Finale bei der Darts-WM
Littlers großer Wurf
03. Jan. 2025, 16:57 Uhr
Das Traumfinale ist perfekt: Der 17-Jährige Littler trifft auf den Dreifachchampion Michael van Gerwen. Der Engländer könnte jüngster Darts-Weltmeister aller Zeiten werden und Sportgeschichte schreiben. Sogar Altmeister Phil Taylor adelt ihn.
Luke Littlers Reaktion auf seine bisher eindrucksvollste Wurfkombination bei dieser Darts-WM erinnerte an Phil Taylor. Der Rekordweltmeister war in seiner Laufbahn bekannt dafür, seine Gegner nach eigenen genialen Aktionen auf sein Werk hinzuweisen. Der Engländer ließ dann meistens die Pfeile einen Moment länger als üblich in der Scheibe stecken. So verhielt sich nun ebenfalls sein bereits als Nachfolger auserkorener Landsmann Littler, als er im Halbfinale gegen Stephen Bunting am Donnerstagabend das Dartsvolk im Ally Pally in Ekstase versetzte.
Im dritten Leg des sechsten Satzes hatte der klar zurückliegende Bunting immerhin eine gute Ausgangsposition, um ein Break beim Anwurf des Konkurrenten zu schaffen. Die Voraussetzung dafür war, dass Littler die „170“ nicht in einem Zug aus dem Spiel nehmen würde, den höchsten aller möglichen Restwerte, die sich mit drei Pfeilen erledigen lassen. Doch Littler angelte sich prompt diesen sogenannten Big Fish, er hatte ihn phänomenal mit zwei Würfen in die Triple-20 und einem ins Bulls Eye am Haken. Dann drehte er sich zu Bunting um und deutete mit dem Finger auf seine tief in der Scheibe verankerten Darts. Dieser lächelte und gratulierte anerkennend.
Im Vorjahr unterlag Littler noch seinem Landsmann Humphries im Finale
Littlers großer Wurf kurz vor Spielende war gewissermaßen die Zugabe auf seine eigene Glanzvorstellung. Wie in den meisten vorherigen Runden war auch das Match gegen Bunting so schnell vorbei wie ein Pfeilwurf: Er gab beim 6:1 nur einen Satz ab und zog in sein zweites WM-Finale in Folge ein. Im Vorjahr war Littler dem diesmal im Achtelfinale gescheiterten Weltführenden Luke Humphries unterlegen. Er wisse, woran es damals gelegen habe und werde dies nun in Ordnung bringen, sagte er.
So kommt es am Freitagabend zwischen Littler und van Gerwen zum spektakulären Traumfinale, der zuvor mit dem gleichen Resultat den Engländer Chris Dobey bezwungen hatte. Dreifachweltmeister van Gerwen ist bisher der jüngste Titelträger der PDC-Historie, er triumphierte erstmals 2014 als 24-Jähriger und wiederholte den Erfolg dann 2017 und 2019. Diesen Status würde er jetzt bei einer Niederlage an Littler abgeben – der Herausforderer ist immer noch erst 17. Littlers Situation ähnelt indes der einstigen von van Gerwen. Dessen damals unvermeidlicher Durchbruch auf den Darts-Thron hatte Taylor noch um ein Jahr aufgehalten, als er ihn zunächst bei der WM 2013 im Endspiel besiegen konnte.
Darts stehe an der Schwelle eines neuen Zeitalters, schreibt der Guardian
Das Aufeinandertreffen von Littler und van Gerwen ist das prestigeträchtigste, das der Dartssport derzeit zu bieten hat. Es wäre vermutlich nur durch ein Match zwischen Littler und dem lange zurückgetretenen Taylor zu toppen. Die Zeitung Guardian kommentiert, dass Darts durch den Aufstieg Littlers „an der Schwelle eines neuen Zeitalters“ stehe, einer tektonischen Verschiebung seiner Geschichte, seiner Popularität und seinem kulturellen Fußabdruck. Die Rivalität der beiden Spieler offenbarte sich in diesen WM-Tagen wieder, als van Gerwen sagte, er werde als „König“ in den Londoner Alexandra Palace zurückkehren. Die Aussage wurde in England als Spitze gegen Littler aufgefasst, der in der Heimat bei diesem Turnier durchgehend als „Prinz des Palastes“ bezeichnet wird.
Van Gerwen versuchte vor dem Finale, den Druck auf seinen unerfahreneren Kontrahenten zu erhöhen. Er sei vor zwei Jahren im WM-Finale gegen Michael Smith der Favorit gewesen und habe verloren. Diesmal sehe er sich nicht in dieser Rolle, betonte er. Nach einer für seine hohen Ansprüche eher bescheidenen vergangenen Saison hat sich der 35-Jährige während des Turniers zunehmend gesteigert. An die Wurf-Statistiken von Littler kommt er aber nicht heran, dessen Durchschnittspunkzahl bei 102 liegt und der die Doppelfelder zu 41 Prozent trifft. Aus seiner Sicht werfe er gerade die richtigen Darts, wenn es an der Zeit sei, betont der Teenager.
Taylor schwärmt von der Schönheit des Wurfs seines jungen Nachfolgers
Littlers Darts wirken gerade unwiderstehlich, kein anderer Spieler verzückt die Fans in dieser Form mit seiner Spielkunst. Selbst Altmeister Taylor ist begeistert. Er habe eine Phase gehabt, in der er sich Darts nicht wirklich im TV angeschaut habe, aber dieser Junge sei so besonders, dass er ihn immer spielen sehen möchte“, sagte er über Littler. Taylor schwärmte zudem über das Verhalten des Landsmanns auf der Bühne, dessen Spieltempo und Schönheit des Wurfs. Besonders gefalle ihm die Leichtigkeit Littlers sowie, dass dieser im Handumdrehen einen Spielverlauf verändern und den Gegner erledigen könne.
Taylors Analyse hört sich an, als würde er über sich selbst sprechen. Zu seiner Zeit bewunderten Experten bei ihm ganz ähnliche Qualitäten. Seinen ersten Titel holte Taylor 1990, damals war er 29. Es würde ihm alles bedeuten, den Pokal zu gewinnen, sagt Littler über seine zweite Gelegenheit dafür. Das sei der Stoff, aus dem Träume gemacht seien. Die BBC titelte vor dem Endspiel, dass Littler auf dem Weg zur „Unsterblichkeit“ sei. Seine Bekanntheit in Großbritannien ist bereits fast auf dem Niveau der heimischen Fußballstars angelangt. Kürzlich witzelte der letztjährige Weltmeister Humphries, dass ihn die Leute aufgrund seines gleichen Vornamens mit Littler verwechseln würden. Sie stellten dann immerzu während des Gesprächs irgendwann fest, mit dem „falschen Luke“ zu reden, erzählt er.
Die Medien erwarten neue TV-Rekorde
Der Personenkult um Luke Littler sprengt auf der Insel fast alle Grenzen. Die Medien erwarten beim Finale einen weiteren neuen Einschaltrekord im Darts. Es werde ein Millionenpublikum vor dem TV sitzen, Menschen, die noch nie zuvor Darts gesehen hätten, glaubt der Guardian. Aber der Hype scheint Littler bisher nichts anzuhaben. „Er geht einfach da rein und macht es. Das ist großartig“, adelt Taylor Littler. So ging er einst selbst an die Sache heran. Am Ende wurde er 16 Mal Weltmeister.