BVB-Rückkehr von Jadon Sancho

Für sechs Monate nach Hause

13. Jan. 2024, 07:28 Uhr

Wie in alten Tagen: Jadon Sancho gelingt bei seiner Rückkehr für Borussia Dortmund gleich eine Vorlage beim 3:0 gegen den SV Darmstadt. (Foto: Beautiful Sports / Imago)
Wie in alten Tagen: Jadon Sancho gelingt bei seiner Rückkehr für Borussia Dortmund gleich eine Vorlage beim 3:0 gegen den SV Darmstadt. (Foto: Beautiful Sports / Imago)

Jadon Sancho kehrt nach zweieinhalb Jahren bei Manchester United zu Borussia Dortmund zurück – auf Leihbasis bis Saisonende. Er möchte wieder „Fußball mit einem Lachen“ spielen, weil für ihn bei United fast alles schieflief.

Sven Haist, London

Die Freude und Erleichterung über seine Rückkehr zu Borussia Dortmund ist Jadon Sancho bisher fast in jeder Situation anzusehen gewesen. Die Vereinsmedien begleiteten den Angreifer durch seinen ersten Tag in Dortmund, sie filmten ihn zum Beispiel bei seiner Ankunft am Flughafen, im Auto zum Trainingsgelände und bei der Vertragsunterschrift. In der Regel wirken diese Hinter-den-Kulissen-Videos angestrengt, weil sich die Spieler nach einem Transfer zunächst in der ungewohnten Umgebung zurechtfinden müssen. Doch Sancho kennt beim BVB quasi alles, den Verein sowie die Protagonisten. Aufgrund dieser alten Verbundenheit sagt Sancho, 23, dass sich seine Ausleihe von Manchester United zu Borussia Dortmund bis Saisonende anfühle, als würde er „nach Hause kommen“. Dabei hörte er sich wie ein junger Mann an, der einst früh, womöglich zu früh von zu Hause ausgezogen ist und diese Zeit nun irgendwie nachholen möchte.

Als einer der weltweit hochgehandelten Fußballer wechselte Sancho im Sommer 2021 aus der Bundesliga in die Premier League – zu Manchester United. Die auf 75 Millionen Euro vereinbarte Ablösezahlung machte ihn nach Paul Pogba und Harry Maguire zum drittteuersten United-Spieler überhaupt. Nach vier Ausbildungsjahren beim BVB, der ihn 2017 aus der Jugendakademie von Manchester City abgeworben hatte, hielt sich Sancho bereit, dem Druck bei Englands Rekordmeister standzuhalten. Allerdings schien er sich damals bezüglich Reife und Professionalität zu überschätzen – und die Herausforderung beim dauerkriselnden United zu unterschätzen.

Sanchos Wechsel zu United glich einem Prestigetransfer

Sanchos Wechsel glich sowohl von Spieler- als auch Klubseite mehr einem Prestige- als einem Sachtransfer. Der Jungprofi wollte sich durch Spiele in der Premier League für die englische Nationalmannschaft empfehlen, für die er zwar stets nominiert war, aber fast nie zum Einsatz kam. Auch weil sich die Landsleute für seine Erfolge in der Bundesliga allenfalls gelegentlich interessierten hatten. Und United hatte die Idee, sich einen vermeintlichen englischen Topfußballer der Zukunft zu einem noch erschwinglichen Preis zu sichern.

Dass der Deal jeweils mehr Risiko als Chance war, ließ sich schon daran erkennen, dass United seinerzeit mit Marcus Rashford und Mason Greenwood zwei ähnlich talentierte Außenstürmer hatte. Und das Eigengewächs Rashford die auch von Sancho bevorzugte linke Seite für sich beanspruchte, weshalb der eigentliche „Königstransfer“ nicht selten ausweichen musste. Der Zeitpunkt des Transfers wirkte ähnlich ungeschickt: inmitten der EM 2021. Bei dieser kam Sancho auch wegen der Unruhe um ihn kaum zum Einsatz. Trotzdem wählte ihn Englands Nationaltrainer Gareth Southgate fatalerweise als Schützen für das Elfmeterschießen im verlorenen Finale aus – Sancho verschoss.

In seiner besten Phase kam Sancho auf fünf Torbeteiligungen in sechs Spielen

Und als er mit diesem einschneidenden Erlebnis kurz darauf seinen Dienst in Manchester antrat, wartete gleich die nächste Ernüchterung auf ihn: United holte Cristiano Ronaldo zurück. Für diesen gab Mitspieler Edson Cavani freiwillig die Trikotnummer „7“ auf; nicht aber zuvor für Sancho, dem diese Nummer in Dortmund gehörte. Ebenso behielt Rashford die von Sancho gleichfalls geschätzte „10“, die er nun im zweiten BVB-Anlauf erhält. Damit wurde dem designierten Hoffnungsträger subtil mitgeteilt, wo er sich in der Teamhierarchie einzuordnen hatte.

Von diesen Rückschlägen erholte sich Sancho erst ein halbes Jahr später, als er mit dem Interimstrainer Ralf Rangnick einen Förderer besaß. Er kam im Februar und März 2022 auf fünf Torbeteiligungen in sechs Ligaspielen – seine beste Phase in Manchester, bevor ihn eine Mandelentzündung zum vorzeitigen Saisonende zwang. Den sukzessiven Aufschwung setzte Sancho in der darauffolgenden Saison unter dem neuen Trainer Erik ten Hag fort. Er schoss ein Tor gegen Liverpool und den Siegtreffer gegen Leicester.

Nach dem Antony-Transfer fiel Sancho in ein Leistungsloch

Doch dann verpflichtete United auf den letzten Drücker plötzlich ohne offensichtliche Notwendigkeit den Dribbelspezialisten Antony, mit dem ten Hag jahrelang bei Ajax Amsterdam zusammengearbeitet hatte – für stark überzogene 95 Millionen Euro. Von der Spielanlage entspricht Antony Sancho geradezu in fast allen Belangen. Floglich fiel Sancho in ein tiefes Leistungsloch und wurde erwartbar nicht für die Winter-WM 2022 nominiert (sein letzter England-Einsatz datiert vom Oktober 2021). Als Reaktion nahm ihn ten Hag aus dem Kader und befahl ihm ein Aufbautraining in den Niederlanden. Kryptisch und offenbar nicht abgesprochen erklärte ten Hag seinerzeit, dass Sancho „an einer Kombination aus körperlichen und mentalen Problemen“ arbeiten müsse.

Nach diesen Ereignissen schien sich die Beziehung zwischen dem manchmal nicht manierlich auftretenden Sancho und dem immer disziplintreuen ten Hag nicht mehr richtig kitten zu lassen. Im Frühjahr 2023 kehrte Sancho wieder in den Kader zurück und kam fortan wieder regelmäßig zum Einsatz – aber zu Beginn dieser Saison ging das Verhältnis endgültig zu Bruch. Ten Hag erklärte eine Kader-Nichtberücksichtigung von Sancho mit dessen Leistungen im Training. Sancho warf seinem Vorgesetzten als Reaktion in einem Statement indirekt vor, gelogen und ihn zum Sündenbock gemacht zu haben. Weil er sich dafür dem Vernehmen nach nicht aufrichtig entschuldigte, wurde er im vergangenen September aus der ersten Mannschaft suspendiert.

Diese Situation gab Dortmund die Gelegenheit, Sancho zurückzuholen. Gemeinsam mit dem ebenso geliehenen Linksverteidiger Ian Maatsen von Chelsea soll Jadon Sancho die Kehrtwende beim BVB in der Rückrunde einleiten – und damit auch eine für seine Karriere. Auf der Autofahrt zur Geschäftsstelle sagte er, dass er beim BVB wieder „Fußball mit einem Lachen“ spielen wolle.

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