Deutsche Spieler bei der Darts-WM
Warten auf einen deutschen Weltmeister seit 1978
01. Jan. 2025, 21:36 Uhr
Darts-Chef Barry Hearn wünschte sich vor neun Jahren einen „deutschen Star“. Doch bisher hat es kein Deutscher geschafft, sich in der Weltspitze zu etablieren. Auch bei dieser WM kam keiner über das Achtelfinale hinaus. Die Gründe liegen in der Leistungsdichte und der hohen Erwartungshaltung.
Den deutschen Fans ergeht es bei der Darts-WM ähnlich wie bei der parallel stattfindenden Vierschanzentournee. Sie warten seit Jahren trotz der immerzu leidenschaftlichen Unterstützung für die Landsleute auf einen Gesamterfolg eines Deutschen. Immerhin haben die Skisprungfreunde in der Vergangenheit bereits Triumphe der heimischen Athleten bei der Tournee bejubeln dürfen. Im Darts hingegen hat noch kein Deutscher das prestigeträchtigste Turnier im Spielkalender gewonnen. Seit der erstmaligen Austragung 1978 wartet Germany auf einen Pfeilwurfchampion. An dieser Bilanz wird sich aber auch in diesem Jahr nichts ändern – denn mit Ricardo Pietreczko ist am vergangenen Montag der letzte Deutsche ausgeschieden.
Nach drei überzeugenden Siegen zum Auftakt war Pietreczko gegen den Engländer Nathan Aspinall chancenlos. Über seinen Auftritt witzelte der 30-Jährige ironisch, dass er wohl der schlechteste Spieler in einem Achtelfinale überhaupt gewesen sei. Es sei bei ihm heute „einfach nicht gelaufen“, er habe zu keiner Zeit zu seinem Spiel gefunden. Als einen möglichen Grund gab er an, dass ihm der Walk-on auf die Spielbühne nachgehangen sei; es sei ihm schwergefallen, emotional abzuschalten. Denn das Einlauflied seines Gegners – „Mr. Brightside“ von der US-Band The Killers – sei das Lieblingslied seiner Freundin. Sie saß wie immer zur Unterstützung im Publikum.
Pietreczkos Leistung wirkte, als wäre er überfordert mit der Erwartungshaltung
Kurz nach dem Start verlor Pietreczko stattliche zehn Legs in Folge. Seine Unterlegenheit versuchte er zu überspielen, indem er seine eigenen Würfe veralberte und den Gegner beklatschte. Dadurch konnte man den Eindruck erhalten, der gebürtiger Berliner sei „ein seltsamer Charakter“. So hatte ihn Aspinall vor dem Match bezeichnet. Die Einschätzung widerlegte Pietreczko hinterher humorvoll, er sagte, er könne sie deshalb nachvollziehen, weil er „kein gutes Englisch“ spreche und daher auf der Profitour unter Kollegen „sehr zurückhaltend“ agiere. Pietreczko Spielleistung erweckte den Eindruck, als wäre er mit der Erwartungshaltung aus der Heimat überfordert gewesen. Er gab zu, dass er das Medieninteresse gespürt habe und der Umgang damit schon herausfordernd gewesen sei.
Die Anstrengungen aus den vorherigen Spielrunden gingen wohl zu sehr an die Substanz. Für Pietreczko stellte das Erreichen des Achtelfinales bereits den größten Erfolg seiner Laufbahn dar. Immerhin besserte er mit seinem Abschneiden die ansonsten ernüchternde Bilanz der erstmals insgesamt sechs teilnehmenden deutschen Pfeilwerfer. Abgesehen von Pietreczko gewannen die anderen fünf zusammengerechnet nur zwei von sieben Matches bei der WM. Die gesetzten Spieler Martin Schindler und Gabriel Clemens scheiterten sogar an ihrer jeweiligen Auftakthürde. Damit bleibt die Halbfinalteilnahme von Clemens vor zwei Jahren das beste deutsche Resultat im Ally Pally.
Er hätte mehr trainieren können, gibt Gabriel Clemens rückblickend zu
Rückblickend sagte Clemens dazu beim Sender Dazn, dass er heute in einer vergleichbaren Situation „einiges anders machen“ würde als damals. Er hätte im Anschluss an seinen unerwarteten Erfolg wesentlich mehr trainieren können, gab er zu. Aber, so ehrlich müsse man sein, es habe seinerzeit Möglichkeiten gegeben, gutes Geld zu verdienen. Irgendwann sei er dann wieder in der Realität gelandet, die Zeit sei schön und lehrreich gewesen, betont er versöhnlich. Clemens ist nun von Pietreczko als zweitbesten Deutschen abgelöst worden.
Grundsätzlich hat die Zahl an deutschen Darts-Profis in den vergangenen Jahren kontinuierlich zugenommen. Bei dieser WM bildeten die Germans zusammen mit Wales die drittgrößte Fraktion ab – nach den Darts-Kernländern England (26) und Niederlande (16). Im Vergleich zu den Briten, wo Darts immerzu ein praktizierter Kneipensport gewesen ist, ist die Sportart hierzulande erst dabei, einem größeren jungen Publikum bekannt zu werden. Dadurch fehlt den Deutschen trotz des steigenden Interesses bisher noch der Unterbau an Darts-Spielern. Das wirkte sich auf die Konkurrenzfähigkeit an der Spitze aus. Um mehr Leute für Darts zu begeistern, hilft sicherlich, dass die besten 50 Spieler der Rangliste inzwischen von ihrem Sport leben können.
Er wünsche sich einen „deutschen Star“, sagte PDC-Chef Barry Hearn vor neun Jahren
Ein weiterer Faktor für das deutsche Abschneiden ist, dass die Weltspitze immer enger zusammenrückt. Die Ausgeglichenheit des Teilnehmerfelds zeigte sich bei dieser WM erneut. Beispielhaft war der Sieg des bisher auf Position 51 geführten Niederländers Kevin Doets gegen den Weltranglisten-Zweiten Michael Smith in der zweiten Runde. Am Ende verpasste Doets nur knapp das Viertelfinale. Die Leistungsdichte sei sehr hoch, weil international etliche junge Spieler nachdrängen, bestätigt auch Clemens. Den Wunsch nach einem konstanten deutschen Weltklasse-Spieler haben nicht nur die heimischen Fans, sondern auch die Professional Darts Corporation (PDC). Vor neun Jahren räumte der PDC-Vorsitzende Barry Hearn ein, er wünsche sich einen „deutschen Star“ – denn mit einem Top-16-Spieler würde Darts in Deutschland noch mehr wachsen. Ungefähr ein Viertel der Zuschauer im Ally Pally kommt bei dieser Auflage aus Germany, dazu ist der deutsche TV-Markt nach Spitzenreiter Großbritannien wohl der derzeit lukrativste für die PDC.
Gemessen an der aktuellen Form dürfte es allerdings noch einige Jahre dauern, bis ein deutscher Spieler wirklich die WM gewinnen kann. Hoffnung schürt Ricardo Pietreczko, der im Hinblick auf seine eigene Bilanz – dritte Runde 2024 und Achtelfinale 2025 – nun augenzwinkernd ankündigte, sich in diesen Schritten zukünftig vorarbeiten zu wollen. Dann hätte Deutschland in vier Jahren einen ersten Weltmeister im Darts.