Schiedsrichter-Zoff bei Nottingham Forest

Der parteiische Vermittler

05. Mai 2024, 17:17 Uhr

Bei der Vertragsauflösung räumte Mark Clattenburg ein, dass seine Beratungsdienste zu ungewollten Reibungen geführt hätten. (Foto: Mike Egerton / Imago)
Bei der Vertragsauflösung räumte Mark Clattenburg ein, dass seine Beratungsdienste zu ungewollten Reibungen geführt hätten. (Foto: Mike Egerton / Imago)

Nottingham Forest fühlt sich im Abstiegskampf benachteiligt und engagiert Mark Clattenburg als Schiedsrichterberater. Doch die Fronten zwischen Verein und Liga verhärten sich – und auch die Reputation von Clattenburg leidet. Beide Seiten lösen den Vertrag nach zweieinhalb Monaten auf.

Von Sven Haist, London

Um den Abstieg aus der Premier League zu verhindern, lässt Nottingham Forest nichts unversucht. Der Traditionsklub aus den East Midlands investierte in dieser Saison nicht nur insgesamt mehr als 100 Millionen Pfund in neue Spieler und wechselte zum Ende der Hinrunde den Trainer aus., sondern stellte im Februar mit dem ehemaligen Weltschiedsrichter Mark Clattenburg auch noch einen Schiedsrichterberater ein – den ersten im englischen Profifußball, wie angenommen wird. Die Verpflichtung von Clattenburg galt als Reaktion auf mehrere Schiedsrichterentscheidungen, von denen sich der Klub deutlich benachteiligt gefühlt hatte.

In einem Youtube-Gespräch mit dem Reporter Jamie Martin erklärte Mark Clattenburg zu Beginn seiner Tätigkeit, dass der mit ihm gut bekannte Eigentümer des Klubs, der Grieche Evangelos Marinakis, verstehen möchte, warum gewisse Spielszenen gegen seinen Klub gewertet worden seien. Zu seinem Aufgabenbereich zähle es auch, die Mannschaft mit Unterlagen auf die Schiedsrichtergespanne vorzubereiten und die Beziehungen zwischen dem Klub und der Schiedsrichter-Organisation PGMOL zu verbessern. Denn es gehe um „dieses eine kleine Prozent“, das vielleicht drei Punkte und damit letztlich eine bessere Ligaposition einbringen könnte, führte Clattenburg aus.

Seine Beratungsdienste hätten „zu ungewollten Reibungen“ geführt, gibt Clattenburg zu

Doch nach zweieinhalb Monaten ist die Zusammenarbeit zwischen Clattenburgs Firma Referee Consultant und dem Nottingham Forest Football Club bereits wieder beendet. Und das nicht etwa, weil er den skizzierten Prozentpunkt bereits herausgekitzelt hätte. Sondern weil „die Existenz und Durchführung der Beratungsdienste zu ungewollten Reibungen zwischen dem NFFC und anderen Beteiligten geführt“ hätte, wie Clattenburg am Freitag einräumte. Er gab zu, die aufgetretenen Spannungen seien für den Klub „eher hinderlich als hilfreich“ gewesen. Sie hätten ebenfalls dazu geführt, dass er selbst „von Teilnehmern und Fachleuten unverdientermaßen ins Visier genommen“ worden sei.

Die Situation um Clattenburg eskalierte vor zwei Wochen, als Nottingham nach einer Pleite beim Abstiegskonkurrenten FC Everton drei nicht gegebene Elfmeter beklagte und indirekt die Integrität des Video Assistant Referee (VAR) Stuart Attwell anzweifelte. „Wir haben die PGMOL vor dem Spiel gewarnt, dass der VAR ein Fan von Luton Town (dem Abstiegsrivalen, Anmerkung d. Red.) ist, aber sie haben ihn nicht ausgetauscht“, schrieb der Verein in einem furiosen Post auf dem eigenen X-Account. Der Beitrag ist mehr als 45 Millionen Mal aufgerufen worden. Bei einer der Elfer-Situationen zeigte sich der Schiedsrichterchef Howard Webb später einsichtig, er hätte eine Intervention des VAR präferiert.

Nach der Niederlage beim FC Everton kritisiert Nottingham die VAR-Ansetzung von Stuart Attwell.

Nottingham greift die Integrität des Schiedsrichters an, die Premier League ermittelt

Die Premier League nahm die Kommentare aus Nottingham „mit großer Enttäuschung“ zur Kenntnis und wies die Anschuldigungen umgehend und vehement zurück. Die Integrität von Spieloffiziellen auf unsachgemäße Weise in Frage zu stellen, sei „niemals angemessen“, verfügte die Liga. Sie kündigte eine Untersuchung der Vorkommnisse an. Und der englische Verband FA klagte diesbezüglich soeben sowohl den Klub wegen „unangemessenen Verhaltens“ an als auch deren Trainer Nuno Espirito Santo und Spieler Neco Williams. Sie haben bis zum Ende der Woche Zeit für eine Stellungnahme.

Auch Mark Clattenburg, der in der Vergangenheit nicht unbedingt in hohen Tönen über die PGMOL und ihren Vorsitzenden Webb gesprochen hatte, wurde aufgrund seiner Äußerungen nach dem Spiel „formell verwarnt“. Er hatte in seiner fast an Lobbyismus grenzenden Kolumne im Boulevardblatt Daily Mail durchaus Verständnis für das Vorgehen des Klubs gezeigt, indem er betonte, dass er als Schiedsrichterchef die VAR-Ansetzung von Attwell „sicher nicht riskiert“ hätte. Clattenburgs Rolle verurteilte Sky-Experte Gary Neville: Er forderte ihn auf, sich von den schwerwiegenden Vorwürfen des Vereins gegen Attwell zu distanzieren und von seinem Beraterposten zurückzutreten. Das Statement von Nottingham Forest rügte Neville als eine „Mafiabanden ähnliche Aussage“. Der Klub soll deswegen rechtliche Schritte gegen Sky eingeleitet haben, wie wenig verwunderlich abermals der Daily Mail zu entnehmen war.

Bei Nottinghams 3:1 am Samstag gibt es erneut Misstöne, diesmal beklagt sich der Gegner

Clattenburgs Rückzug lässt vermuten, dass sich Nottingham Forest im Saisonfinale wieder mehr auf das Geschehen auf dem Platz konzentrieren möchte. Und das scheint keine schlechte Idee zu sein: Am Samstag gewann Nottingham, das kürzlich wegen Finanz-Verstößen vier Punkte abgezogen bekam, beim Tabellenletzten Sheffield United 3:1 und besitzt nun zwei Spieltage vor Schluss drei Punkte Vorsprung auf die Abstiegsränge – inklusive dem deutlich besseren Torverhältnis. Auch dieses Match lief nicht ganz ohne Kontroverse ab. Allerdings beschwerte sich diesmal der Gegner über Nottinghams angeblich irregulären zweiten Treffer.

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