Fans bei der Darts-WM

Betrunkene Fans als Erfolgsgarant

02. Jan. 2025, 23:00 Uhr

Die Fans werden bei der Darts-WM durch ihren Einfluss auf das Spiel immer mehr selbst zu Akteuren. (Foto: Every Second Media / Imago Images)
Die Fans werden bei der Darts-WM durch ihren Einfluss auf das Spiel immer mehr selbst zu Akteuren. (Foto: Every Second Media / Imago Images)

Bei der Darts-WM nimmt der Einfluss der Zuschauer auf den Spielausgang zu. Deshalb versuchen die Spieler, die Leute auf ihre Seite zu ziehen. Sie fiebern in der Regel mit dem Underdog mit – aber die Stimmung kann schnell kippen.

Von Sven Haist, Alexandra Palace

Wenn im Alexandra Palace bei der Darts-Weltmeisterschaft so richtig die Post abgeht, sind die Fernsehkameras nicht auf Sendung. In den Spielpausen, in denen Werbung im TV gezeigt wird, heizen die Organisatoren die Stimmung an – mit Karaoke. In der Regel wird „A­n­gels“ von Robbie Williams gespielt, auch am Neujahrsabend war das so, als zu später Stunde das letzte Viertelfinale zwischen Luke Littler und Nathan Aspinall lief. Die Leute grölten den Welthit so laut mit, dass man den Eindruck hatte, in der Halle würden überall Lautsprecher stehen. Der Song war selbst hinter der Bühne zu hören, eventuell kehrte Littler deswegen schon nach wenigen Sekunden zurück. Er gestikulierte ins Publikum und warf dazu einige Probedarts. Weil die Unterbrechung schneller vorbei war als das Lied, wurde die Playback-Version abrupt gestoppt – aber die Masse sang bis zum Ende unbeirrt weiter.

Die Matches kippen häufig, wenn das Publikum umschwenkt

Die Rolle des Publikums hat sich im Darts zuletzt massiv verändert. Früher sorgten die Fans mit guter Laune und fantasievollen Kostümen für Abwechslung während den Matches. Doch nun werden die Leute zunehmend selbst zu Akteuren. Ihre Bedeutung zeigt sich darin, dass die Spieler durch diverse Interaktionen fast mehr um deren Gunst werben als andersherum.

Der 17-jährige Engländer dominierte sein Match lange Zeit klar, bis sein Konkurrent Aspinall auf einmal aufholte. Die Menge habe auf ein Comeback gehofft, aber er habe das Spiel schnell über die Bühne bringen wollen, erklärte Littler nach seinem Sieg. Einen vergleichbaren Spielverlauf hatte es zuvor im Duell zwischen Stephen Bunting und Peter Wright gegeben. Bunting gewann die ersten vier Sätze, verlor danach aber auch für kurze Zeit die Kontrolle, ehe er sich doch den entscheidenden fünften Punkt sicherte. In beiden Matches hatte die Unterstützung im Ally Pally aufgrund der Einseitigkeit umgeschlagen. Zunächst verhielt sich die Mehrheit weitgehend neutral, bis die Sympathien deutlich zugunsten der unterlegenen Kontrahenten kippten.

Die meisten Zuschauer halten zum Außenseiter

Er habe gewusst, dass die Fans „in der Mitte des Spiels entscheidend“ sein könnten, betonte Bunting im Interview auf dem Podium. Danach spricht er die Fans persönlich an und wedelt lächelnd mit dem Finger: „Hört zu, in den ersten vier Sätzen wart ihr unfassbar gut!“, bedankte er sich – aber sie könnten noch besser werden. Die Rüge war eine scherzhafte Anspielung auf die Phase, in der Wright mehr akustischen Zuspruch genoss als er.

Mehrere Gespräche mit Fans am Viertelfinalabend deuten an, dass überwiegend mit den Außenseitern mitgefiebert wird. Er sei „immer für den Underdog“, weil die Atmosphäre so besser sei, sagt Nick, der aus der Nähe von Freiburg angereist ist. Das sieht Johannes aus München genauso: Die Tendenz gehe zum Außenseiter, betont er, weil man hoffe, dass die Spiele „möglichst lange“ anhalten. Sobald die angesetzten Partien in einer Session zu Ende sind, werden die Besucher sofort zum Ausgang verwiesen. Aus seiner Sicht sei man im Ally Pally „ein Stück weit Stimmungsmacher“, glaubt Johannes. Die Anhänger seien selbst dafür verantwortlich, dass sich das Flair in der Halle wie ein Hexenkessel anfühle.

Die Stimmung im Ally Pally ist unvorhersebar

Wegen all den Nebengeräuschen sei er deswegen bei den Darts-Matches vor dem TV wesentlich fokussierter als vor Ort. In einer anderen Spielsession berichtet Dennis aus Köln, dass er bereits bei allen möglichen Sportevents gewesen sei, Fußball, Handball, Eishockey, aber das Darts-Publikum sei einmalig: Der Charme bestehe darin, sich hier „wie in der Kneipe“ zu fühle­n.

Die Stimmung im Darts ist immerzu unbeständig, sie kann derart unvorhersehbar und schnell die Richtung wechseln wie der Wind vor dem Ally Pally – er steht auf einer Anhöhe im Norden Londons. Der Einfluss auf das Spiel ist aus mehreren Gründen nicht von der Hand zu weisen. Die Spieler können die Fans bei ihren Würfen nicht sehen, sie sind unmittelbar in ihrem Rücken. Die Enge in der Halle verstärkt dazu die Wucht der Gesänge. Und im Vergleich zu anderen Sportarten agieren die Leute im Darts ungeniert, sie nehmen kein Rücksicht auf mögliche Belange der Profis. Sie folgen eher ihrem eigenen zufälligen Unterhaltungsbedürfnis als dem Geschehen im Match. Da sich zu viele Vorgänge in der Alkohol trunkenen Halle spontan ereignen, lässt sich das Verhalten des Publikums in der Regel kaum prognostizieren.

Fast immer kommen die Spitzenspieler auf das Publikum zu sprechen

Im Nachgang von den meisten Partien kommen die Spitzenspieler in irgendeiner Form stets auf das Publikum zu sprechen – überwiegend positiv. Das liegt zum einen daran, dass die Leute durch ihre Begeisterung die Attraktivität von Darts steigern. Und zum anderen, weil wohl kein Spieler die Fans gegen sich aufbringen möchte. Alle Spieler, die noch im Turnier sind, gehören zu den Lieblingen. Kürzlich bekannte der englische Topmann Chris Dobey, es seien die Zuschauer gewesen, die ihm zur nächsten Runde verholfen hätten. Wenn man sie auf seiner Seite habe, wolle man sie nicht enttäuschen. Daher versuche man, ein paar Prozent mehr zu geben, sagte Dobey. In gewisser Weise bestimmt so auch das Publikum den neuen Weltmeister im Pfeilwerfen mit – wenn es nicht gerade „Angels“ singt.

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