Nottingham Forest
Als stünde plötzlich Robin Hood vor einem
23. Nov 2024, 16:45 Uhr
Bahnt sich die nächste Heldengeschichte von Nottingham Forest an? Der einstige Europapokalsieger mischt plötzlich die Premier League auf. Im Mittelpunkt steht der Besitzer Evangelos Marinakis, der mit dem Klub erneut Geschichte schreiben will.
Wo könnten sich besser Heldengeschichten abspielen als in Nottingham, wo Robin Hood verehrt wird wie nirgends sonst? Die Stadt mit dem berühmten Nottingham Castle gilt als die Heimat des legendären Gesetzlosen. Der Sage zufolge kämpfte Robin Hood einst im naheliegenden Sherwood Forest gegen die Tyrannei an, er stahl von den Reichen und gab es den Armen. Und nun hat die Stadt neben Burg und Bogenschützen eine weitere Attraktion: Der lange völlig von der Bildfläche verschwundene Nottingham Forest Football Club steht plötzlich nach elf Spieltagen auf dem fünften Tabellenplatz der Premier League, punktgleich mit dem drittplatzierten FC Chelsea und dem viertplatzierten FC Arsenal. Am Samstag tritt Forest zum Spitzenspiel bei Arsenal an. Die Konstellation sieht so unwirklich aus, als würde der mittelalterliche Robin Hood plötzlich vor einem stehen.
Forest ist einer von nur acht Klubs, die den Europacup-Titel verteidigen konnten
Allerdings legte Nottingham Forest eine vergleichbare Auferstehung schon einmal hin vor viereinhalb Jahrzehnten hin. Sie gehört zu den verblüffendsten Meisterstücken im englischen Fußball. Der Klub aus den Midlands, der mit seinen 159 Jahren fast so alt ist wie Robin Hoods Erzählungen, setzte sich damals quasi über alle Regeln hinweg. Nach dem Erstligaaufstieg 1977 gewann Forest in der Folgesaison unter dem populären Trainer Brian Clough direkt den bisher einzigen Ligatitel 1978 der eigenen Historie. Doch damit waren die Errungenschaften bei weitem nicht abgeschlossen: Als englischer Meister triumphierte der Klub daraufhin auch sensationell im Europapokal der Landesmeister 1979 in München (1:0 gegen Malmö) und holte den Pokal sogar nochmals 1980 in Madrid (1:0 gegen den Hamburger SV). Die Titelverteidigung macht Forest für immer zu einem der klangvollsten Namen im europäischen Fußball – denn diese haben bisher nur sieben andere Klubs bewerkstelligt.
Mit dem Abschied von Brian Clough endete die erfolgreichste Klubepoche
Mit dem Rückzug von Clough nach mehr als 18 Jahren endete 1993 die erfolgreichste Klubepoche; in seiner letzten Saison stieg Forest unter ihm aus der ein Jahr zuvor gegründeten neuen Premier League ab. Der Klub pendelte in den nächsten Spielzeiten zwischen erster und zweiter Liga. Der abermalige Abstieg 1999 hängte Nottingham Forest dann von der Elite ab – bis sich im Mai 2017 ein bedeutender Eigentümerwechsel vollzog. Der Grieche Evangelos Marinakis, der seinerzeit bereits im Besitz seines Heimatklubs Olympiakos Piräus war, kaufte der kuwaitischen Familie Al-Hasawi für 50 Millionen Pfund alle Anteile am dauerkriselnden Zweitligisten ab. Fortan pumpte er insgesamt eine beträchtliche zweistellige Millionensumme in den Verein. Sein Vermögen baute er einst in der heimischen Reederei auf.
Besitzer Marinakis wirkt in Nottingham aber nur deshalb wie ein Robin Hood, weil sein Geschäftsgebaren manchmal den Eindruck hinterlässt, es existiere für ihn keine Gesetze. Ständig werden ihm kriminelle Machenschaften vorgeworfen. Derzeit wehrt er sich in einem Londoner Verleumdungsprozess gegen einen anderen griechischen Fußballfunktionär, der ihn unter anderem mit einer angeblichen Spielmanipulation in Verbindung bringt. Kürzlich soll er nach einer Niederlage seines Klubs vor dem Schiedsrichterteam auf den Boden gespuckt haben. Englands Verband sperrte ihn deswegen für fünf Spiele.
In sieben Jahren verpflichtete der Klub knapp 150 Spieler
Marinakis‘ Impulsivität und Ungeduld überträgt sich auf seine Art der Vereinsführung. In den vergangenen sieben Jahren unter seiner Leitung verpflichtete Nottingham Forest knapp 150 Spieler. Ein Sky-Reporter analysierte zu Zweitliga-Zeiten einst treffen, Marinakis sei jemand, der seinen Klub „gestern in der Premier League haben wollte“. Die Strategie schien zu sein, es so lange zu versuchen, bis es irgendwann mit dem Aufstieg klappt. Dies war letztlich im fünften Anlauf der Fall, als der Klub in der Saison 2021/22 über die Play-offs die Rückkehr in die Premier League schaffte.
Der Guardian kommentierte, der aktuelle Erfolgslauf basiere „auf charmanter Einfachheit“. Gemeint war der Trainer Nuno Espírito Santo, der einen kompakten Defensivfußball praktizieren lässt. Damit etablierte der Portugiese bereits den Rivalen Wolverhampton Wanderers in der Premier League. Marinakis blieb dort seinem Vorgehen treu und nahm mit dem Klub in der ersten Saison 30 (!) Profis unter Vertrag – für 200 Millionen Euro. Am vorletzten Spieltag gelang damals der Klassenerhalt, in der Vorsaison war es erneut eng. Zwischenzeitlich stellte der Klub mit dem Ex-Referee Mark Clattenburg einen Schiri-Berater ein, man fühlte sich benachteiligt. Zudem zog die Liga dem Verein vier Punkte wegen Verstößen gegen das eigene Finanz-Regelwerk ab.
Der Klassenerhalt förderte den Zusammenhalt in der Mannschaft
Der Kraftakt des Klassenerhalts förderte dann den Zusammenhalt in der immer wieder umgebauten Mannschaft. In der vergangenen Transferperiode kamen für Nottingham-Verhältnisse „nur“ elf Zugänge. Darunter war Rekordkauf Elliot Anderson für 41 Millionen Euro von Newcastle United. Er gehört zu den Schlüsselspielern wie Torjäger Chris Wood (acht Ligatreffer) und Flügelspieler Callum Hudson-Odoi. An letzterem war auch mal der FC Bayern interessiert gewesen.
„Geschichte neige dazu, sich zu wiederholen“, sagt Besitzer Marinakis
Marinakis Ambitionen gehen aber über ein Mitspielen in der Premier League hinaus. Der Klub steht unmittelbar vor einer Verpflichtung des Sportdirektors Edu. Der ist dem Vernehmen nach deshalb kürzlich von demselben Posten beim FC Arsenal zurückgetreten. Es sei für einen so traditionsreichen Klub wie Nottingham Forest wichtig zu erkennen, dass „Geschichte dazu neige, sich zu wiederholen“, sagte Marinakis der BBC. Er spielte wohl auf die großen Zeiten des Klubs an. Sollten diese tatsächlich in derselben Form wieder eintreten, wäre das eine Heldengeschichte wie die von Robin Hood.