedergang, bei dem der Klub den Anschluss an die Spitzengruppe verlor, drängte ihn der Vorstand zum Rücktritt – auch auf Druck der Fans, die sich im Stadion mit Protestaktionen seinerzeit gegen eine Fortsetzung der Zusammenarbeit ausgesprochen hatten. Seitdem ist der Verein bemüht, sich schrittweise von Wenger zu emanzipieren und sich nach dessen Idealen neu auszurichten.

Arsène Wenger besucht seine Statue vor den Stadiontoren des FC Arsenal.

In den vergangenen Jahren ist die Führungsriege der Fußball-Abteilung umfänglich ausgetauscht worden. Die Fäden ziehen nun Trainer Mikel Arteta, Manager Edu und Nachwuchsleiter Per Mertesacker, die früher jeweils unter Wenger in Arsenal gespielt hatten. Und auch der Spielerkader weist bis auf den 2016 geholten Ägypter Mohamed Elneny, der kaum zum Einsatz kommt, fast keine Gemeinsamkeiten mehr mit dem alten Wenger-Team auf. Durch den Personalwechsel auf allen Ebenen hat Arsenal die Nachwirkungen der Ära Wenger überwunden – und greift nach dem überraschenden zweiten Platz in der Vorsaison nun nach der ersten Meisterschaft seit 2004.

Guardiolas Einfluss auf Arteta ist nicht zu übersehen

Vor dem Premier-League-Spitzenspiel am Ostersonntag beim Dauermeister Manchester City führt Arsenal wegen des besseren Torverhältnisses die Tabelle vor dem punktgleichen FC Liverpool an. City ist mit einem Punkt Rückstand Dritter. Den Angriff auf die Vorherrschaft der Citizens im englischen Fußball startete Arsenal im Dezember 2019 mit der Verpflichtung von Arteta – der bis dahin als Assistent von Pep Guardiola in Manchester gearbeitet hatte. Entsprechend groß ist Guardiolas Einfluss auf den 42-Jährigen. In den direkten Duellen wirkt es bisweilen, als würden zwei Mannschaften mit fast identischen Spielstrukturen aufeinandertreffen.

Um Artetas Vorstellungen zu verwirklichen, gab Arsenal zuletzt so viel Geld für neue Spieler aus wie wenig andere Vereine – eine Dreiviertelmilliarde Euro seit 2020. Knapp ein Drittel davon entfiel auf das Herzstück der Mannschaft, das Mittelfeld um Kapitän und Spielgestalter Martin Ödegaard, Offensivallrounder Kai Havertz und Abräumer Declan Rice. Hinter den kostspieligen Investitionen steckte die Idee, so schnell wie möglich eine titelreife Equipe zu formen. Denn sonst hätte die Gefahr bestanden, dass sich Talente wie die im Klub ausgebildeten Bukayo Saka und Eddie Nketiah nach Alternativen umsehen. Dieses Szenario wollte Arsenal unbedingt verhindern.

Arsenals Kaderstruktur ist ein Gegenentwurf zu früheren Jahren

Bei den Zugängen achtete Arsenal darauf, dass es sich stets um aufstrebende und dennoch renommierte internationale Spieler handelte. So gehört die Mannschaft zu den jüngsten in England, fast alle Profis sind zwischen 22 und 26 Jahre alt. Die aktuelle Altersstruktur des Kaders gleicht einem Gegenentwurf zu den einst erfolglosen Jahren, in denen Arsenal zu viele alternde Profis mit hochdotierten Verträgen beschäftigt hatte. Um sie loszuwerden, musste der Klub bisweilen das Vertragsende abwarten oder zusätzlich Geld für eine Vertragsauflösung aufwenden. Der Umbruch erinnerte an die Anfänge unter Wenger, als er den damals verschlafenen Verein mit revolutionärem Geist auf den Kopf stellte. Dem damaligen Kurzpassspiel wurde in England sogar ein eigener Begriff gewidmet: One-Touch-Football.

Auch jetzt spielen die Gunners, die Kanoniere, wieder einen ästhetisch ansprechenden Ball mit einigen dem Verein eng verbundenen Protagonisten – so, wie sich das Wenger einst für die Zeit nach ihm immer gewünscht hatte. Insbesondere ist wieder jener Wettkampfspirit zurückgekehrt, der dem Klub unter dem auf Eigenverantwortung setzenden Führungsstil Wengers irgendwann abhandengekommen war. Dies stellte die Elf kürzlich im Achtelfinale der Champions League unter Beweis, als der hartnäckige FC Porto im Elfmeterschießen niedergerungen wurde. Erstmals seit 2010 erreichte der Klub wieder das Viertelfinale der Königsklasse und trifft dort auf den FC Bayern.

Viele Fußballfans drücken Arsenal die Daumen

Doch besitzt das Team die Beständigkeit, um ein Kopf-an-Kopf-Rennen gegen Liverpool und Manchester City zu gewinnen? Im Angriff fehlt dem Klub derzeit ein zuverlässiger Torjäger, der dafür eingeplante Gabriel Jesus fehlt oft verletzt. Dadurch verteilen sich die Tore zwar auf verschiedene Schützen: Trifft ein Spieler im Match, treffen häufig auch die anderen. Gleichzeitig gilt aber andersherum: Hakt es vorn, trifft meist gar keiner. Bei fünf der acht Saisonniederlagen erzielte Arsenal kein Tor. Durchgehend überzeugend ist in dieser Saison bisher nur die Abwehr um den Franzosen William Saliba und den Brasilianer Gabriel Magalhães. Der Verein stellt die beste Defensive in England, womöglich in Europa, und kassierte nur sieben Gegentore in elf Pflichtspielen in diesem Jahr.

Durch die sehr gute Ausgangslage ist die Stimmung beim FC Arsenal derzeit euphorisch wie lange nicht mehr und auch die Unterstützung: Viele Fußballfans drücken auf der Insel nach dem jahrelangen Dauerduell zwischen Liverpool und Manchester den Gunners die Daumen. Und einer wohl ganz besonders: Arsène Wenger.

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