Abschied vom Goodison Park

Zu alt, um zu sterben

09. Juni 2025, 20:31 Uhr

Tränenreicher Abschied nach 133 Jahren: Der FC Everton sagt Goodbye zum Goodison Park. (Foto: David Blunsden / Action Plus / Imago Images)
Tränenreicher Abschied nach 133 Jahren: Der FC Everton sagt Goodbye zum Goodison Park. (Foto: David Blunsden / Action Plus / Imago Images)

Nach 133 Jahren und 2791 Heimspielen nimmt der FC Everton trännreich Abschied vom Goodison Park und zieht zur nächsten Saison in ein neues Stadion um. Doch die ehrwürdige Spielstätte bleibt bestehen – und wird nun Heimat des Frauen-Teams.

Von Sven Haist, London

Die letzten neunzig Sekunden im Goodison Park waren für die Fans des Everton Football Club die schönsten und traurigsten zugleich. Sie fühlten sich fast wie neunzig Minuten an. Zum Abschied aus dem 133 Jahre alten Stadion am vergangenen Sonntag, als das Männerteam des Everton Football Club ein letztes 2791. Heimspiel austrug, spielte eine Violinistin am Ende nochmal eine besonders schwermütige Version der berühmten Einlaufhymne des Klubs: „Z-Cars“, die Erkennungsmelodie des früheren BBC-Fernsehdramas Z-Cars.

Vielleicht war sie in diesem Moment zum ersten Mal so richtig gut zu verstehen, denn normalerweise übertönt sie der Geräuschpegel des Stammpublikums vor Spielbeginn. Doch diesmal war den Anhängern nicht zum Lärmen zumute. Die meisten saßen wehmütig auf den Tribünen und verdrückten Tränen. Die Stimmung fasste der einstige Stürmer Andy Gray so zusammen: „Wir werden den Goodison Park verlassen. Aber der Goodison Park niemals uns.“

Vor dem letzten Heimspiel wollten abertausende Menschen persönlich Goodbye sagen

Abertausende Menschen hatten am Spieltag zuvor die Straßen vor der Arena gesäumt, sie alle wollten der Grand Old Lady unter den englischen Stadien, wie sie die ehrwürdige Spielstätte im Volksmund nennen, persönlich Goodbye sagen. Es kamen letztlich deutlich mehr, als der mit rund 40 000 Zuschauern ausgelastete Goodison Park aufnehmen kann. Die Evertonians verwandelten den eigenen Stadtteil von Liverpool mit ihren blauen Rauchtöpfen, von oben betrachtet, in eine Art Unterwasserwelt. Mittendrin, auf Grund gelaufen, das Relikt Goodison Park, entworfen von Architekt Archibald Leitch, das zu den ältesten vorhandenen Fußballstadien der Welt zählt.

Ein Alptraum für Gästeteams, sagte Alex Ferguson über den Goodison Park

Die Herberge, in der einst Spieler wie Pelé, Eusébio und Franz Beckenbauer aufliefen, die den weiterhin gültigen Ligatorrekord des Stürmers Dixie Dean (60 Tore in der Saison 1927/28) erlebte und Teil von allen neun Everton-Meisterschaften war, ist zuletzt immer mehr zum Stolz des in den Abstiegskampf abgestürzten Vereins geworden. Hinter vorgehaltener Hand sagt man sich, dass es der Goodison Park gewesen war, der mit seiner speziellen Konstitution für die lebensnotwendige Heimstärke in den komplizierten zurückliegenden Saisons gesorgt hat. „Ein Albtraum für Gästeteams“ – so hatte einst Manchester Uniteds Trainer Alex Ferguson das Stadion charakterisiert.

Seine Aura erhält der Goodison Park durch sein Alter

Seine Aura erhielt Goodison Park durch sein Alter. Es hat alles gesehen und erlebt, ist nie wirklich umgebaut worden. Typisch britische rote Backsteine bilden die Fassade. Zu erreichen ist das Stadion eigentlich nur zu Fuß, es steht inmitten eines Wohnviertels. Das geht zwar auf Kosten des Komforts, zum Beispiel die Sicht ist auf manchen Plätzen eingeschränkt wegen der Betonstreben, die das Dach zusammenhalten. Vermittelt aber wie kaum noch eine andere Arena auf der Insel das Gefühl von Zusammengehörigkeit. Die Nähe zum Spielfeld sowie die engen Tribünenreihen erwecken den Eindruck, als würden die Fans stets mit auf dem Platz stehen. Die Leute sitzen so gedrängt (auf den teilweise blau lackierten Holzklappstühlen) nebeneinander, dass sie wie ein einziges blaues Menschenmeer wirken.

Die Sorge der Anhänger war groß, dass das ehrwürdige Stadion abgerissen wird

All das war kürzlich noch mal zu beobachten gewesen, als der Lokalrivale Liverpool zum 120. Merseyside-Derby im Goodison Park gastierte. In der letzten Spielsekunde glich der Verteidiger James Tarkowski für Everton aus (2:2), was mindestens so wichtig war wie der Abschlusserfolg gegen Southampton (2:0). So bleibt nämlich folgende Ergebnisbilanz stehen: 41 Siege für Everton; 38 Remis; 41 Siege für Liverpool. „Hört euch das an“, schmachtete Tarkowski damals auf dem Platz auf die Frage, was das für den Verein bedeute. Er meinte die Atmosphäre im Stadion.

Evertons Alan Ball, Meisterspieler von 1970, sagte mal über seinen Herzensklub: „Wenn Everton dich einmal berührt hat, wird nichts mehr so sein wie vorher.“ Dasselbe trifft inzwischen auch auf den Goodison Park zu. Entsprechend groß war die Sorge der Anhängerschaft, die Spielstätte könnte irgendwann nach dem Umzug in die neue Multifunktionsarena an den Bramley-Moore-Docks abgrissen und zu einer Wohlanlage werden. Doch dann gab die neue Eigentümergruppe Friedkin vor dem letzten Heimspiel überraschend bekannt, den Goodison Park erhalten zu wollen. Geplant ist jetzt, dass die Frauenmannschaft des Klubs ab der neuen Saison ihre Heimspiele dort austrägt. Damit wäre das Stadion das erste alleinige Zuhause eines Frauenteams im englischen Profifußball.

In gewisser Weise ist der Goodison Park derart alt geworden, dass er nun quasi unsterblich ist.

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