FC Arsenal in der Premier League
Angespannter Arteta, angespanntes Arsenal
28. Okt 2024, 20:16 Uhr
Der FC Arsenal kommt trotz zweimaliger Führung nicht über ein Remis im Spitzenspiel gegen den FC Liverpool hinaus. Dem Team fehlt es an Leichtigkeit und Souveränität – weil Trainer Mikel Arteta den Erfolg erzwingen will.
Die Wut des FC Arsenal richtete sich einmal mehr gegen den Schiedsrichter. Diesmal pfiffen die eigenen Fans den Elitereferee Anthony Taylor aus, der aus ihrer Sicht in der 90. Minute einen Zweikampf am Strafraum fälschlicherweise unterband, der womöglich zum Siegtor gegen den FC Liverpool geführt hätte. Stürmer Gabriel Jesus erhielt nach Abpfiff wegen Reklamierens die gelbe Karte. Schon zuvor hatte Arsenal einen letztlich nicht gegebenen Elfmeter für sich beansprucht und ständig Verwarnungen für die gegnerischen Spieler gefordert. In den Interviews verweigerte Mikel Arteta einen Kommentar zu den strittigen Szenen, er ziehe es vor, sich dazu nicht zu äußern, sagte der Trainer schmallippig. Er redete dabei so aufgebracht, als würde das Match noch laufen. Artetas Auftritt verfestigte den Eindruck der Partie: Arsenal wirkt mindestens stark angespannt.
Trotz zweimaliger Führung gegen Liverpool kamen die Londoner im Spitzentreffen der Premier League am Sonntag nicht über ein 2:2 (2:1) hinaus. Vom Remis profitierte Meisterschaftskonkurrent Manchester City, das die Tabellenführung übernahm und nun einen Punkt vor Liverpool liegt. Beide Dauerrivalen haben sich an der Spitze nach neun Spieltage abgesetzt. Der Rückstand des drittplatzierten Arsenal – vor den komplizierten Auswärtsspielen bei Newcastle United und dem FC Chelsea – beträgt schon fünf Punkte. Eine solche Ausgangslage habe man nach dem ersten Saisonviertel nicht haben wollen, gab Arteta zu – und betonte zu diesem Zeitpunkt überraschend, dass seine Team absolut intakt sei und es weiter unbedingt wolle.
Arsenal fehlt es an Lockerheit und Souveränität – wie dem Trainer
Am Charakter der Mannschaft gibt es tatsächlich keinen Zweifel. Die Spieler präsentieren sich auf dem Platz stets engagiert und ambitioniert. Allerdings fehlt ihnen momentan die Lockerheit und Souveränität. Die Darbietungen entsprechen immer mehr der getriebenen Rhetorik des Trainers. Arteta möchte den Ligatitel nach zwei knapp verpassten Anläufen in dieser Spielzeit womöglich geradezu erzwingen – vielleicht auch, weil er Pep Guardiola, dem er früher bei Manchester City assistiert hatte, einmal als Trainer schlagen möchte. Guardiolas Vertrag bei City läuft zum Ende der Saison aus. Es ist fraglich, ob er erneut verlängert.
Arsenals Symptome wurden im Duell mit Liverpool erneut offensichtlich. Den euphorisch gefeierten Führungstreffer durch Bukayo Saka (9. Minute) glich umgehend Liverpools Virgil van Dijk (18.) aus. Und als Arsenal den von Mikel Merino (43.) wiederhergestellten Vorsprung in der zweiten Halbzeit eigentlich geschickt verteidigte, winkte Arteta seine Spieler vehement nach vorn. Kurz darauf beteiligten sich dann mehrere am eigenen Angriff. Doch dem Ballverlust folgte ein Liverpooler Gegenstoß, den Mohamed Salah verwertete (81.).
Liverpools Virgil van Dijk und Arne Slot witzeln über die Verbissenheit von Arsenal
Er sei „sehr enttäuscht“, das Spiel nicht gewonnen zu haben, bilanzierte Arteta bitterlich, aber zugleich stolz, weil man sich „wahrscheinlich gar nicht vorstellen“ könne, in welcher Situation sich sein Team gerade befinde. Damit meinte der Trainer wohl Arsenals Abwesenheitsliste, er musste neben einigen Ersatzspielern auf die Stammkräfte Martin Ödegaard und Riccardo Calafiori verzichten, zudem fehlte William Saliba gesperrt. Als Liverpools van Dijk später mit dem Narrativ konfrontiert wurde, dass Arsenal nach der Auswechslung von Gabriel Magalhães noch einen Ausfall zu beklagen habe, konterte er süffisant: „Ich glaube, sie hatten nur zwei …“
Mit derselben Gelassenheit wie van Dijk witzelte auch sein niederländischer Landsmann Arne Slot über den Gegner. Es habe so viele Momente gegeben, in denen Arsenals Spieler auf dem Boden lagen, was er ihnen nicht mal vorwerfe, sagte Liverpools Trainer. Aber dies sei immer passiert, wenn Arsenal am Ball war: „Ein verdammter Witz!“, habe er, Slot, seinem Verteidiger Ibrahima Konaté gesagt. Weil der Schiedsrichter das jedoch auf sich bezogen habe, bekam er die gelbe Karte. Jetzt habe er schon zwei und müsse aufpassen, lachte Slot.
Arsenal kassierte zuletzt drei Platzverweise in acht Ligaspielen
Liverpools Reaktionen veranschaulichten, dass sich Arsenals vor allem in engen Spielen oft unverfrorene Spielweise zunehmend abnutzt und bisweilen sogar zu einem Nachteil wird. In den ersten acht Ligaspielen kassierte Artetas Elf drei Platzverweise, zwei bei eigener Führung. Am Ende konnte Arsenal kein Match davon gewinnen. Bis zum Liverpool-Spiel waren das die bisher einzigen Punktverluste des Klubs in dieser Ligarunde.
Um die Dominanz von Manchester City und Liverpool zu durchbrechen, hat Arteta eine Burgmentalität entwickelt. Sie beinhaltet auch die eigene Anhängerschaft, der er immer eine Heimatmosphäre abverlangt, als würden im Arsenal-Stadion nur Finals stattfinden. Seit Beginn der Vorsaison schmettern die Zuschauer vor jedem Spiel die neue Klubhymne „North London Forever“ und lassen ihrer Unterstützung während der Partien kaum eine Atempause. Das fällt besonders deshalb auf, weil das früher so stille Stadion von gegnerischen Fans in England regelmäßig verspottet wurde. Sie bezeichneten es als „library“ – Bibliothek.
Dem Team fehlt es in Heimspielen am richtigen Umgang mit der feurigen Kulisse
Inzwischen nähert sich die Stimmung der leidenschaftliche Anfield Road in Liverpool. Dazu passt, dass sich Arsenals Fans auch am populären Liverpool-Schlachtgesang „Allez, Allez, Allez“ bedient und ihn auf die eigenen Errungenschaften umgedichtet haben. Allerdings muss sich das Team offenbar noch an die neue Kulisse gewöhnen, es mangelt in den Heimspielen noch am richtigen Maß. Gegen Liverpool schlug Arsenal erneut ein Tempo an, das sich nicht durchstehen ließ. In der Schlussphase musste Jurriën Timber mit Krämpfen den Platz verlassen, sein Vertreter beging danach den entscheidenden Stellungsfehler.
Arsenals Emotionalität scheint selbst Mikel Arteta mittlerweile ein wenig zu besorgen. Kürzlich verfügte er, dass die roten Karten – ungeachtet jeglicher Gründe – aufhören müssten. Der effektivste Weg dafür sei, einfach nicht mehr darüber zu reden. Dasselbe sollte auch für den Schiedsrichter und die Verletzungen gelten.