England-Stürmerin Chloe Kelly
Am Ende trifft Chloe Kelly
28. Juli 2025, 21:27 Uhr

Chloe Kelly erzielte im EM-Finale 2022 das Siegtor für England – und überzeugt nun erneut als Einwechselspielerin. Dabei wollte sie vor einem halben Jahr bei Manchester City mit dem Fußball aufhörn. Doch ein Social-Media-Post verhalf ihr zum Vereinswechsel.
Chloe Kellys Jubel ist längst ebenso legendär wie ihre Tore für die englische Nationalmannschaft. Sei es ihr Siegtreffer im EM-Final 2022 gegen Deutschland oder ihr entscheidendes Tor im kürzlichen EM-Halbfinal gegen Italien in der Verlängerung. Vor drei Jahren riss sie sich das Trikot vom Leib, wirbelte es durch die Luft und rannte unverwechselbar im Sport-BH über das Spielfeld. Eine Autorin der Zeitung «Guardian» beschrieb diesen sporthistorischen Moment für England treffend: «Das ist der Körper einer Frau – nicht für Sex oder zur Schau, sondern nur aus purer Freude an dem, was sie leisten kann, und an ihrer Kraft und ihrem Können.»
Diesmal, nachdem sie zunächst einen Elfmeter verschossen und ihn im Nachschuss doch noch verwandelt hatte, mahnte Kelly, 27, demonstrativ zur Ruhe. Allein blieb sie an der Eckfahne zurück – ein Arm in die Hüfte gestemmt, der andere lässig auf die Eckfahne gelegt. Ihre Haltung strahlte Gelassenheit und Selbstvertrauen aus. Das Bild postete sie auf Instagram, dazu schrieb sie: nichts.
Drucksituationen scheinen Chloe Kelly nichts auszumachen
Diese markanten Szenen spiegeln Kellys extrovertierte und unkonventionelle Persönlichkeit wider. Sie sei schon immer so gewesen, erzählt ihre Teamkollegin Esme Morgan – jemand, die sich schlicht nicht darum kümmert, was andere über sie denken. Mit dieser Charakterstärke wirkt Kelly wie geschaffen für nervenaufreibende Endrundenspiele, so auch für den Final zwischen England und Spanien am Sonntag (21 Uhr). Drucksituationen scheinen an der Angreiferin spurlos vorüberzugehen. Ihre Entschlossenheit und Willenskraft verleihen der englischen Mannschaft jenes Selbstverständnis, das sie seit Jahren in engen Spielsituationen von den meisten Konkurrentinnen abhebt. Trainerin Sarina Wiegman setzt daher bei Rückständen konsequent auf Kelly als Joker. Wenn alle Augen auf sie gerichtet sind, blüht sie auf, sagt Morgan. Auf die Frage, woher ihre unverwüstliche Zuversicht komme, antwortete Kelly: «Von mir selbst!» Das ist keineswegs nur metaphorisch gemeint: Ihre Karriere ist tatsächlich geprägt von bemerkenswerter Widerstandsfähigkeit.
In der Hinrunde kam Chloe Kelly kaum zum Einsatz
Immer wieder hat sie Rückschläge überwunden und ihren Weg gefunden – zuletzt noch vor einem halben Jahr, als sie ernsthaft darüber nachdachte, mit dem Fussball aufzuhören. Nach vier erfolgreichen Jahren bei Manchester City verlor Chloe Kelly ihren Stammplatz im internen Konkurrenzkampf und kam in der Hinrunde allenfalls sporadisch zum Einsatz; angeblich auch wegen eines angespannten Verhältnisses zu Trainer Gareth Taylor. Die fehlende Spielpraxis könne im Hinblick auf die EM zum Problem werden, sagte Wiegman damals. Deshalb drängte Kelly im Januar – ein halbes Jahr vor Vertragsende – auf einen vorzeitigen Abschied aus Manchester. Ein Wechsel schien sich jedoch aus unterschiedlichen Gründen nicht zu realisieren. Am Abend vor Ende des Transferfensters teilte Kelly eine gleichfalls verzweifelte wie mutige Nachricht, in der sie ihren Klub scharf attackierte. Sie schrieb, ihr mentales Wohlbefinden leide darunter, dass ihr «vorgeschrieben» werde, zu welchem Verein sie wechseln dürfe und zu welchem nicht.
Dem Vernehmen nach blockierte Manchester City einen Transfer zum Stadtrivalen United, während Kelly selbst ein Angebot aus Brighton ablehnte. Der Schritt an die Öffentlichkeit rief grosses Mitgefühl hervor, auch wegen ihrer Bekanntheit sprangen zahlreiche englische Prominente der EM-Heldin zur Seite. Der Druck auf Manchester City stieg. Kurz vor Transferschluss einigte sich der Klub mit dem frisch interessierten Ligarivalen Arsenal auf eine Leihe. Kelly warf City vor, versucht zu haben, ihren Ruf durch «negativ verbreitete Geschichten» zu beschädigen. City-Coach Taylor bemühte sich um Deeskalation: Man befinde sich in einem leistungsorientierten Geschäft, in dem harte Entscheidungen zu treffen seien, wodurch manchmal die Wünsche einzelner Spielerinnen auf der Strecke blieben.
Beim FC Arsenal fand Chloe Kelly ihre Form und Freude wieder
Bei Arsenal fand Chloe Kelly zu ihrer Form zurück und trug maßgeblich dazu bei, dass der Klub als erste englische Mannschaft in dieser Saison die Champions League gewann. Im Final gegen den FC Barcelona stand sie in der Startelf, erhielt daraufhin einen neuen Vertrag bei Arsenal und wurde, wie bekannt, für das EM-Turnier nominiert. Sie habe ihr Glück wiedergefunden, nachdem sie sich bei Manchester City am Ende an einem «dunklen Ort» gefühlt habe, resümierte Kelly das vergangene Halbjahr. Ihre Unbeugsamkeit hatte sie bereits vor der letzten EM bewiesen, als sie sich rechtzeitig nach einem Kreuzbandriss zurückgekämpft hatte.
Kellys Spezialität ist ihre Abschlussstärke, sie verfügt über einen der härtesten Torschüsse im Frauenfussball. Den siegbringenden Elfmeter im WM-Achtelfinale 2023 gegen Nigeria verwandelte sie mit 111km/h – und kümmerte sich anschliessend rührend um die enttäuschte Torhüterin. Dazu kommen ihre präzisen Flanken, ihr Tempo und natürlich das sichere Gefühl für ihre Mitspielerinnen, dass sie jedes Match drehen können.
Ihre Brüder haben sie abgehärtet, erzählt Chloe Kelly
«Egal was passiert: Chloe richtet sich auf, streckt die Brust raus und gibt alles», sagt Teamkollegin Luy Bronze. Diese Eigenschaften haben sich früh auf den Streetcourts im Londoner Stadtteil Ealing herausgebildet. Ihre fünf Brüder hätten es ihr nie leicht gemacht und sie «abgehärtet», erzählte Kelly einst: Wenn sie auf dem Boden lag, hiess es nur: «Steh auf oder du spielst nicht mit». Doch letztlich setzte sie sich immer durch. Chloe Kelly wisse besser als viele andere, dass es nicht darauf ankomme, wie man etwas beginne, sondern wie man es zu Ende bringe, lobt der «Guardian». Und nichts steht dafür so sehr wie ihr Torjubel.
Die Comeback-Queens
Revanche oder Wiederholung? England trifft im EM-Final der Frauen auf Spanien. Die Lionesses beeindrucken mit Kadertiefe, Physis und Mentalität - und haben eine besondere Statistik auf ihrer Seite. Doch die spielerische Qualität spricht für Spanien.
