Englisches Europa-League-Finale
Wegkreuzung für zwei Sorgenkinder
09. Mai 2025, 18:18 Uhr

Englisches Finale in der Europa League: Für Manchester United und Tottenham Hotspur geht es um den Titel, einen Startplatz in der Champions League – und mindestens 100 Millionen. Gewissermaßen suchen beide Vergebung für die enttäuschende Saison .
Die Premier League denkt seit einigen Jahren darüber nach, einige Partien oder möglicherweise sogar einen kompletten Spieltag ins Ausland zu verlagern. Von einer solchen beispiellosen Maßnahme würde sich die Liga nochmals eine Steigerung des internationalen Zuschauerinteresse erhoffen, was wiederum ihrer Vermarktung und den Fernseheinnahmen vermutlich zugutekommen würde. Eine Kostprobe, wie das zukünftig aussehen und funktionieren könnte, gibt es nun quasi in zwei Wochen am Ende dieser Saison – wenn die beiden Großvereine Manchester United und Tottenham Hotspur ein rein englisches Finale in der Europa League im baskischen Bilbao austragen.
Am Donnerstababend checkten beide Klubs für ihre Reise an den schönen Golf von Biskaya ein. Manchester besiegte Athletic Bilbao 4:1 und Tottenham bezwang Bodö/Glimt 2:0. Nach den ebenso eindeutig gewonnenen ersten Duellen kamen selbst die zuletzt notorisch instabilen Klubs in den Rückspielen nicht mehr in Bedrängnis. Für das Highlight sorgte Manchesters Mason Mount, der in der Nachspielzeit ein Kunstschusstor aus 40 Metern fabrizierte, als er den gegnerischen Torwart überlupfte. Parallel vervollständigte der FC Chelsea das englische Finalvorrücken, indem man gleichfalls in der Conference League souverän gegen Djurgårdens IF das Endspiel erreichte.
Nur ein deutscher Spieler in den Finals: Inter Mailands Abwehrmann Bisseck
Dramatik stellte sich diesmal lediglich bei der Suche nach Chelseas Finalgegner ein. Dank zwei Toren des deutschen Nationalspielers Robin Gosens erwirkte der AC Florenz immerhin eine Verlängerung gegen Real Betis, schied dann aber doch nach dem 2:2-Ausgleichstor aus, nachdem man das Hinspiel verloren hatte. Sein Herz weine so sehr, kommentierte Gosens die Enttäuschung. Damit ist heuer praktisch nur ein deutscher Spieler in den Europapokalfinals vertreten: Inter Mailands Abwehrmann Yann Aurel Bisseck in der Champions League. Dessen türkischer Mitspieler Hakan Çalhanoğlu hat zumindest noch deutsche Wurzeln. Und ein gewisser Timo Werner steht bei Tottenham unter Vertrag, auch wenn er sportlich überhaupt keine Rolle mehr spielt.
Angesichts der souveränen Meisterschaft des FC Liverpool ist es nicht übertrieben, das Duell der englischen Sorgenkinder in der Europa League als das bedeutendste Fußballspiel auf der Insel in dieser Saison zu betiteln. Es stellt für die zwei Klubs eine Wegkreuzung dar: Für den Sieger geht es auf den Beschleunigungsstreifen einer Autobahn und für den Verlierer hingegen auf eine Schotterpiste. „Blockbuster in Bilbao“, so das Straßenschild der Medien. Die Zuspitzung würde der manchmal marktschreierisch kommunizierenden Premier League sicherlich gefallen.
United-Trainer Amorim ist jetzt schon gestresst wegen der Tragweite des Finales
Auf dem Finale steht für die in der Ligatabelle abgeschlagenen Manchester (15.) und Tottenham (16.) nicht nur der Titel in der Europa League, sondern gleichfalls ein damit einhergehender Startplatz in der darüberliegenden Champions League in der kommenden Saison – verbunden mit Einnahmen von deutlich mehr als 100 Millionen Euro. „Bring home the bacon“, bringt die Brötchen nach Hause, fordert die Massenzeitung Sun in einer Redewendung.
Beide Klubs suchen in der Europa League in diesem Jahr gewissermaßen Vergebung für die in den anderen Wettbewerben unerfüllten Erwartungen. Dabei gehen die Interessenslagen ein wenig auseinander. Um die eigene Kernsanierung unter dem neuen Minderheitsbesitzer Jim Ratcliffe voranzutreiben, ist das hochverschuldete United auf ein Mitwirken an der Champions League angewiesen. Ohne die Geldspritzen würde man die Mannschaft nicht modernisieren können und neue Spitzenspieler kaum Interesse haben, sich dem Klub anzuschließen. Er sei schon jetzt ob des Finals gestresst, sagte United-Trainer Rúben Amorim: Wenn man verliere, sei alles nichts.
Seit 17 Jahren wartet Tottenham auf einen Titel
Priorität bei Tottenham hat der Titel an sich. Seit dem geholten League Cup 2008 wartet der Verein 17 Jahre lang sehnsüchtig auf einen Pokalgewinn. Bei den in diesem Zeitraum verlorenen Finals und knapp verpassten Ligatiteln schien den als tollpatschig verschrienen Spurs das Selbstvertrauen zu fehlen. Daran mangelt es zumindest dem jetzigen Trainer Ange Postecoglou nicht. Der Finaleinzug werde viele Leute verärgern, verspottete er die Kritik aus der Heimat, ob man wegen der schlechten Saison überhaupt würdig sei, eine Trophäe zu bekommen. Er konterte, wenn es einfach wäre, ein Finale zu erreichen, hätten es ja auch die topplatzierten Teams in der Liga geschafft.
Bisher haben die Engländer zwei Mal diesen Wettbewerb unter sich ausgemacht, 1972 begegneten sich Tottenham und Wolverhampton sowie 2019 Chelsea und Arsenal. Durch die dritte Auflage steht fest, dass die Premier League in der nächsten Saison sechs Klubs in der Champions League stellt – so viele wie kein Land zuvor.

Fußballsternstunden am Polarkreis
Bodö/Glimt ist der erste Klub jenseits des Polarkreises, der ein Europapokalhalbfinale erreicht hat. Nach der Hinspielniederlage gegen Tottenham Hotspur setzt Glimt auf den eigenen Heimvorteil. Zuletzt besiegte man dort Porto, Besiktas Istanbul und Lazio Rom.