Trainersuche beim FC Bayern

Wenig Macht dem Trainer

03. Mai 2024, 14:11 Uhr

Die Machtzentrale des FC Bayern: Aufsichtsratsmitglied Karl-Heinz Rummenigge, Ehrenpräsident Uli Hoeneß, Vorstandschef Jan Christian Dreesen und Präsident Herbert Hainer (v.l.). (Foto: Sven Simon / Imago)
Die Machtzentrale des FC Bayern: Aufsichtsratsmitglied Karl-Heinz Rummenigge, Ehrenpräsident Uli Hoeneß, Vorstandschef Jan Christian Dreesen und Präsident Herbert Hainer (v.l.). (Foto: Sven Simon / Imago)

Der FC Bayern ist seit je mehr Spieler- als Trainerverein. Doch mittlerweile bekommt der Klub nicht mehr nur die besten Spieler – was sich auf die Lukrativität des Trainerpostens auszuwirken scheint. Die Absagen mehrerer Kandidaten legen nahe, dass die Vereinschefs ihrem zukünftigen Coach mehr Einfluss gewähren sollten.

Von Sven Haist, London

In dieser Woche hat der frühere Abwehrspieler Gaël Clichy die erste Kabinenansprache von Trainer Pep Guardiola bei Manchester City im Sommer 2016 rekapituliert. In einem Gespräch mit dem YouTube-Streamer Zack Nani erinnerte sich der Franzose sinngemäß, dass Guardiola den Spielern in Aussicht stellte, seine Entscheidungen entweder zu akzeptieren – oder den Verein zu verlassen. Damit demonstrierte Guardiola der Mannschaft, die Hoheit über die sportliche Ausrichtung des Klubs zu besitzen. Bis heute hat sich daran nichts geändert. Der Trainer hat das Sagen bei Manchester City, das mit Vertrauten von ihm besetzte Management hält ihm den Rücken frei und versucht, seine Ideen umzusetzen – und die Spieler haben diese auszuführen.

Als einer der wenigen Spitzenvereinen auf der Welt verzichtet City darauf, unzufriedene Spieler zu halten. Sobald ein Akteur den Klub verlassen will, kann er das tun – egal, wie sich seine Bedeutung für das Team, sein Marktwert und seine Vertragssituation darlegen. Damit zementiert der englische Serienmeister vor der Mannschaft die Autorität des Trainers und das Vertrauen in diesen. Auf diese Weise hat der Klub zuletzt in England historische Erfolge erzielt und führt international die Uefa-Klubrangliste an.

Citys Vorgehen wirkt wie ein Gegenmodell zum FC Bayern

Citys Vorgehen wirkt wie ein Gegenmodell zur Methode des FC Bayern, bei dem der Trainer mehr ein ausführendes Organ im Organigramm darzustellen scheint. Die Befugnisse über die Zusammenstellung des Kaders besitzt die Geschäftsführung um den neuen Sportvorstand Max Eberl und Sportdirektor Christoph Freund. Bisweilen wirkt es sogar, als könnten auch die Spieler mit ihren Rückmeldungen an die Chefetage auf die Zukunft des Trainers Einfluss nehmen. In wenig anderen Klubs wird den Schlüsselspielern im Team eine ähnliche Bedeutung zugemessen wie in München.

Diese Struktur hat den Verein über viele Jahre an der Spitze des Weltfußballs etabliert. Sie basierte darauf, dass der FC Bayern stets die vermeintlich besten Spieler in Deutschland und häufig auch in Europa verpflichten konnte. Durch deren Qualität gehörte der Trainerposten zu den prestigeträchtigsten, denn kaum ein Coach wollte der Verlockung widerstehen, eine solche Ansammlung an Ausnahmekönnern anzuleiten. Doch durch die zunehmende finanzstarke Konkurrenz aus England geht dem deutschen Rekordmeister der Zugriff auf die Vorzeigespieler der Bundesliga verloren. Zuletzt wechselten die schwer umworbenen Jungstars Kai Havertz, Jude Bellingham und Erling Haaland lieber ins Ausland als nach München. Darunter leidet das Ansehen des Traineramts beim FC Bayern ebenso wie unter der ohnehin schon immer eingeschränkten Gestaltungsfreiheit.

Die Bayern bekommen nicht mehr ihre Wunschspieler – und auch nicht mehr die Trainer

Erstmals seit langer Zeit sieht sich der Verein gerade mehreren Absagen von Wunschtrainern ausgesetzt, nacheinander lehnten Xabi Alonso, Julian Nagelsmann und nun auch Ralf Rangnick ein Engagement in München höflich ab. Alle nahmen zwar die Anfragen mit Interesse entgegen, aber Alonso zog es letztlich vor, bei Bayern Leverkusen zu bleiben sowie Nagelsmann und Rangnick bei der deutschen und österreichischen Nationalmannschaft.

Ralf Rangnick bleibt Trainer der österreichischen Nationalelf und sagt dem FC Bayern ab.

Dass die Bayern überhaupt einen neuen Trainer verpflichten müssen, liegt an der vorzeitig zum Saisonende beschlossenen Trennung von Thomas Tuchel. Mit dem im März 2023 verpflichteten Deutschen hätte der Klub eine vermeintlich ähnliche Ära prägen können wie Guardiola in Manchester. Allerdings wollte der FC Bayern die dafür wohl unausweichlichen Kompetenzen dem Trainer nicht zugestehen. Er schien nicht mal auf den nachdrücklichen Wunsch der Anstellung eines defensiven Mittelfeldstrategen richtig einzugehen. Der Verweis auf das Potenzial der vorhandenen Profis wirkte wie ein Misstrauen gegenüber der Analyse des Trainers, der zu diesem Zeitpunkt gerade erst eingestellt worden war.

Der Champions-League-Erfolg wirkt wie eine Gefahr

Die meisten Toptrainer hätten die Reaktion vermutlich als Affront aufgefasst, womöglich hätten einige auf einen sofortigen Abschied gedrängt. Auch Tuchel wirkte mangels der fehlenden Unterstützung vor den Kopf gestoßen, aber er besitzt im Vergleich zu ausschließlichen Konzepttrainern einen bemerkenswerten Pragmatismus. Er fand für die in ihrer Qualität überhöht eingeschätzte Mannschaft einen Stil, der in Europapokalpartien gegen vermeintlich stärkere Konkurrenten die Schwächen erstaunlich kaschieren kann. Das Team agiert aus einer kompakten Abwehr heraus und setzt auf die vorhandene individuelle Qualität der Spieler in der Offensive – wie es in der Bundesliga gegen selbst tiefstehende Gegner hingegen kaum möglich ist.

So gleicht der gegenwärtige Erfolg in der Champions League fast einer Gefahr für die zukünftige Strategie des FC Bayern. Denn er könnte den Entscheidungsträgern suggerieren, dass ihr Verein nach wie vor zu den Spitzenvertretern zählt. Dabei ist das Abschneiden in der Königsklasse insbesondere der Extraklasse des Trainerteams zu verdanken. Und diese dürfte dem FC Bayern durch den Abschied von Thomas Tuchel und den bisherigen Absagen möglicher Nachfolgekandidaten in der nächsten Saison nicht mehr zur Verfügung stehen.

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