Freistöße von Declan Rice

Kick it like Declan

09. Apr. 2025, 18:45 Uhr

"Kick it like Declan": Declan Rice schnippelt seinen ersten von zwei Freistößen ins Tor. (Foto: Colorsport / Imago Images)

Zwei famose Freistoßtore von Declan Rice sichern dem FC Arsenal ein historisches 3:0 gegen Real Madrid in der Champions League. Die Technik des Mittelfeldspielers erinnert an David Beckham. Um doch noch weiterzukommen, bemüht der Titelverteidiger vor dem Rückspiel die „Macht der Geschichte“.

Von Sven Haist, London

Um die Freistoßkünste von Declan Rice zu würdigen, könnte man eine Fortsetzung des populären Films „Kick it like Beckham“ in Auftrag geben. „Kick it like Declan“ – treffe den Ball wie Declan Rice. In dem Streifen geht es um eine Teenagerin, deren Traum es ist, mit ihrem Idol David Beckham auf dem Platz zu stehen. Der war vor allem berühmt für seine einzigartige Schusstechnik bei Standardsituationen, und im Viertelfinalhinspiel der Champions League gegen Real Madrid am Dienstagabend erinnerte der rechte Fuß des Mittelfeldspielers vom FC Arsenal genau daran: Er schnippelte, zwirbelte, drehte, wölbte gleich zwei Freistöße hintereinander ins Tor, innerhalb von zwölf Spielminuten (58./70.).

Rice, 26, ist damit der erste Spieler überhaupt seit Einführung der Champions League (die sieben Jahre älter ist als er selbst), dem in einer K.-o.-Runde dieses Wettbewerbs ein derartiges Kunststück gelang. Bisher hatten lediglich Rivaldo, Cristiano Ronaldo, Neymar und Hakim Ziyech doppelt nach Freistößen getroffen, alle in der Vorrunde. Mit seinen Toren leitete Rice ein für Arsenal historisches 3:0 (0:0) gegen den Titelverteidiger aus Madrid ein, das Mikel Merino schließlich vollendete (75.). Gemäß der Ekstase im Stadion gehörte der Sieg zu den bedeutendsten in Arsenals bisher nicht allzu glorreicher Königsklassenbilanz. Einmal erst erreichte man das Finale, 2006, als man gegen Barcelona verlor, auch weil der deutsche Torwart Jens Lehmann die rote Karte sah.

„Meine Güte, gib mir bitte deinen rechten Fuß“, lobt Mitspieler Gabriel

„Decham“ wortspielte die Sun und zeichnete Rice auf einer Skala von eins bis zehn mit elf aus; das kommt in etwa so häufig vor wie eine Ausgabe des Boulevardblatts ohne fette Überschriften. Alle Leitmedien auf der Insel druckten am nächsten Tag Fotos der beiden Freistöße ab. Rice schoss die Bälle, als wären sie von einer imaginären Toranziehungskraft angesaugt worden. „Meine Güte, bitte gib mir deinen rechten Fuß“, stammelte sein Mitspieler Gabriel Magalhães.

Beim ersten Treffer, Torentfernung 26,9 Meter, schlenzte Rice den Ball aus halbrechter Position außen an der Mauer vorbei ins untere Eck. Wegen der erheblichen Distanz hatte sich der zwei Meter große Real-Torwart Thibaut Courtois bloß einen vier Spieler umfassenden Block stellen lassen. Die Norm wären fünf, vor allem wenn zusätzlich auch noch ein Linksfuß zur möglichen Ausführung bereitsteht, in diesem Fall Arsenals Bukayo Saka. Der Stürmer Saka redete Rice entscheidend zu: „Wenn du es spürst, mache es!“ Angedacht sei gewesen, erzählte Rice später, auf Anweisung des Standardtrainers den Ball in die Mitte zu flanken. Doch aus dieser Position habe dies „keinen Sinn ergeben“.

Declan Rice verbog seinen Körper bei den Freistößen wie ein Zirkusartist

Um den Ball anzuschneiden, lief Declan Rice mehr horizontal als vertikal an. Er verbog seinen Körper beim Treffpunkt mit der Geschicklichkeit eines Zirkusartisten – er lag beinahe schräg in der Luft. Sein Körpergewicht lagerte ausschließlich auf der Außenseite des linken Standbeins. Der Blick richtete sich auf den Ball. Nach der Schussabgabe musste sich Rice erst mal ausbalancieren, so verdreht war seine Haltung.#

Der zweite Treffer glich dann einer Replikation des ersten. Nur befand sich der Ball diesmal leicht nach links versetzt in zentraler Position, die Distanz betrug 25,3 Meter. Abermals verzichtete Courtois darauf, einen zusätzlichen Spieler als Hindernis aufzustellen. Dadurch musste er weiter in der Tormitte stehen, als es wohl empfehlenswert gewesen wäre. Das nutzte Rice, indem er den Ball ähnlich effektvoll ins nicht von der Mauer abgedeckte rechte obere Toreck rotieren ließ. Die Freistoßtore waren seine ersten überhaupt – im 406. Profispiel seiner Karriere.

Rice‘ Wunderdinge hätte man eigentlich bei den Real-Stars verortet

Er wisse nicht, ob er das alles jemals begreifen werde, fasste Declan Rice sein Werk zusammen. Vermutlich sei es der „beste Moment meiner Laufbahn“. Für seinen Trainer Mikel Arteta waren die Tore Ausdruck der Schönheit dieses Sports. Und der hochdekorierte frühere Mittelfeldspieler Clarence Seedorf lobte, nicht mal „Superman“ hätte das so hinbekommen. Die Real-Profis Kylian Mbappé, Jude Bellingham und Vinícius Júnior, bei denen man derartige Wunderdinge verortet hätte, dürften sich hinterher tatsächlich wie im Kino vorgekommen sein – sie schauten sich die Rice-Treffer auf der Stadionleinwand nochmals an, während die Arsenal-Spieler feierten. Es war die einzige Szene, die von den Real-Granden am Dienstag in Erinnerung geblieben ist.

Declan Rice war im Sommer 2023 für galaktische 125 Millionen Euro innerhalb Londons von West Ham zu Arsenal umgezogen. „Declan Rice, we got him half price“, jubilierten Arsenals Fans nun im Stadion über den damals als Wucher abgetanen Transfer des Mittelfeldspielers, der auch von der Konkurrenz (darunter der FC Bayern unter Thomas Tuchel) umworben worden war: Man habe ihn „zum halben Preis bekommen“!

Bisher war die Schusstechnik von Declan Rice kaum über die Insel hinaus bekannt

Arsenal hatte Rice seinerzeit als Nachfolger des dann zu Bayer Leverkusen gewechselten Mittelfeldstrategen Granit Xhaka auserkoren. Zunächst war er für die Stelle im defensiven Mittelfeld eingeplant, auf der er auch in der englischen Nationalelf spielt. Nach der ersten gemeinsamen Saison sah Trainer Arteta in ihm jedoch das Potenzial als Verbindungsspieler zwischen Abwehr und Angriff. In dieser Funktion kommt seine Lauf- und Zweikampfstärke zur Geltung, zudem seine Fähigkeit, den Ball dynamisch nach vorn zu treiben.

Eine weitere Stärke ist bis zum Real-Spiel allerdings kaum über die Insel hinaus bekannt gewesen: die Ausführung von Standards. Seit Jahren tritt Rice fast alle Ecken und Freistoßflanken des Klubs, kein anderer Spieler ist so präzise und konstant in der Lage, den Ball an eine bestimmte Position im Strafraum zu befördern. Diese Qualität hat Rice sukzessive auf direkte Freistöße ausgeweitet. Auf der Grundlage seiner Schusstechnik hat Arsenal von den Premier-League-Klubs die meisten Tore nach Ecken erzielt, sie sind quasi der Ersatz für einen echten Torjäger. Bisweilen wird gewitzelt, es sei auch deshalb kein treffsicherer Stürmer im Kader, weil Rice damals so viel gekostet hat.

Real benötigt im Rückspiel die „Macht der Geschichte“, schreibt Marca

Durch den Galaauftritt geht der FC Arsenal nun als Favorit ins Rückspiel. Erst drei Mal wurde ein Drei-Tore-Vorsprung in der Champions League noch verspielt. Spaniens Sportzeitung Marca kommentierte deshalb, dass Real dieses Arsenal nur „durch die Macht der Geschichte“ zu Fall bringen könne. Man müsse von Spiel zu Spiel denken, beschwichtigte Declan Rice. Auf die Frage, ob unter den Gratulanten auch David Beckham gewesen sei, antwortete er, er habe dessen Nummer gar nicht. Vielleicht meldet sich Beckham ja bald bei ihm.

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