Europa-League-Finale in Bilbao
Mit dem Hausboot zum „Clownico“
20. Mai 2025, 18:04 Uhr

Zigtausende englische Fans von Manchester United und Tottenham Hotspur reisen zum Finale in der Europa League nach Bilbao. Die baskische Stadt stößt an ihre Grenzen – und die Preise sind erwartungsgemäß explodiert.
Die Fans von Manchester United würden sogar nach Bilbao schwimmen, um ihrem Klub beizustehen, vermutet Rúben Amorim. Und was als Lob des Trainers für die große Unterstützung gemeint war, hatte einen wahren Kern. Denn wie die Anhänger vom Gegner Tottenham Hotspur schöpfen sie nahezu alle Fortbewegungsmittel aus, um an den malerischen, im Hinterland der Pyrenäen versteckten Golf von Biskaya im Norden Spaniens zu gelangen. Dort findet an diesem Mittwoch das Finale der Europa League statt.
Seit Tagen teilen die Fans der beiden Endspielgegner ihre bisweilen abenteuerlichen Routen nach Bilbao in den englischen Medien und sozialen Netzwerken. Einige Anreisen hätten das Potenzial, als Kunst in Bilbaos Guggenheim-Museum ausgestellt zu werden. Unter den Berichten finden sich alle gängigen Transportvarianten: Flugzeug, Zug, Auto, Motorrad, Bus, Campingwagen, Fahrrad, Wanderstock oder mehrere davon nacheinander. Ein Fan empfahl prophylaktisch, notfalls mit einem Kamel die Bergketten zu überqueren.
Einige Fans reisten mit der Fähre nach Bilbao
Eine Form der Beförderung, die sich besonders eignet, ist die Fähre. Hunderte Fans buchten sich kurzfristig in ein Kreuzfahrtschiff ein, das am Sonntag im englischen Portsmouth ablegte und am Dienstag in Bilbao eintraf. Mit an Bord war ein Reporter der Boulevardzeitung Sun, der berichtete, er habe gar einen Fan von Tottenhams Erzrivalen Arsenal an Deck getroffen – weil dieser die Spurs in Bilbao verlieren sehen wollte.
Schwer zu toppen ist aber diese Story: Ein United-Fan postete das Foto eines Hausboots in einem englischen Flusskanal, dazu schrieb er: „Auf dem Weg nach Bilbao“. Daraufhin warnte ihn jemand, er werde auf dem offenen Meer auf diese Art „hundertprozentig“ untergehen. Dieses Boot habe alles gesehen („This boat has seen it all“), lautete der Konter. Was insofern eine sehr passende Antwort war, weil sie den berühmten United-Schlachtgesang aufgriff, wonach man im Fußball alles gesehen („seen it all“) und einiges gewonnen („won the lot“) habe.
Das Finale in Bilbao gleicht einem Klippensprung – mit nur einem Rettungsschirm
Wer weiß, vielleicht erleben die Fans bei ihren Trips mehr als im Stadion. Das Finale trägt auf der Insel nämlich das wenig charmante Anhängsel „Clownico“ – in Bezug auf die aktuellen Tabellenpositionen von Manchester (16.) und Tottenham (17.) in dieser Premier-League-Saison. Nur die drei Absteiger (Leicester, Ipswich, Southampton) sind schlechter, und wohl noch nie waren Europapokalendspiel-Teilnehmer verzweifelter. In England heißt es, keiner der beiden Vereine hätte die Trophäe verdient.
Das Duell gleicht einem Klippensprung, bei dem nur der Gewinner einen Rettungsfallschirm erhält: den Titel, den Startplatz für die Champions League, die Millionenerlöse. Zumindest insofern lässt sich nachvollziehen, warum auch viele Fans bereit sind, alles zu geben. Die Kosten für Reise, Logis und Verpflegung für die Finalnacht reichen zumeist deutlich in den vierstelligen Bereich hinein, vernünftige Unterkünfte sind seit Monaten kaum unter 1000 Euro zu bekommen. Zwar ist das fußballverrückte Bilbao (350 000 Einwohner), dessen eigener Klub Athletic im Halbfinale an United scheiterte, den Besuch von Fans und Touristen gewohnt – aber einen solchen Ansturm hat die baskische Hauptstadt trotzdem nie erlebt. Angeblich weilen deutlich mehr als 50 000 Engländer in den Straßen.
Die Finalnacht in Bilbao kostet deutlich mehr als 1000 Euro
Weil die Nachfrage das Angebot in vielerlei Hinsicht übersteigt, sind die Preise erwartungsgemäß explodiert. Das Lokalgewerbe wittert den womöglich umsatzstärksten Tag der Stadthistorie. Überall sei „Profitmacherei“, klagte ein Vertreter des United-Magazins Red News im Independent. Viele Fans werden das Spiel nicht mal im Stadion verfolgen können. Nur 30 000 der insgesamt 50 000 Tickets wurden den beiden Klubs zugewiesen. Der Rest ging an Sponsoren, Medien und in den freien Verkauf. Für sie wurde der Etxberria Park am Stadtrand in eine Fanzone umfunktioniert. Mindestens 56 000 Bierpints sollen bereitstehen, sie werden ziemlich sicher getrunken. (Bilbao leerzuessen dürfte bei der Dichte an erlesenen Restaurants in der Region schon schwieriger werden.)
Die Fanschar rund um das neu gebaute San Mamés hält die Diskussion um die Vergabe der Endspielorte am Köcheln. Schon vor drei Jahren verhielt es sich ähnlich, als Sevilla im selben Wettbewerb die Anhänger der Traditionsvereine Eintracht Frankfurt und Glasgow Rangers kaum aufnehmen konnte. Im vergangenen Jahr hatte Dublin im Fall eines Finaleinzugs des FC Liverpool früh Alarm geschlagen, es wäre damals Jürgen Klopps letztes Spiel gewesen. Am Ende trafen Bergamo und Leverkusen aufeinander – wofür sich die irische Stadt als wunderbarer Gastgeber erwies.
Vor drei Jahren erreichte der Finalort Sevilla an die Belastungsgrenze
Eine Änderung des Vergabemodus – zum Beispiel erst nach den Viertelfinals, wie es sich manch einer wünscht – ist organisatorisch allerdings fast nicht zu bewerkstelligen. Zudem wären einem Finale der Größenordnung United – Tottenham nur die immergleichen Metropolen gewachsen. Das ginge zu Lasten von Städten wie Bilbao, die durch den Zuschlag einen Bekanntheitsschub erfahren. Und ein wesentlicher Faktor besteht für Fans schließlich auch aus der (teuren) Folklore, dorthin aufzubrechen, wo man sonst im Leben eher nicht hinkommt. Auch wenn man dafür ins Wasser muss.

Wegkreuzung für zwei Sorgenkinder
Englisches Finale in der Europa League: Für Manchester United und Tottenham Hotspur geht es um den Titel, einen Startplatz in der Champions League - und mindestens 100 Millionen. Gewissermaßen suchen beide Vergebung für die enttäuschende Saison .