Englische Klubs im Europapokal

Englische Raubfische im Karpfenteich

02. Mai 2025, 15:20 Uhr

Wird in der Europa League für einen kurzen Augenblick zu
Wird in der Europa League für einen kurzen Augenblick zu "Harrydinho": Verteidigerkoloss Harry Maguire von Manchester United (Foto: Gokhan Taner / Shutterstock / Imago Images)

Die englischen Klubs dominieren die Europa League und Conference League. Manchester United, Tottenham und Chelsea gewinnen ihre Halbfinalhinspiele gegen die europäische Festlandkonkurrenz deutlich. Ihr Ziel: die Saison mit einem Titel schönfärben.

Von Sven Haist, London

Dass Harry Maguire von Manchester United irgendwann in seiner Fußballerlaufbahn, wenn auch nur für einen kurzen Augenblick, zu „Harrydinho“ wird, hätte er wohl selbst nicht vermutet. Die Endung -dinho entstammt dem Brasilianer Ronaldinho, der einst bei seinen Dribblings den Ball genauso tanzen ließ wie die Gegenspieler. Auf diese Art wurde Maguire von den englischen Medien nach dem Halbfinal-Hinspiel gegen Athletic Bilbao in der Europa League belobigt. Der Verteidigerkoloss tauchte nach einem Freistoß plötzlich auf der rechten Seite auf und wackelte dort Bilbaos Mikel Jauregizar mit mehreren Richtungswechseln aus. Seine Flanke leitete den Kopfballführungstreffer des Kollegen Casemiro ein.

Maguires Metamorphose konnte man als Beispiel dafür nehmen, dass in den hinter der Champions League angesiedelten Europapokalwettbewerben bisweilen ein Ungleichgewicht herrscht, als würden Raubfische in einem Karpfenteich schwimmen. Damit ist in diesem Fall die in dieser Saison in der Europa League und Conference League antretende dauerkriselnde Großklubriege aus England gemeint, bestehend aus Manchester United, Tottenham Hotspur und Chelsea. Zusammengerechnet schossen die Engländer gegen die Festland-Europäer am Donnerstagabend ein stattliches 10:2 heraus. Das Gesamtergebnis verteilte sich so: Manchester schlug Bilbao 3:0, Tottenham bezwang Bodö/Glimt 3:1 (beide Europa League) und Chelsea besiegte Djurgårdens 4:1 (Conference League).

Die englischen Klubs versuchen im Europapokal ihre Saisons schönzufärben

Dadurch sieht es vor den Rückspielen in einer Woche nach einem rein englischen Europa-League-Finale zwischen Manchester und Tottenham aus und in der Conference League nach einer Endspielteilnahme von Chelsea; im Parallelspiel gewann Real Betis gegen AC Florenz (2:1). „EUR on track!“ – ihr seid auf dem richtigen Weg, frohlockte die Sun in einem Wortspiel mit dem Euro-Kürzel nicht ganz uneigennützig; das Boulevardblatt warb einst für den Brexit. Hinter den Ergebnissen steckt die kuriose Pointe, dass die allesamt in der Premier League hinter den eigenen Erwartungen zurückbleibenden Vereine versuchen, ihre Saison durch einen Triumph im Europapokal schönzufärben.

Europas Fußball-Union Uefa offeriert nämlich allen Europapokalsiegern einen automatischen internationalen Startplatz für die Folgesaison, der Gewinner der Europa League qualifiziert sich für die Champions League, der Conference-League-Sieger immerhin für die Europa League. Diesen Anreiz nutzen insbesondere Manchester United und Tottenham geradezu dreist aus, indem sie sich seit Wochen in den nationalen Partien für die internationalen Matches schonen. An den letzten fünf Spieltagen haben sie zusammen lediglich ein Spiel in der Premier League gewonnen, Tottenham schlug den Tabellenletzten Southampton. Für beide Klubs erscheint es in diesem Jahr wesentlich leichter, die Geldquelle Champions League über die Europa League zu erschließen als über die heimische Liga.

Zehn Siege in elf Spielen, dazu 37:9 Tore – das ist Chelseas Bilanz in der Conference League

Wegen der immer noch beachtlichen Kaderqualität der finanzkräftigen United und Tottenham kann die Konkurrenz vom Kontinent kaum mithalten. Besonders offenkundig wird das bei der Milliardentruppe Chelsea, die den Conference-League-Teich leer frisst. Von elf Spielen hat Chelsea zehn gewonnen, Torverhältnis 37:9 – obwohl stets die zweite Garde mit maximal einigen Stammkräften aus der ersten Elf antritt. Chelseas Kaderwert ist so hoch wie der von allen anderen 35 Wettbewerbsteilnehmern zusammen.

Die Dominanz der Engländer spiegelt sich in der Fünfjahreswertung der Uefa wider. Seit der Saison 2021/22 führen sie das Klassement an, der Vorsprung ist derart eklatant, dass sich daran erst mal nichts ändern dürfte. In dieser Spielzeit hat die erneut dominante Premier League bisher ein Drittel mehr Punkte geholt als die Bundesliga. Weil die Uefa den zwei im aktuellen Spieljahr besten Ligen einen zusätzlichen Startplatz für die Champions League einräumt, qualifizieren sich diesmal fünf statt vier englische Klubs für die Königsklasse.

Nächste Saison könnten bis zu zehn englische Teams im Europapokal teilnehmen

Dies könnte nun dazu führen, dass in der kommenden Runde insgesamt neun englische Vereine international vertreten sind: sechs in der Champions League (fünf Ligastartplätze und der Sieger des mutmaßlichen Europa-League-Finals Tottenham/Manchester), zwei in der Europa League (FA-Sieger und Ligasechster) und einer in der Conference League (Ligasiebter). Sofern das derzeit fünftplatzierte Chelsea in der Liga noch aus den internationalen Rängen fällt, dafür aber die Conference League gewinnt, würde sich das Kontingent sogar auf zehn Teilnehmer erhöhen – die halbe Premier League würde dann international mitspielen. Ein solches Szenario dürfte England ähnlich gefallen wie Harry Maguire sein neuer Spitzname.

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