England verteidigt EM-Titel

Englands Siegeskultur

28. Juli 2025, 21:40 Uhr

England gewinnt erstmals einen Fußballtitel außerhalb der eigenen Insel. (Foto: Philipp Kresnik / Imago Images)
England gewinnt erstmals einen Fußballtitel außerhalb der eigenen Insel. (Foto: Philipp Kresnik / Imago Images)

England schreibt Fussballgeschichte: Als vierte Nation verteidigt das Team seinen EM-Titel – ein Resultat strategischer Neuausrichtung der FA. Mit klugen Entscheidungen bei Trainerwahl, Kader und Infrastruktur setzt England neue Maßstäbe und strebt nun den WM-Titel an.

Von Sven Haist, Basel

Nach Schweden, Norwegen und Deutschland hat nun auch England als vierte Nation zwei EM-Titel in Folge gewonnen. Die erfolgreiche Titelverteidigung unterstreicht die derzeitige Dominanz der Football Association (FA) im internationalen Fussball. Der Verband setzt mit seinen Nationalteams im Frauen-, Männer- und Jugendbereich den Massstab. Grundlade dafür ist eine umfassende Neuausrichtung, die vor einem Jahrzehnt begann – als sich die FA an einem Tiefpunkt befand. An der EM 2013 schieden die Frauen in der Vorrunde aus, während die Männer bei der EM 2016 im Achtelfinal blamabel an Island scheiterten. Als Konsequenz engagierte die FA den Wirtschaftsstrategen Mark Bullingham, der zuvor erfolgreich Entwicklungen in verschiedenen Sportunternehmen initiiert hatte. Unter seiner Leitung – zunächst als kaufmännischer Direktor, ab März 2019 dann als Geschäftsführer der FA – zog eine neue Ernsthaftigkeit in den Verband ein. Statt oberflächlicher Ansätze überwog fortan strategisches Handeln. Das zeigte sich nicht nur bei der Auswahl der Trainerinnen und Trainer, sondern auch bei der Planung und Umsetzung von Turnieren der Nationalteams.

Englands Detailarbeit geht bei der Quartierwahl los

An der EM in der Schweiz wird das erneut deutlich, beginnend bei der sorgfältigen Wahl des Teamquartiers: dem luxuriösen Dolder Grand Hotel am Adlisberg, das trotz seiner Nähe zur Zürcher Innenstadt ausreichend Abgeschiedenheit bietet. Auch bei der Kaderzusammenstellung legt England heute wesentlich mehr Wert auf Leistungsprinzipien, Charakterstärke und eine ausgewogene Mischung. Harte personelle Entscheidungen werden dabei nicht gescheut – wie der Umbruch im Frauenteam vor dem aktuellen Turnier demonstrierte. Rund ein Drittel der Spielerinnen wurde erstmals für ein grosses Turnier nominiert. Das stärkt eine gesunde Hierarchie, in der die Rollen klar verteilt sind. Interne Spannungen wie in früheren Jahren sind zur Seltenheit geworden.

Die FA hat für dieses Vorgehen die passenden Coaches gefunden. Im Frauenbereich ist das die Niederländerin Sarina Wiegman, 55, die das Team seit Herbst 2021 betreut. Sie verkörpert genau jene Kombination aus Professionalität und Menschlichkeit, nach der sich der Verband nach den Konflikten der Vergangenheit gesehnt hatte. Di­e­se Haltung überträgt sie konsequent auf ihre Teams. Die Erfolge der letzten Jahren haben sie bestätigt, aber nicht verändert. Das ist ein belangreicher Aspekt dafür, dass sich die Engländerinnen kaum noch Ausrutscher gegen schwächere Gegner leisten. Leichtsinn widerspricht Wiegmans bodenständigem und arbeitsintensivem Ansatz – sie würde ihn niemals dulden. Lange Zeit gestattete sie sich nicht einmal, Tore und Siege zu feiern. Konzentriert stand sie stets am Spielfeldrand. Erst bei dieser EM präsentiert sie sich gelöster und teilt mehr Emotionen mit der Öffentlichkeit.

Trainerin Sarina Wiegman sei unverkäuflich, sagt FA-CEO Bullingham

So reihte Wiegman mit den Niederlanden und England in einer beispiellosen Serie Titel an Finalteilnahmen: Sie gewann drei EM-Titel (2017, 2022, 2025) und erreichte zwei WM-Finals (2019, 2023), die sie jeweils knapp verlor. Wiegman sei eine aussergewöhnliche Trainerpersönlichkeit und habe geholfen, eine starke Kultur aufzubauen, sowohl unter den Spielerinnen als auch im gesamten Betreuerteam, lobte Bullingham vor dem Final. Erneut bekräftigte der CEO, dass Wiegman «jeden Job im Fussball ausführen» könnte, auch den des Männer-Nationalteams. Ihr Vertrag mit der FA ist bis nach der WM 2027 in Brasilien gültig und unverhandelbar. Es gebe «keinen Preis», zu dem man die Trainerin ziehen lassen würde, erteilte Bullingham etwaigen Abwerbeversuchen eine klare Absage.

Allerdings ist zu bezweifeln, ob Wiegman eine andere Tätigkeit überhaupt in Betracht ziehen würde. Denn die Perspektive mit Englands Frauen könnte kaum zu übertreffen sein. Der erneute EM-Titel bestätigt die Investitionen in den Frauenfussball. Englands Women’s Super League befindet sich auf einem Allzeithoch, die nächste Spielerinnengeneration drängt bereits nach. Dass Nachlässigkeit Einzug halten könnte, ist nahezu auszuschliessen. Dafür ist der Erwartungsdruck von allen Seiten viel zu gross. Und ein Ziel gilt es ohnehin noch zu erreichen: den WM-Titel.

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