Financial Fairplay in der Premier League

Premier League wird nervös

13. Feb 2024, 20:30 Uhr

"Buy now, pay later": Nach den zuletzt obszönen Transferausgaben drohen einigen Premier-League-Klubs Sanktionen. Hier äußert ein Burnley-Fan seinen Unmut über den Wechsel des Stürmers Chris Wood von seinem Verein zu Newcastle 2022. Foto: Paul Currie / Imago)

Die Premier League hat in diesem Winter so wenig Geld für Spielertransfers ausgegeben wie seit 2012 nicht mehr. Die Klubs wirken besorgt ob ihrer Bilanzen – weil die Liga ihre Financial-Fairplay-Regularien unter Druck anwendet.

Sven Haist, London

Die Premier League hat seit einiger Zeit einen neuen Gegenspieler: die britische Regierung. Zwar spaltete sich die Beletage des englischen Fußballs vor drei Jahrzehnten vom eigenen Verband FA ab, im Bestreben, sich fortan selbst zu verwalten. Doch das Vertrauen, das der Liga damals entgegengebracht worden war, verspielte sie durch das Mitwirken von sechs Spitzenklubs an der gescheiterten Einführung der sogenannten Super League im April 2021. Als Reaktion darauf übernahm das Sportministerium die Spielkontrolle, indem es die zeitnahe Gründung einer unabhängigen Aufsichtsbehörde ankündigte. Diese soll die Klubs in Zukunft überwachen: die Besitzer, die Lizenzierung, die Interessen der Fans und die Tradition. Die ersten Auswirkungen dieses Vorhabens sind in den vergangenen Wochen sichtbar geworden.

Im diesjährigen Winter-Transferfenster haben die 20 Premier-League-Klubs rund 120 Millionen Euro Ablöse für neue Spieler ausgegeben – so wenig wie seit 2012 nicht mehr, abgesehen von der durch die Pandemie beeinträchtigten Winterperiode 2021. Die Vereine verpflichteten 28 Spieler, 13 von ihnen auf Leihbasis. Mehr als die Hälfte der Klubs zahlte keine Ablöse. Damit fiel die Premier League erstmals seit Jahren sowohl europa- als auch weltweit in einer der Sommer- oder Wintertransferphasen hinter eine andere Liga zurück. Zuletzt war dies im Winter 2019 der Fall, als Chinas Super League auf dem Höhepunkt des letztlich gescheiterten Expansionsdrangs die Ausgabentabelle anführte. Und in Europa 2011, als Italiens Serie A den ersten Platz belegte. Nun wurde die Premier League von Frankreichs Ligue 1 und Brasiliens Série A überholt.

2023 machte die Premier League einen Transferverlust von zwei Milliarden Pfund

Die Zurückhaltung wirkt wie die Konsequenz der zuletzt obszönen Transferauswüchse. 2023 zahlten die Vereine allein für Spielerablösen dreieinhalb Milliarden Euro, das Minus aus dem Transfergeschäft belief sich auf zwei Milliarden. Solche Unsummen stellten selbst für das von hochvermögenden Klubbesitzern geprägte Mutterland des Fußballs ein neues Niveau der Prasserei dar. Die Zahlungsmodalitäten der meisten Spielerwechsel erstrecken sich über viele Saisons. Der Finanzexperte Kieran Maguire geht momentan von circa zwei Milliarden Pfund ausstehender Ablöseraten der englischen Klubs aus. Deren Verhalten beschrieb er im Guardian: Es sei, als würde man „im Urlaub die Kreditkarte ausreizen und in den nächsten Monaten versuchen, nichts mehr auszugeben“.

Doch trotz der Finanzstärke der Premier League scheint bei den Vereinen jetzt plötzlich das Geld nicht mehr ganz so locker zu sitzen. Sie wirken zunehmend besorgt, gegen die Rentabilitäts- und Nachhaltigkeitsregeln der Liga zu verstoßen – eine Art Financial Fairplay in England. Die Statuten erlauben ihnen bloß einen operativen Verlust von 105 Millionen Pfund innerhalb von drei Spielzeiten. Während der Pandemie konnten die Klubs ihre Einnahmeausfälle geltend machen und die Saisons 2019/20 und 2020/21 miteinander verrechnen. Das Entgegenkommen erschwerte den Regelhütern die Überprüfbarkeit der tatsächlichen Finanzsituation, sodass mögliche Sanktionen vorübergehend in den Hintergrund gerieten.

United-Coach Erik ten Hag spricht unverblümt über die Unmöglichkeit eines Transfers.

Bei der anstehenden Überprüfung für die Saisons von 2021 bis 2024 fallen allerdings erstmals die Corona-Jahre aus dem Bewertungszeitraum. Am meisten betroffen sind davon wohl die Topklubs Arsenal, Chelsea, Manchester United und Newcastle, die in den vergangenen Jahren über Gebühr in ihre Kader investiert haben. Soeben gab United-Trainer Erik ten Hag erstaunlich unverblümt zu, es sei kein Geheimnis, dass er im Januar einen weiteren Stürmer verpflichten wollte – aber dies „nicht möglich“ gewesen sei, weil der Klub die Finanzregeln einhalten müsse.

Everton ist bereits verurteilt, weitere Klubs sind angeklagt

Durch das entschiedene Vorgehen der Regierung im Vereinigten Königreich ist die Premier League unter Druck geraten. Daher möchte sie laut Maguire gerade „allen und jedem unbedingt beweisen, dass sie ihr Haus selbst in Ordnung halten“ könne. Und das bekommen die Klubs zu spüren. Im November 2023 wurde dem FC Everton wegen eines um 19,5 Millionen Pfund zu hohen Bilanzverlustes von 2018 bis 2022 mit sofortiger Wirkung zehn Punkte abgezogen – die höchste Strafe in der Premier-League-Historie. Der Verein ist gegen das Urteil in Berufung gegangen. Zwei Monate später klagte die Liga erneut Everton und Nottingham Forest wegen Missachtung der Finanzregeln an, diesmal für Vergehen zwischen 2019 und 2023. Die Sanktionen werden demnächst verkündet.

Auch Manchester City wurde bereits vor einem Jahr in 115 (!) Fällen der Finanztrickserei und unzureichenden Kooperation im Verfahren beschuldigt. Die Vorwürfe erstrecken sich hier über eine Zeitspanne von insgesamt neun Jahren, von 2009 bis 2018. Gegen Chelsea hat die Liga ebenfalls ein Ermittlungsverfahren angestrengt, mutmaßlich, weil der Voreigentümer Roman Abramowitsch angeblich über Offshore-Unternehmen immer wieder versteckte Zahlungen getätigt haben soll. Diese seien womöglich dem Klub zugutegekommen, ohne dass sie alle in den Bilanzen ausgewiesen worden seien, heißt es laut einer Recherche eines internationalen Journalistennetzwerks.

Die Anspannung überträgt sich auf die Shareholder-Treffen, sie sind von Uneinigkeit geprägt

Die Nervosität der Premier-League-Klubs scheint sich auch immer mehr in der Zusammenarbeit bei den regelmäßigen Shareholder-Treffen auszudrücken. Seit einiger Zeit herrscht Unstimmigkeit darüber, wie man mit Transfers zwischen zwei zur gleichen Besitzergruppe gehörenden Vereinen umgehen soll. Umstritten sind auch Sponsorendeals mit Firmen, die Klubeigentümern nahestehen. Am vergangenen Freitag votierten die Klubs mit knapper Mehrheit dafür, dass die Regeln verschärft werden sollen, um „die Effizienz und Genauigkeit des Systems zu verbessern“. Auf der Tagung im November waren beide Anträge abgelehnt worden – möglicherweise auch, weil der Konzern Fosun damals neben Wolverhampton noch den mittlerweile verkauften Partnerklub GC Zürich unterhielt. Wie mehrere englische Medien übereinstimmend berichten, soll das vom Emirat Abu Dhabi großflächig gesponserte Manchester City aufgrund der beschlossenen Anpassungen ein Schiedsgerichtsverfahren gegen die eigene Liga erwägen.

Der Konflikt zwischen Premier League und Football League ist weiter ungelöst

Am deutlichsten zeigen sich die von Eigeninteressen durchdrungenen Argumentationen der Premier-League-Klubs im Streitfall mit der für die unterklassigen Profiligen zuständigen Football League. Trotz jahrelanger Verhandlungen können sich beide Parteien nicht auf einen neuen Solidaritätsvertrag einigen. Daher bestellte der Sportausschuss die Liga-Vorsitzenden, Richard Masters und Rick Parry, kürzlich ins Westminster-Parlament ein. In der anderthalbstündigen Vernehmung kamen beide nur in einem Punkt überein: dass die Bestimmung, wonach am Samstagnachmittag keine Live-Spiele im TV gezeigt werden dürften, auch für den aufstrebenden Frauenfußball gelten müsse.

Amüsiert bilanzierte die Kommissionschefin Caroline Dinenage, dass die unversöhnlichen Parteien zumindest auf diese Art zusammengefunden hätten. Der neue Gegenspieler schien sichtlich Spaß an der Debatte zu haben und dürfte, zum Leidwesen der Premier League, auch noch eine Weile im Spiel bleiben.

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