Luke Littler löst Darts-Hype aus

Luke Littler wirft Darts ins Bulls Eye

18. Dez. 2024, 16:27 Uhr

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Die "Littler-Mania": Kein anderer Sportler wurde in England in diesem Jahr häufiger gegoogelt als Darts-Sensation Luke Littler. (Foto: Kevin Manning / Action Plus / Imago Images)

„Die perfekte Geschichte“: Luke Littler hat einen Hype um Darts ausgelöst, in England ist von der „Littler-Mania“ die Rede. Diese Entwicklung hat die Darts-Organisation PDC vorangetrieben. Sie ist kein traditioneller Verband – sondern eine kommerzielle Einrichtung.

Von Sven Haist, London

Seit seiner Finalteilnahme bei der Darts-WM vor einem Jahr gehört Luke Littler als jüngster Spieler der Geschichte zu den bekanntesten Personen in Großbritannien. Sein Name wurde auf der britischen Insel in diesem Jahr häufiger in die Google-Suchmaschine eingegeben als der jeden anderen Sportlers. Selbst die englischen Fußballstars Harry Kane, Jude Bellingham und Cole Palmer, die im Sommer mit der Nationalelf das EM-Finale in Berlin erreicht hatten, hatten diesbezüglich das Nachsehen. Überhaupt wurden die Suchanfragen für Littler nur von Prinzessin Kate Middleton und dem designierten US-Präsident Donald Trump übertroffen. Er könne das „nicht so recht glauben“, sagte der 17-Jährige. In dieser Saison hat er zehn Turniere gewonnen und mehr als eine Million Pfund Preisgeld erspielt. Dadurch verbesserte er sich in der Darts-Weltrangliste von Position 164 auf 4. In gewisser Weise hat sich Littler ins Bulls Eye geworfen – und den Darts-Sport gleich mit.

Das Pfeilwerfen erfährt gerade eine neue Dimension, in der Heimat in England hat sich ein Hype entwickelt. Littlers WM-Finalniederlage gegen Landsmann Luke Humphries verfolgten bis zu 3,7 Millionen Menschen in der Spitze bei Sky Sports – so viele hatten nie zuvor bei einer Nicht-Fußball-Übertragung des Pay-Senders eingeschaltet. Im Videogespräch mit BTL findet Matthew Porter, seit 2008 Geschäftsführer der Dachorganisation Professional Darts Corporation (PDC), dass Luke Littler und Darts die „perfekte Geschichte“ seien. Sie se­tze sich zusammen aus einer Person, an der die Öffentlichkeit fasziniert sei, und einem Produkt, in das sie sich verliebt habe.

Auch dank Luke Littler hat sich die Mitgliederzahl bei den Kindern verdoppelt

Luke Littler sei ein „enormer Gewinn“, betont Porter, weil er sehr viele Menschen auf die Sportart aufmerksam gemacht habe, die bis dahin keinerlei Bezug zu ihr hatten. Die rund 100.000 Tickets für alle diesjährigen WM-Sessions im Londoner Alexandra Palace waren direkt nach Vergabe vergriffen. Die PDC schätzt, man hätte insgesamt drei Mal so viele Eintrittskarten für das Turnier veräußern können. Zudem hat sich beispielsweise die Mitgliederzahl der für Kinder gegründeten Junior Darts Corporation zuletzt auf mehr als 3000 verdoppelt; es gibt Partnerschaften mit Darts-Stützpunkten und -Akademien, in Ländern wie Australien, Bulgarien, der Mongolei und den USA.

Früher sei es ihm „ziemlich peinlich“ gewesen, seinen Freunden von seinem Darts-Hobby zu erzählen, räumte Junior-Chef Steven Brown kürzlich in der BBC ein: Heute werde es dagegen „als coole Sache“ in den Schulen angesehen. Littlers Sponsor, Target Darts, rechnet damit, bis Weihnachten mehr als 100.000 Kinder-Dartsscheiben mit dem Markenbranding „Luke ‚The Nuke‘ Littler“ abzusetzen. So nennt sich der Teenager auf der Darts-Bühne: Atombombe. Die Magnetboards wären damit ausverkauft.

Luke Littler profitierte von den Darts-Nachwuchsserien

Als erster Weltklasse-Profi profitierte Luke Littler bei seinem Durchbruch umfänglich von den neuen Na­c­hwuchsserien, er spielte sowohl auf der Junior Tour als danach auch auf der Development Tour. Darts-Spieler würden im übertragenen Sinn „nicht mehr in Pubs geboren“ werden, sagt Porter. Früher musste man sich tatsächlich in ebensolchen anmelden, um überhaupt eine Chance zu haben, gefördert zu werden und an Wettbewerben teilnehmen zu können.

Es sei die richtige Entscheidung gewesen, in die Jugendförderung zu investieren, sagt Porter rückblickend: Sie sei aus seiner Sicht in jeder Sportart der Schlüssel für eine prosperierende Zukunft. Denn ohne sie könne man keine neuen Stars schaffen und irgendwann aufhörende Spielergenerationen nicht ersetzen. Luke Littler ist für die PDC sozusagen der Nachfolger für den 2018 abgetretenen Liebling Phil Taylor. Der Altmeister dominierte Darts über drei Jahrzehnte lang und machte es einem breiteren Sportpublikum bekannt.

Die Darts-Szene hat sich gewandelt und professionalisiert

Im Vergleich zu Taylors Anfängen hat sich die Szene in allen Bereichen professionalisiert, sowohl das Darts an sich als auch die meisten Spieler. Sie trainieren, leben und vermarkten sich mittlerweile wie Spitzenathleten in anderen Sportarten. Der internationale Turnierkalender bietet kaum Freiraum. Um die Anstrengungen zu meistern, benötigen die Spieler nicht nur Ausdauer und Durchhaltevermögen, sondern auch mentale Stärke und ein kompetentes Umfeld. Als er zum Darts gekommen sei, erzählt Porter, hätten die Spieler bloß ein Sportshirt angehabt, auf dem gegebenenfalls Sticker von Freunden aufgeklebt gewesen seien, die finanzielle Unterstützung lieferten. Jetzt hingegen seien sie sich der Bedeutung des eigenen Images bewusst, kümmerten sich von Social Media bis zur Walk-on-Musik. Viele Profis trainierten durchschnittlich vier Stunden täglich, sagt Porter.

Die Reformierung des Darts übernahm die PDC. Sie verwandelte das Pfeilwerfen, das sich aufgrund der kleinen Zielscheiben – Durchmesser: 45,1 Zentimeter –  eigentlich überhaupt nicht für einen Live-Besuch in der Spielhalle eignet, zu einem Zuschauermagneten. Die WM zum Jahresabschluss im Ally Pally gilt als größte Sportparty der Welt: „Ein Dienstagnachmittag fühlt sich hier so an wie ein Samstagabend“, witzelt Porter.

Im Darts gehe es mehr ums Erlebnis als das Ergebnis, sagt Porter

Die Faszination macht er an zwei Dingen fest. Zum einen sei Darts eine „sehr soziale Erfahrung“, weil die meisten Leute in kleineren Gruppen kommen; und zum anderen weil sich diese nicht weiter dafür zu interessieren scheinen, welches Match gerade auf dem Programm stehe und wer letztlich gewinne. Dass es vordergründig ums Erlebnis gehe, sei ein Alleinstellungsmerkmal von Darts, glaubt Porter. Denn im Fußball, ist der 44-Jährige überzeugt, würde niemand ernsthaft behaupten, der eigene Klub habe zwar 0:4 verloren – aber der Tag sei trotzdem super gewesen, weil das Essen gut und das Wetter schön gewesen sei.

Für die Stimmung im Ally Pally ist neben der Ausgelassenheit der Fans die Qualität der Matches ausschlaggebend. Die Masse fordert Spannung und Drama ein sowie die sogenannten High Finishes – und selbstverständlich die Höchstpu­nktzahl „180“. Eine Party sei „Müll“, wenn man Müll liefere, stellt Porter klar. Deshalb ist für die PDC ein sehr ausgeglichenes Teilnehmerfeld wichtig, in dem auch die eher unbekannten Spieler auf einigermaßen beachtliche Scores kommen. Während den Pausen hilft dann die PDC nach, indem sie Atmosphäre anheizt – mit Karaoke, Kiss Cam, Preisen und Cheerleaderinnen.

Andere Sportarten werden bisweilen von Bürokratie ausgebremst

Im Gegensatz zu den meisten Organisationen, die eine Sportart verwalten, ist die PDC kein traditioneller Verband – so­ndern eine kommerzielle Einrichtung. Sie steht unter der Kontrolle der Vermarktungsagentur Matchroom Sport, der wiederum der britische Promoter Barry Hearn und sein Sohn Eddie Hearn mehrheitlich vorstehen. Diese Struktur ermögliche der PDC „flexible, unabhängige und schnelle Entscheidungen“ zu treffen, erläutert Porter. Aus seiner Sicht werde die Förderung konkurrierender Sportarten bisweilen durch Bürokratie in den Verbänden und Eigeninteressen der tätigen Funktionäre stark beschnitten: Daher sei die PDC bestrebt, stets transparent und ehrlich zu kommunizieren.

Zuletzt gab es wiederkehrende Gerüchte um die Austragung eines Turniers in Saudi-Arabien. Dabei wurde über eine Verlegung der WM in den Wüstenstaat spekuliert. Das wäre zwar finanziell sicherlich enorm lukrativ, aber angesichts der dortigen Menschenrechtssituation auch äußert umstritten. Zu solchen Gedankenspielen antwortet Porter, es gebe derzeit „keine laufenden Gespräche“ mit Saudi-Arabien und für einen Wettbewerb in diesem Land auch „keine zeitnahe Wahrscheinlichkeit“. Für die Zukunft würde er es aber nicht ausschließen wollen. Matchroom verständigte sich erst vor einigen Monaten beispielsweise mit dem saudischen Ministerium auf ein Snooker-Turnier für die nächsten zehn Jahre. Laut Schätzungen ist Hearns Matchroom-Portfolio, auch wegen des rasant wachsenden Interesses am Darts, angeblich ungefähr eine Milliarde Euro wert.

Sich selbst nicht zu ernst zu nehmen: Auch das beherrscht Littler

Im Vorfeld der WM sprach Hearn von einer „Littler-Mania“, die sich überall ausbreiten werde. Littlers Auftaktmatch hat die PDC auf den bestmöglichen Sendeplatz gelegt, die Primetime am kommenden Samstagabend. Der Teenager zählt zum engen Favoritenkreis. Der Guardian kommentierte, dass Luke Littler „den Geist“ des Darts repräsentiere: Es gehe um großes Können – sowie um Neckerei, Kameradschaft und darum, sich selbst nicht zu ernst zu nehmen. Solange das anhält, wird Darts weiter im Bulls Eye bleiben.

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