FC Arsenal in der Champions League

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29. Apr. 2025, 12:56 Uhr

"Trust the process": Mikel Arteta hat den FC Arsenal zurück in die nationale und internationale Elite geführt. (Foto: David Klein / Sportimage / Imago Images)

Mikel Arteta hat den FC Arsenal mit viel Geld und Geduld ins Halbfinale der Champions League gegen Paris Saint-Germain geführt. Dabei ließ er sich von den Konkurrenten Manchester City und Liverpool inspirieren – und schulte seine Mannschaft in Bereichen, auf die beide nicht besonders Wert legen.

Von Sven Haist, London

Das Warten auf die Blütezeit des Arsenal Football Club stellte die eigenen Anhänger auf eine Geduldsprobe, es war, wie dem hauseigenen Olivenbaum auf dem Vereinsgelände beim Reifen zuzusehen. Eine Minipflanze bringt Arsenals Trainer Mikel Arteta immer mal wieder in Mannschaftssitzungen mit, um seine Spieler dafür zu sensibilisieren, sich im übertragenen Sinn jeden Tag um die Wurzeln zu kümmern. Nur so könne man sicherstellen, dass diese nicht beschädigt, sondern in einem guten Zustand seien, sagt er. Das Beispiel mit dem Olivenbaum, der noch älter ist als der 1886 gegründete Verein, versinnbildlicht seine Bitte, die er seit seiner Einstellung im Dezember 2019 unermüdlich an alle im Verein vorträgt: die Ruhe zu bewahren und sich auf ihn zu verlassen. „Trust the process“, nennt er das.

Der Transferverlust von Arsenal unter Mikel Arteta beträgt mehr als eine halbe Milliarde Euro

Artetas Leitsatz hat rund um Arsenal inzwischen eine vergleichbare Bekanntheit erlangt wie das wunderbare geflügelte Sprüchlein „Arsène knows“, mit dem die Anhängerschaft ehemals ihr Urvertrauen in die Entscheidungen des ewig amtierenden Arsène Wenger ausgedrückt hatte. Wann immer der Verein ins Straucheln geriet, waren die Fans überzeugt, dass Wenger schon wisse, was zu tun sei, um wieder auf Kurs zu kommen. In seinen letzten Spielzeiten musste er aber viel Kritik einstecken, weil Arsenal finanziell und dann auch sportlich abgehängt worden war. Der Grandseigneur hatte früh durchgesetzt, ein neues Stadion zu bauen, das man größtenteils ohne Unterstützung der Besitzer finanzieren musste. Letztlich bewies Wenger auch hier, warum es „Arsène knows“ hieß – weil nämlich Mikel Arteta, der einst unter dem Elsässer gespielt hatte, nun die dadurch generierten Einnahmen zum Wiederaufbau seiner Mannschaft nutzen konnte. Der Transferverlust in der Amtszeit des Basken beträgt mehr als eine halbe Milliarde Euro.

Die Spielweise entspricht der von Manchester City, das Auftreten dem von Arsenal

Artetas langer, beschwerlicher Prozess hat sich offenbar gelohnt. Er hat Arsenal zurück in die nationale und internationale Elite geführt. Zum dritten Mal nach 2006 und 2009 steht der Verein im Halbfinale der Champions League, für den Henkelpokal hat es bisher noch nie gereicht. Am Dienstag empfangen die Gunners im Hinspiel den französischen Meister Paris Saint-Germain. Um den Klub in diese Position zu bringen, hat Mikel Arteta, 43, alles Pflanzliche und noch viel mehr versucht. Dabei ließ er sich neben seinen eigenen Ideen von den führenden Fußballbetrieben in England inspirieren, von Liverpool und Manchester City, dessen Trainer Pep Guardiola er vor seinem Wechsel nach London assistiert hatte. Seine Strategie beinhaltet, die Erfolgsmittel der Hauptkonkurrenten als Grundlage zu nutzen, um sie dann mit ihren eigenen Waffen zu schlagen. Die Spielweise von Arsenal entspricht der von Manchester City, das Auftreten dem von Liverpool.

Unter Arteta hat sich auf dem Platz eine dominante Ballbesitzstruktur entwickelt, die Übereinstimmungen mit der von City aufweist. Die Gunners können sich einen Gegner geduldig zurechtlegen und so lange den Ball hin und her kombinieren, bis sich eine Lücke öffnet. Mikel Arteta macht keinen Hehl aus seiner Bewunderung für Guardiolas taktische Überlegungen, er bezeichnet ihn als Inspiration. Genauso äußert er sich über Jürgen Klopp, der zu seinen Liverpooler Zeiten vor allem die Kraft von Emotionen und Zusammengehörigkeit nutzte. Auch Arteta betont stets die Bedeutung der Fans und fordert gegen PSG eine mächtige Geräuschkulisse ein. „Bringt Fußballschuhe, Schienbeinschoner, Trikot und Hose mit!“, rief er den Anhängern zu.

Neuerdings singen die Arsenal-Fans eine eigene Hymne

Neuerdings singen diese vor dem Anpfiff eine eigene Hymne, angelehnt ans Liverpooler Vorbild „You’ll never walk alone“. Sie wurde von einem Mitglied erstellt, soll die Stimmung im Stadion anheizen und trägt den Titel „North London Forever“ (Für immer Nord-London), was sich auf die geografische Lage des Vereins bezieht. Sogar das feurige Coaching an der Seitenlinie hat Mikel Arteta mit dem Deutschen gemein sowie bisweilen dessen Jubel, den er mal nach einem Ligasieg über Klopps Liverpool frech nachahmte – und in gewisser Weise auch dessen Schiedsrichterschelten. Arteta beschwert sich gleichfalls regelmäßig wortgewaltig über Fehlentscheidungen gegen seine Mannschaft.

Sein Vorgehen wurde in England teilweise skeptisch aufgenommen. Arteta wurde vorgeworfen, die Gegner zu plagiieren. Solche Anschuldigungen konterte er immer, er habe sich nie mit „Copy and Paste“ versündigt, sagt er. Tatsächlich wäre es wohl eher ein „Copy and Create“, weil Mikel Arteta sein Team auch in Bereichen geschult hat, auf die Manchester City und Liverpool zuletzt keinen besonderen Wert gelegt haben. Dazu zählen Tore nach einstudierten Varianten bei Ecken und Freistößen, oder auch, einen Vorsprung über längere Zeit mit wenig Ballbesitz über die Zeit zu bringen. In diesen Fällen dehnt Arsenal die Regeln durch etwaige Rempeleien, Spielverzögerungen und Provokationen bis an den Rand der Legalität. Mentale Spielchen seien doch normal im Fußball, äußerte Arsenals Verteidiger Gabriel Magalhães mal nach einem Ligaduell mit Manchester City. Die Methoden erzielten Wirkung: Seit zwei Saisons hat Arsenal kein Match gegen Manchester City und Liverpool verloren; zuvor hatte es Niederlagen in Serie gehagelt.

Standardsituationen und tiefes Verteidigen sind Stärken von Arsenal

All das wird sein Team im Aufeinandertreffen mit den Himmelsstürmern aus Paris benötigen, um zum zweiten Mal nach 2006 das Königsklassenfinale zu erreichen; damals unterlag Arsenal Barcelona nach einer frühen roten Karte für Torwart Jens Lehmann (1:2). In der Liga setzte es sich zuletzt wohl etwas zu sehr unter Druck, die Meisterschaft hat Arsenal erneut verpasst, auch weil es die meisten Platzverweise aller Klubs hinnehmen musste. Kurzzeitig schien Mikel Arteta selbst ein wenig Vertrauen in seinen Prozess zu verlieren. Doch die Ergebnisse in der Champions League haben ihn gestärkt. Arsenals Baum ist unter ihm wohlgediehen – nur die Ernte fehlt noch.

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