Trainerentlassung bei Tottenham Hotspur

Das freundlichste Kündigungsschreiben der Welt

08. Juni 2025, 13:21 Uhr

Zum Abschluss eine Rede wie in Hollywood: Ange Postecoglou machte sich auch um die unterhaltenden Belange bei Tottenham verdient. (Foto: Martin Dalton / Imago Images)
Zum Abschluss eine Rede wie in Hollywood: Ange Postecoglou machte sich auch um die unterhaltenden Belange bei Tottenham verdient. (Foto: Martin Dalton / Imago Images)

Ange Postecoglou beendet Tottenhams Titelfluch nach 17 Jahren und wird trotzdem spektakuklär gefeuert. Beide Seiten sind um eine stilvolle Trennung bemüht. Zurück bleibt auch eine Rede des Trainers, die in Hollywood vorkommen könnte.

Von Sven Haist, London

„And the Oscar goes to: Ange Postecoglou“: Diese Auszeichnung hätte Postecoglou für seine Performance beim Tottenham Hotspur Football Club wirklich gebührt. Denn der australische Trainer mit griechischen Ahnen machte sich seit Sommer 2023 gleichermaßen um die sportlichen wie unterhaltenden Belange seines Vereins verdient. Und legte nun am Freitagabend auch noch den vermeintlich spektakulärsten Abflug eines Trainers in der Geschichte der Premier League hin – indem ihn der Klub trotz des ersten Titels nach 17 Jahren, dem Gewinn der Europa League, feuerte.

Zwei Wochen debattierte Tottenham über die Zukunft von Postecoglou

Die Entlassung Postecoglous gleicht einem Filmriss. Zwar hat es sich abgezeichnet, dass die Zusammenarbeit mit dem Trainer enden könnte, aber das versöhnliche Saisonende begeisterte wiederum dermaßen, dass plötzlich auch wieder dessen Verbleib vorstellbar wirkte. Auf der Siegesparade vor dem heimischen Stadion hielt Ange Postecoglou zum Saisonabschluss eine Ansprache, wie sie in Hollywood vorkommen könnte. Mit klangvoll rauchiger Stimme, als hätte er zuvor eine Flasche Scotch getrunken, sein Lieblingsgetränk, raunte er der Spurs-Gemeinde (150 000 Fans) zum Ende der Titellosigkeit dramaturgisch zu: „Ich habe es gesagt, aber sie haben gelacht und nicht geglaubt […] hier sind wir, alle Helden […] wir haben es für euch getan […] und noch was: In den besten Fernsehserien überhaupt: Staffel 3 ist immer besser als Staffel 2!

Der Satz war Postecoglous Vorstoß, seinen wackelnden Posten wegen des schlechtesten Ligaabschneidens in der Vereinshistorie (Platz 17) zu retten. Tatsächlich geriet die Trennung nochmals zu einem zweiwöchigen Showdown – auf den Bahamas. Dort dachte Tottenhams Vorstand Daniel Levy bei einem Besitzertreffen mit den Familienerben des früheren Haupteigners Joe Lewis über die Zukunft Postecoglous nach, bis man sich dann doch einstimmig zu einer Veränderung entschloss.

Das Künigungsschreiben wirkt mehr wie ein Liebesbrief

Die Zerrissenheit des Klubs drückte sich in einer Stellungnahme aus, die mehr Aspekte eines Liebes- als eines Trennungsbriefs enthielt. Sie wirkte wie das weltweit freundlichste Kündigungsschreiben. Tottenham schwärmte darin, dass der Trainer einen Umbruch gemeistert, den Klub zurück zum Offensivfußball geführt und mit einer jungen Mannschaft eine großartige Grundlage geschaffen habe, auf der man aufbauen könne. Zudem habe Ange Postecoglou mit dem Pokalerfolg ein neues Kapitel in der Historie geschrieben. Er sei immer willkommen und man sei ihm zutiefst dankbar, schrieb Tottenham.

Allerdings betonte der Klub zugleich, dass man die eigene Strategie „nicht von Emotionen abhängig machen“ könne. Als Grund für das Vorgehen gaben die Spurs an, in der Premier League zuletzt nur zusammengerechnet 78 Punkte in 66 Spielen geholt zu haben. Dies vertrage sich nicht mit dem eigenen Anspruch, in allen Wettbewerben konkurrenzfähig zu sein. Wobei die Analyse direkt wieder selbst eingeschränkt wurde, indem man für Postecoglou „mildernde Umstände“ wie Verletzungen und die Europa-League-Priorisierung geltend machte. Die Tonlage griff Ange Postecoglou in einer eigenen Mitteilung auf. Er blicke mit Stolz auf seine Amtszeit zurück und kündigte an, für immer mit dem Verein in Verbindung bleiben zu wollen. Dabei hinterließ er – abgesehen von einer süffisanten Bemerkung, wonach er aus seiner Sicht den Verein so hinterlasse, dass es nicht nochmals 17 Jahre bis zum nächsten Titel dauern sollte – kein einziges böses Wort über seine Demission.

Die Situation von Postecoglou erinnerte an die von Erik ten Hag in Manchester

Aus all dem lässt sich schließen, dass sich beide Seiten über die zuletzt verfahrene Arbeitskonstellation bewusst waren und einen stilvollen und gesichtswahrenden Ausweg finden wollten. Dabei schienen sie von einer ähnlich kuriosen Situation beim Konkurrenten Manchester United vor einem Jahr gelernt zu haben. Damals rettete Erik ten Hag eine missratene Spielzeit mit dem FA-Cup-Titel. Die Verantwortungsträger bei United entschlossen sich, den angezählten Trainer überraschend zu behalten. Sechs Monate später schasste United ten Hag, was den Klub eine horrende Abfindung kostete. Denselben Fehler wollte der eiskalte Geschäftsmann Levy, dem es stets auch um die Absicherung seines eigenen, seit 2001 durchgehend bezogenen Amts geht, unbedingt vermeiden. Dafür opferte er nun Ange Postecoglou, Trainer Nummer 16 in seiner Dienstzeit.

Nach der Einstellung Postecoglous hatte Levy noch geschwärmt, man habe „unser Tottenham“ zurückbekommen. Damit meinte er den „No-risk-no-fun“-Ansatz des Trainers. Mit dem „Fun“ war es dann allerdings schnell vorbei, weil sich der „Risk“ des Hurrafußballs offenbarte. Und auch weil Ange Postecoglou unentwegt so angriffslustig auftrat, wie er spielen ließ. Er legte sich pointiert mit Fans wie Medien an, schimpfte über die Videoreferees. Nur seine Spieler ließ er stets außen vor. Bei der Titelzeremonie feierte die Mannschaft ihren Trainer mit Sprechgesängen.

Als Nachfolger wird Brentfords Thomas Frank gehandelt

Mit dem Auszug von „Big Ange“ dürfte es um die Spurs erst mal ruhiger werden. Von den gehandelten Nachfolgern, an erster Stelle Brentfords Trainer Thomas Frank, verfügt keiner über ein Entertainment-Paket wie Postecoglou. Dessen Satz „Staffel 3 besser als Staffel 2“ gehört schon jetzt zu den geflügelten Aussprüchen der Premier League. Und wie in den besten Filmstreifen wird für immer offenbleiben, ob Postecoglous dritte Saison besser geworden wäre als seine zweite.

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