Liebesbeziehungen im Fußball

Sind Liebesbeziehungen im Team kritisch?

19. Mrz 2024, 18:36 Uhr

Sind Liebesbeziehungen im Team kritisch? Jess Carter, die rechts im Bild mit ihrer Partnerin Ann-Katrin Berger die Meisterschaft 2023 feiert, findet eher die Aussage ihrer Trainerin problematisch. (Foto: Nigel French / Imago)
Sind Liebesbeziehungen im Team kritisch? Jess Carter, die rechts im Bild mit ihrer Partnerin Ann-Katrin Berger die Meisterschaft 2023 feiert, findet eher die Aussage ihrer Trainerin problematisch. (Foto: Nigel French / Imago)

In der Women’s Super League sind zwei Trainer wegen Liebesbeziehungen zu ihren Spielerinnen abgesetzt worden. Chelsea-Coach Emma Hayes hält auch Liebschaften zwischen Mitspielerinnen für «unangemessen» – und differenziert nach Kritik aus dem eigenen Team ihre Aussage.

Von Sven Haist, London

Emma Hayes ist eine der renommiertesten Fussballtrainerinnen und Botschafterinnen ihres Sports. Die Engländerin betreut seit August 2012 die Frauenmannschaft des Chelsea FC und führte den Klub jüngst zu vier Meisterschaften in Serie. Die Titel haben Hayes’ Ruf gleichermassen geprägt wie ihr Mut, immer wieder über die Herausforderungen ihrer Tätigkeit zu sprechen. Damit hat sie mitgeholfen, die Bedingungen im englischen Frauenfussball für Spielerinnen und Trainerinnen zu verbessern. Auch am vergangenen Donnerstag äusserte sich die 47-Jährige an einer Pressekonferenz wieder zu einer laufenden Debatte: Liebesbeziehungen im Frauenfussball.

Nach der Suspendierung des Frauentrainers Willie Kirk von Leicester City, der eine Beziehung zu einer seiner Spielerinnen unterhalten haben soll, wurden sämtliche Coachs der Klubs in der Women’s Super League (WSL) zur Akzeptanz solcher Liebschaften befragt. Zum Schutz aller Beteiligten verurteilten sie durchgehend Beziehungen von Spielern und Spielerinnen zu ihren jeweiligen Trainern. Am deutlichsten formulierte es die Aston-Villa-Trainerin Carla Ward, die Trainer-Spieler-Verhältnisse für «grenzüberschreitend» und «inakzeptabel» hält. Auf Nachfrage, ob sie darin einen Entlassungsgrund sehe, sagte sie: «Ja, zu 100 Prozent.»

Chelsea-Abwehrspielerin kritisiert indirekt die eigene Trainerin

Auch Hayes hält Konstellationen dieser Art für «unangemessen» – sie fügte aber hinzu, dass dies aus ihrer Sicht auch für Beziehungen zwischen Spielerinnen eines Teams gelte. Sie begründete ihre Meinung mit einigen damit verbundenen Herausforderungen: Eine Spielerin sei im Kader, die andere nicht. Die eine habe einen auslaufenden Vertrag, die andere nicht. Oder die eine kämpfe mit der anderen um eine Position im Team.

Hayes’ Einschätzung löste Entrüstung aus – auch innerhalb ihrer eigenen Equipe. In der Women’s Super League gibt es zahlreiche prominente Paare, etwa das Chelsea-Duo Jessica Carter und Ann-Katrin Berger. Lange Zeit waren auch die Schweizer Nationalspielerinnen Ramona Bachmann und Alisha Lehmann zusammen. Sie lebten gemeinsam in London, wenngleich sie dort für unterschiedliche Vereine kickten. Die 26-jährige Carter stellte sich indirekt gegen ihre Trainerin – ohne sich allerdings öffentlich gegen sie auszusprechen –, indem sie mehrere kritische Social-Media-Beiträge mit einem Like versah. Zum Beispiel einen Kommentar, in dem die Auffassung von Hayes als «jenseits des Wahnsinns» bezeichnet wurde.

Jess Carter versah mehrere kritische Social-Media-Posts zur Aussage ihrer Trainerin mit einem Like. (Foto: Screenshot / X-Account von JessCarter)

Tags darauf gestand Hayes nach dem WSL-Spitzenspiel zwischen Chelsea und Arsenal (3:1), in dem die Chelsea-Spielerinnen die Tabellenführung verteidigten, sich mit ihrer Aussage zu Spielerinnenverhältnissen «selbst enttäuscht» zu haben. Es sei «nicht richtig» gewesen, die Liebesbeziehungen der Spielerinnen als unangemessen zu bezeichnen, stellte Hayes klar. Derweil habe sie mit Carter und den anderen Spielerinnen «natürlich» über die Sache gesprochen. Sie nehme «diese Dinge» – wohl ihre Betrachtung – zwar nicht zurück, der Umgang mit Liebschaften im Team sei für einen Coach komplex. Doch sie kritisiere keine ihrer Spielerinnen für irgendetwas.

Liebesbeziehungen zwischen Mitspielern sind keine Ehrverletzung

Diese Differenzierung ist von enormer Bedeutung. Denn viele Menschen lernen sich am Arbeitsplatz kennen, sei es im Fussball oder in anderen Tätigkeitsfeldern. Aus Liebesbeziehungen zwischen Mitspielerinnen lässt sich keine erkennbare Ehrverletzung ableiten. Liverpools Trainer Matt Beard erklärte deshalb, er sehe diesbezüglich «keine Probleme». Für ihn sei nur wichtig, dass sich ein Verhältnis nicht auf die tägliche Arbeit auswirke.

Eine Trennung zwischen Berufs- und Privatleben scheint bei Verhältnissen zwischen Trainern und Spielern jedoch nicht gegeben zu sein. Dabei ist der potenzielle Interessenkonflikt genauso von Belang wie das Machtgefälle. Beides lässt eine unbedenkliche Zusammenarbeit kaum zu – auch weil fast nicht zu überprüfen ist, inwieweit Beziehungen einvernehmlich sind.

Im stark wachsenden Frauenfussball nehmen Trainer und Manager mit ihren Entscheidungen weitreichenden Einfluss auf den Verlauf von Karrieren. Aus diesem Grund fordert die Zeitung «Telegraph» ein flächendeckendes Beziehungsverbot, sobald ein «Machtungleichgewicht» bestehe. Laut der Zeitung gibt es mindestens 36 solcher Beziehungen in den sechs englischen Frauenligen.

Die Zeitung «Telegraph» fordert ein Verbot von Trainer-Spieler-Liebesbeziehungen

Bisher wurden Liebesbeziehungen zwischen Spielerinnen und Coachs im englischen Fussball nicht grundsätzlich ausgeschlossen, es sei denn, Minderjährige sind involviert. Allerdings können Beziehungen gegen die Verhaltensvorschriften verstossen, die für die Vereine eine Voraussetzung für die Lizenzerteilung darstellen. Auf dieser Basis hat Sheffield United im Februar den Frauen-Coach Jonathan Morgan entlassen: Er war dem Vernehmen nach an einer seiner vorherigen Stationen ein Verhältnis mit einer Spielerin eingegangen.

Die jüngsten Entwicklungen halten den Druck gegenüber den Klubs und Verbänden aufrecht, die eigenen Normen weiter zu schärfen. Der Frauenfussball habe sich von einem «Amateur- zu einem Profisport» gewandelt, sagt Hayes. Das heisst, es müssten Mindeststandards geschaffen werden, um die Spielerinnen zu schützen. Ab Sommer wird Emma Hayes darauf als Nationaltrainerin der USA einwirken.

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