Darts-Weltmeister Luke Humphries

Der Wassertrinker

04. Jan 2024, 14:39 Uhr

"Ein menschlicher Held inmitten des Getöses", schreibt der Guardian: Luke Humphries nach seinem WM-Sieg im Alexandra Palace. (Foto: Ian Stephen / Imago)

Nach zahlreichen Rückschlägen krönt sich der eher unscheinbare Luke Humphries zum neuen Darts-Weltmeister. Seine Aufholjagd im Finale gegen Luke Littler ist bezeichnend für seine Karriere – er verfügt über einen unbeugsamen Willen.

Sven Haist, London

Wohl kaum jemand hätte Luke Humphries diese Selbstironie zugetraut. Im Mediengespräch nach dem WM-Finale im Darts am Mittwochabend, fragte ein Reporter den neuen und erstmaligen Weltmeister, wie er seinen Erfolg in der Nacht feiern werde. Humphries sagte, er gedenke, sofort an die Hotelbar zu gehen. Die durchaus überraschende Antwort des immerzu auf das Spiel fokussiert und daher manchmal steif wirkenden Engländers löste weitere Erkundigungen aus. Welches Getränk er sich als erstes bestellen werde? Diesbezüglich sei er sich noch nicht sicher, forcierte der Dartsprofi die Spannung.

Auf das nächste ungeduldige Einhaken, welcher Drink ihm denn gewöhnlich am besten schmecke, löste Humphries auf: “Ich liebe Wasser!“ Dann griff er zur neben ihm stehenden Aqua-Flasche und hielt sie unter dem Gelächter der Zuhörer wie zuvor seine Siegertrophäe hoch. Zum Wohl!

Das Publikum hatte nur vereinzelte Sympathien für ihn übrig

Mit dieser Pointe hätte Humphries sicher auch die Herzen der Darts-Zusehenden im Londoner Partypalast “Ally Pally” erobert, die gemeinhin auf prickelndere Typen stehen. Die unterschiedlichen Geschmacksvorlieben dürften eine plausible Erklärung sein, warum die Zuschauer mit Humphries bisher noch nicht so warm geworden sind wie mit dem Alkohol, den sie auch bei dieser WM wieder eimerweise herunterspülten. In der Regel kommen Darts-Spieler, die mehr wie Hobbywerfer statt Leistungssportler aussehen und auftreten, beim Publikum besser an – weil sie sich höchstwahrscheinlich darin selbst ein bisschen wiedererkennen.  

So hatten die Leute wie schon während des gesamten Turniers auch im Finale nur vereinzelte Sympathien für Humphries übrig. Sie unterstützten leidenschaftlich seinen Gegner, den erst 16 Jahre alten Wunderwerfer Luke Littler, der mit seinem unerwarteten Durchmarsch in den vergangenen Tagen für Schlagzeilen gesorgt hat. Nach seinem 7:4-Sieg gegen Littler sagte Humphries, dass sich das Match in etwa angefühlt habe, als hätte er gegen die ganze Welt antreten müssen.

Beinahe hätte Humphries vor Jahren seine Karriere beendet

Dabei entspricht Humphries‘ einschneidender Werdegang mit zahlreichen Rückschlägen weit mehr den gewöhnlichen Lebensläufen der Masse als der des hochbegabten Littlers. Vor sechs Jahren gab Humphries, 28, seinen Beruf als Dachdecker in Newbury auf, das knapp eine Zugstunde westlich von London liegt. Doch bevor seine Profi-Laufbahn am Dartsboard so richtig Fahrt aufnahm, war sie beinahe schon wieder beendet. Früh hatte Humphries mit gravierenden mentalen Problemen zu kämpfen, bekam Panikattacken auf dem Spielpodium. Nach dem WM-Sieg gestand er nun, einst “wirklich sehr deprimiert” gewesen zu sein. Er hätte “viele Probleme” gehabt und sich “nicht auf der großen Bühne behaupten” können.

Während dem Corona-Lockdown im Winter 2021 postete Humphries in den sozialen Medien, in weniger als zwei Monaten rund zwölf Kilo abgenommen zu haben. Die Kur verbesserte seine Ausdauer und Konzentration. Sinnbildlich für die Transformation steht ein gemeinsames Bild mit Finalgegner Littler aus alten Tagen, auf dem der damals gut beleibte Humphries heute kaum noch erkennbar ist. Es sei seinerzeit eine bewusste Entscheidung gewesen, den eigenen Lebensstil zu verändern, sagt Humphries heute. Mittlerweile wirkt er wie ein Modellathlet, speziell im Vergleich zu seinen überwiegend korpulenten Darts-Konkurrenten – und so makellos und mechanisch ist auch sein Spiel.

Im Finale gewann Humphries fünf Sätze hintereinander

Der Durchbruch gelang ihm im Oktober 2023, als er sein erstes großes Turnier gewann. Mittlerweile hat er vier der vergangenen fünf Major-Turniere gewonnen, ist seit 19 Matches ungeschlagen. Sein Durchhaltevermögen und seine daraus neu gewonnenen mentalen Fähigkeiten verhalfen ihm gleichfalls im Duell mit Littler zum Titel. Er drehte einen 2:4-Rückstand mit fünf hintereinander gewonnenen Sätzen zum Sieg, in den Abschnitten sieben bis neun erzielte er einen Durchschnitt von über 110 Punkten pro Drei-Pfeil-Aufnahme. Insgesamt warf er 73 Mal die Höchstpunktzahl „180“, mehr als jeder andere Spieler im Turnier, davon 23 Mal im Endspiel. Diesen Moment des Erfolgs werde er „nie vergessen“, sagte er.

Im Hinterkopf habe er, Humphries, immer den Gedanken gehabt ‚Hol dir das jetzt‘, weil sein Gegner aus seiner Sicht den Dartssport bald über Jahre dominieren könnte. Der Druck war ihm anzumerken, am meisten bei seinem Match-Dart auf die Doppel-8, als seine Hand “wie verrückt gezittert” hätte. Sein Spitzname im Darts ist “Cool Hand Luke” – ziemlich treffend, weil sich auch der Hauptcharakter im gleichnamigen Film durch Tapferkeit und einen unbeugsamen Willen auszeichnet. Nun ist Humphries nach Phil Taylor und Michael van Gerwen der dritte Spieler, der vier Darts-Majors innerhalb eines Jahres gewonnen hat.

Seine Persönlichkeit sei nicht “Rock ‘n’ Roll”, witzelt er

Als neuer Weltranglistenerster wird er in dieser Saison erstmals an der Premier League teilnehmen, einer lukrativen Einladungsturnierserie des Verbands – bei der er bisher trotz konstant guter Leistungen übergangen worden ist. Die Zeitung The Guardian hob hervor, dass Humphries “ein menschlicher Held inmitten des Getöses und der Angeberei des Dartsports” sei. Er möge zwar vermutlich nicht der Star sein, den sich dieser Sport wünsche, kommentierte das Blatt: Aber Humphries sei in gewisser Weise genau derjenige Star, den das Darts benötige.

Diese Sichtweise bestätigte Luke Humphries indirekt mit seinem feinen, selten in der Szene gehörten Humor nach dem Turniersieg. Seine Persönlichkeit sei nicht Rock ‘n’ Roll, witzelte Humphries über sich selbst, aber das würde wohl auch ohnehin fast niemand von ihm erwarten. Dabei spielte er auf die vorherrschende Meinung an, er sei ein eher unscheinbarer Spieler. Doch damit dürfte es sich spätestens jetzt erledigt haben.

Keep on reading

Am Ball bleiben