Aston Villa in der Champions League

Erinnerung an die Goldgräberjahre

16. Apr. 2025, 13:56 Uhr

Trotz famoser Aufholjagd scheiter Aston Villa knapp an Paris Saint-Germain - weil deren Torwart Gianluigi Donnarumma über sich hinauswächst. (Foto: Richard Callis / Imago Images)
Trotz famoser Aufholjagd scheiter Aston Villa knapp an Paris Saint-Germain - weil deren Torwart Gianluigi Donnarumma über sich hinauswächst. (Foto: Richard Callis / Imago Images)

„Der Ruhm liegt in der Enttäuschung“: Fast gelingt Aston Villa beim Zwischenstand von 1:5 die womöglich größte Auferstehung in der Historie der Champions League. Doch am Ende fehlt ein Tor gegen Paris Saint-Germain. Auf der Tribüne verdrückt Kronprinz William ein paar bittere, aber stolze Tränen.

Von Sven Haist, Birmingham

Sogar Prinz William, dessen Wünsche als Thronfolger von König Charles in der britischen Monarchie normalerweise immer erfüllt werden, konnte am Dienstagabend nichts bewirken. Er war als Zuschauer, gemeinsam mit seinem ältesten Sohn, in einer Ehrenloge des Stadions Villa Park genauso auf die Fußballgötter angewiesen wie alle anderen Fans des Aston Villa Football Club. So bewies er, dass auch die zurückhaltenden Royals Emotionen haben. Den Kronprinz wühlte das erste Viertelfinale seines Vereins in der Champions League derart auf, dass man sich fast Sorgen machen musste, die Leibwächter könnten ihm im Namen des Vereinigten Königreichs aus gesundheitlicher Vorsichtsmaßnahme verbieten, das spektakuläre Rückspiel gegen Paris Saint-Germain weiter zu verfolgen.

Die Pariser verspielten schon einmal einen riesigen Vorsprung

William, 42, gestikulierte, schimpfte, klatschte, jubelte, hoffte, zitterte genau in dieser Reihenfolge – und schien dann na­ch Abpfiff ein paar bittere, aber stolze Tränen zu weinen. Die Gefühlslage des prominentesten Zeitzeugen eines für das Vereinsarchiv von Villa besonderen Erlebnisses vermittelte das Ausscheiden gegen die Pariser präziser als jede Analyse. Trotz dem Zwei-Tore-Rückstand aus dem Hinspiel (1:3) wäre es dem Traditionsverein aus der Birminghamer Vorstadt Aston fast gelungen, die Gesamtwertung zu drehen. Dabei lag man im Rückspiel durch weitere Gegentreffer von Achraf Hakimi (11. Minute) und Nuno Mendes (27.) bereits zusammengerechnet 1:5 hinten. Wobei man dem gewieften Europapokaltrainer der Villans, Unai Emery, 53, zutrauen musste, einen solchen Zwischenstand eventuell einkalkuliert zu haben, um die Pariser vermeintlich in Sicherheit zu wiegen.

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Nachlässigkeit wollten die Gäste zwar unbedingt vermeiden, nachdem sie vor acht Jahren mal – unter dem damaligen Trainer Emery! – durch ein beispielloses 1:6 gegen den FC Barcelona einen 4:0-Hinspielsieg versenkt hatten. Aber was sollte diesmal schiefgehen, wo nur noch eine Stunde zu spielen gewesen war? In ähnlicher Vorstellung kickten die Pariser anschließend vor sich hin. Die Villans hingegen bewiesen eine Mentalität wie im Mittelalter und gewannen tatsächlich noch 3:2 durch Tore von Youri Tielemans (34.), John Mc Ginn (55.) und Ezri Konsa (57.). Doch der entscheidende vierte Treffer, der die Verlängerung eingebracht hätte, fiel nicht.

In der Schlussphase sank Trainer Emery mehrmals auf die Knie

Bei jeder verpassten Chance sank Emery auf die Knie und dann auf den Bauch, sodass es wirkte, er würde die Schlussphase mehr liegend als stehend verfolgen. Entweder scheiterte Aston Villa am PSG-Wachturm Gianluigi Donnarumma, an den eigenen Nerven oder in der Nachspielzeit an dem auf der Linie rettenden Abwehrspieler Willian Pacho. Dass Prinz William nicht auch den Emery machte, lag vermutlich daran, dass es auf der Tribüne so eng zuging, dass man nicht umfallen konnte.

„Heiroic failure“, heroisches Scheitern, mitleidamüsierte sich die Boulevardzeitung Sun in einem königlichen Wo­rtspiel – „heir“ heißt im Deutschen Erbfolger. Er sei auf alles stolz, was man geleistet habe, sagte Emery gerührt. Es sei nun das Wichtigste, sich abermals für die Champions League zu qualifizieren. Dafür muss Aston Villa einen der ersten fünf Tabellenplätze in der Premier League belegen, einen zusätzlichen fünften Startrang haben sich die Engländer schon jetzt aufgrund des starken internationalen Abschneidens erspielt. Derzeit steht Villa mit einem Punkt hinter dem Fünften Manchester City auf Platz sieben. Letztmals hatten die Villans vor 42 Jahren am europäischen Elitewettbewerb teilgenommen, damals als Titelverteidiger, nachdem man den FC Bayern im Finale 1982 besiegt hatte.

„Wollt ihr gegen uns wetten?“ – Ein legendäres Villa-Zitat wurde zum Motto des Abends

In einem Einspielfilm auf den Stadionmonitoren vor dem Einlaufen der Mannschaften erinnerte der Verein an die eigenen Goldgräberjahre. Der Motivationsstreifen endete mit einer legendären Aussage des damaligen Villa-Bosses Ron Saunders, der den Zweiflern an seinem Team vor dem Meisterschaftsgewinn 1981 folgendes erwiderte: „Wollt ihr gegen uns wetten?“ Diese Botschaft wirkte wie ein passendes Motto für diesen Abend. Mit einer riesigen Choreografie trieben die Fans ihr Team zusätzlich an. Darauf zu sehen waren die berühmten Eisentore vor dem Holte End – so ist eine Tribüne nach dem früheren Besitzer Thomas Holte benannt. Dazu waren zwei Löwen mit aufgerissenem Mund abgedruckt, das Klubemblem, sowie der Schriftzug: „This is Villa Park“.

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Gemeint war damit ein wenig gastfreundliches Ambiente für die Pariser, das sich aus rauen Stahltribünen, einem ungemütlichen Sturmregen und einer furchteinflößenden Lautstärke zusammensetzte. Dass versehentlich sogar die Hymne der Europa League statt der Champions League erklungen war, verstärkte den Eindruck, dass an der Trinity Road alles denkbar gewesen war. Die Villans griffen in der Analogie des Löwen über ihre Mächtigkeit an, PSG versuchte dem offenen Schlagabtausch über Geschicklichkeit zu entkommen. Die Pariser kombinierten zunächst schnell, dann packten die Krallen des Löwen zu, bekamen die Beute aber nicht ganz zu fassen. „Durch ein Mauseloch entkommen“, pustete die französische Sportzeitung L’Équipe später erleichtert durch.

Paris hat nun zum vierten Mal in sechs Jahren das Halbfinale erreicht

In drei von sieben Fällen hatte PSG zuletzt in der Champions League einen Vorsprung von mindestens zwei Toren eingebüßt. Es wäre die nächste fürchterliche Fata Morgana für den aus dem Wüstenregime Katar alimentierten Verein gewesen, der sich seit diesem Einstieg 2011 immer in Sichtweite des sehnlichen Henkelpokals wähnt. Im Vergleich zu den anderen Versuchen hat diese Elf Charisma. Sie ist so sehr auf einen beweglichen Ballbesitzfußball von Trainer Luis Enrique getrimmt, dass sie diesen selbst gegen Aston Villa unter größter Anspannung am Ende nicht vergaß. Deshalb steht die Pariser Edelfußballmanufaktur im Halbfinale der Champions League, zum vierten Mal in sechs Jahren. Man sei diesmal ein „glaubwürdiger Kandidat“ auf den Finalsieg in München am 31. Mai, befindet die Tageszeitung Parisien.

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Für das große Comeback hat es für Aston Villa knapp nicht gereicht. Aber die BBC rief dem Verein zu, dass diesmal „in der Enttäuschung der Ruhm gelegen“ habe. So dürfte das auch Prinz William gefühlt haben.

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