Timo Werner zu Tottenham
Zweiter Anlauf für Timo Werner in London
08. Jan. 2024, 15:41 Uhr

Nach seiner schwierigen Zeit bei Chelsea kehrt Timo Werner nach London zurück, zu Tottenham Hotspur. Er möchte Spielpraxis für die EM 2024 sammeln – die er bei RB Leipzig wohl nicht bekommen hätte.
Im Rückblick auf seine Zeit beim Chelsea FC in London sagte Timo Werner der Boulevardzeitung The Sun mal in einem Interview, dass er am Ende nur noch weg wollte. Er habe das Vertrauen und die Wertschätzung des zu dieser Zeit bei Chelsea tätigen Landsmanns und Trainers Thomas Tuchel nicht mehr wirklich gespürt, begründete er seine Entscheidung. Dies sei ein harter Moment für ihn gewesen. So wechselte der Angreifer im Sommer 2022 zurück zu seinem vorherigen Klub RB Leipzig – für 20 Millionen Euro, nicht mal der Hälfte jenes auf 53 Millionen veranschlagten Kaufpreises, den die Londoner zwei Jahre zuvor für ihn bezahlt hatten.
Der Deal wirkte, als wollte auch Chelsea Werner irgendwie loswerden. Und fast genau wie damals stellt sich die Situation für den deutschen Nationalspieler nun anderthalb Jahre später dar. Er scheint erneut, so schnell wie möglich wegzuwollen, diesmal aus Leipzig – und auch Arbeitgeber RB möchte Werner wiederum, den angeblichen Bestverdiener im Kader, ebenfalls nicht länger behalten.
Werner will sich für die EM 2024 in Deutschland empfehlen
Innerhalb von wenigen Tagen haben sich RB Leipzig und Tottenham Hotspur überraschend auf eine sofortige Ausleihe des Spielers bis Saisonende geeinigt. Werner könnte zeitnah das Training seines neuen Klubs aufnehmen und sein Debüt im kommenden Premier-League-Auswärtsspiel bei Manchester United am Sonntag geben. Schon am Wochenende stand Werner nicht mehr im RB-Aufgebot beim Testspiel gegen St. Gallen (1:0). Im Rahmen der Begegnung erklärte Leipzig-Trainer Marco Rose, dass sich Werner ausleihen lassen möchte, um sich durch regelmäßige Klubeinsätze für die Nationalmannschaft im Hinblick auf die Deutschland-EM 2024 zu empfehlen. Diese könne er, Rose, ihm in der Rückrunde nicht garantieren.
Werner konnte bisher die in ihn gesetzten Hoffnungen bei seinem Wiedersehen in Leipzig selten erfüllen, sowohl in der jetzigen als auch in der zurückliegenden Spielzeit. Der 27-Jährige kam in dieser Hinrunde auf lediglich zwei Tore in 14 Pflichtspielen, nur vier Mal war er in der Startelf. Der zusätzlich durch die Kaderverstärkung im Sommer entstandene Leistungs- und Konkurrenzdruck schien dem durchaus empfindlichen Werner zuzusetzen, ebenso wie die mit seiner Rolle als vermeintlicher Königstransfer verbundenen Erwartungen im Verein. Nahezu dieselben Gründe beeinträchtigten wohl auch seine Darbietungen im ähnlich kühl auf Leistung getrimmten Chelsea-Umfeld.
Bei Tottenham haben sich viele Spieler erst im zweiten Anlauf etabliert
Im Gegensatz zu Chelsea, in dem seinerzeit der langjährige Besitzer Roman Abramowitsch ausschließlich Siege zu dulden schien, kommt Werner in Tottenham jetzt in einen Klub, der seit 2008 keinen Titel gewonnen hat. Und nach dem Wechsel des Torjägers Harry Kane zum FC Bayern ebenfalls keinen wirklichen Ausnahmespieler mehr besitzt. Die aktuelle Spurs-Mannschaft wirkt größtenteils wie eine Ballung von Spielern, die sich erst im zweiten oder sogar dritten Anlauf auf gehobenem Premier-League-Niveau etablieren konnten. Selbst der Trainer, der charismatische Ange Postecoglou, ist lange Zeit unterschätzt worden. Vermutlich ließe sich momentan kein anderer Spitzenverein finden, in dem die Protagonisten vergleichbar nachvollziehen könnten, wie es Werner zuletzt ergangen ist.
Frei von drückenden Zielvorgaben hat Tottenham in der Hinrunde die Premier League aufgemischt. Der Verein liegt aussichtsreich auf dem fünften Platz, nur sechs Punkte hinter dem Tabellenführer Liverpool. Postecoglou ist es im Eilverfahren bei den Spurs gelungen, die Gleise für seinen anvisierten Hochgeschwindigkeitsfußball auszulegen – auf denen nun auch der zugschnelle Werner fahren soll. Mit seinem Speed wirkt der gebürtige Stuttgarter wie ein weiterer Wagon im Spurs-Express. Seine Verpflichtung ist dem Vernehmen nach von Postecoglou ausdrücklich erwünscht; ein wichtiger Faktor, nachdem der Chelsea-Wechsel seinerzeit wie ein überteuerter Prestigeeinkauf des Klubs nach abgesessener einjähriger Transfersperre ausgesehen hatte. Bis Monatsende fehlt Tottenham mit Heung-min Son der beste Angreifer. Der Kapitän weilt mit Südkorea gerade bei der Asien-Meisterschaft.
Werner könnte Son ersetzen, der beim Asien-Cup ist
Sons vorübergehend frei gewordene Position auf der linken Angriffsseite könnte Werner direkt übernehmen. Die Offensivspielweise der Spurs, die überwiegend auf Schnittstellenpässe hinter die gegnerische Abwehr basiert, kommt seinen Fähigkeiten prinzipiell entgegen. Weil Postecoglou die Außenverteidiger als zusätzliche Spielmacher weit vorn ins Zentrum einrücken lässt, besetzen die offensiven Außen jeweils die Flanken. Dadurch fallen in der Theorie die sicher nicht ausgereiften Ballfertigkeiten von Werner tendenziell weniger auf als bei Chelseas Tuchel. Dort mussten die Stürmer weit mehr aus der dicht besiedelten Mitte heraus agieren als die Verteidiger. Auch Einsätze als Mittelstürmer sind denkbar; speziell, wenn sich den Spurs in Führung liegend Freiräume für Konter bieten.
Als Grund für sein Chelsea-Scheitern gab Timo Werner einst auch an, sich durch die Corona-Pandemie nur schwer im neuen Verein eingelebt zu haben. Daran dürfte es diesmal nicht liegen. Tottenham Hotspur steht nach dem United-Match eine zweiwöchige Spielpause bevor.