Bodö/Glimt in der Europa League
Fußballsternstunden am Polarkreis
08. Mai 2025, 00:17 Uhr

Bodö/Glimt ist der erste Klub jenseits des Polarkreises, der ein Europapokalhalbfinale erreicht hat. Nach der Hinspielniederlage gegen Tottenham Hotspur setzt Glimt auf den eigenen Heimvorteil. Zuletzt besiegte man dort Porto, Besiktas Istanbul und Lazio Rom.
Die Hinweise von Tottenham Hotspur an die eigenen Fans vor dem Halbfinalrückspiel in der Europa League beim Fotballklubben Bodö/Glimt lesen sich wie eine Reisewarnung. Es handelt sich diesmal allerdings nicht um Sicherheitsbedenken, sondern um die Besorgnis über wetterbedingte Überraschungen. Weil erwartet wird, dass die Temperaturen im norwegischen Glimt, das nördlich des Polarkreises liegt, während des Spiels am Donnerstagabend (Anstoß 21 Uhr) unter den Gefrierpunkt fallen könnten, empfehle man, sich mit den Bedingungen „sorgfältig“ auseinanderzusetzen, schrieb der Verein. Norwegens Fußballexperte Jan Aage Fjörtoft, hierzulande bekannt als früherer Profi von Eintracht Frankfurt, teilte ein Foto von im Schneematsch steckenden TV-Lastwägen auf dem Weg zum Spiel. Er witzelte, es herrsche „Glimt-Wetter“ – die Spurs sollten sich Mütze und Handschuhe anziehen.
Richtig unangenehm könnte es für Tottenham im hohen Norden auch im übertragenen Sinne werden. Denn Glimt, zu Deutsch: „der Blitz“, zählt zu den heimstärksten Vereinen im Europapokal. Seit 2020 hat man sensationell 30 von 37 Partien im eigenen Aspmyra-Stadion (8000 Zuschauer) gewonnen, auch in dieser Saison gab es bisher erneut sechs Siege in sieben Partien, darunter gegen Kaliber wie Porto, Besiktas Istanbul und Lazio Rom. Unvergessen ist ein 6:1 im Duell mit José Mourinhos AS Rom vor dreieinhalb Jahren – eine Sternstunde in der Vereinsgeschichte.
Zunächst war es Bodö/Glimt nicht erlaubt, in der höchsten Liga zu spielen
Die Bilanz bildet die Basis für den ersten Einzug eines Fußballklubs aus der Skination Norwegen in ein Europapokalhalbfinale. Das unwirtliche Klima, der ungewohnte Kunstrasen und das provinzielle Umfeld im rund 43 000 Einwohner fassenden Küstenort in der Region Nordland, sechzehn Autostunden von Oslo, machen die Auswärtsreisen für die Konkurrenz gefühlsmäßig zu einer Expedition in die Arktis. Sogar das Finale am 24. Mai in Bilbao ist deshalb für Bodö/Glimt denkbar. Zwar muss ein 1:3 aus dem ersten Duell in Tottenham aufholen, aber die Niederlage vor einer Woche glich wegen des späten eigenen Anschlusstreffers fast einem kleinen Erfolg für die Wikinger.
Die Euphorie ist derart groß, dass 50 000 Fans um die im freien Verkauf verfügbaren 480 Tickets buhlten. Ein Fan zeigte sich besonders kreativ, er offerierte fünf Kilo halbgetrockneten seltenen Kabeljau, eine norwegische Delikatesse, deren Gegenwert sich auf etwa 200 Euro beläuft, als Gegenleistung für eine Eintrittskarte. Der Mann wurde den Fisch los, tatsächlich hatte jemand noch ein Ticket für ihn übrig. Die Partie gegen die Spurs übertrifft alles, was der im Jahr 1916 gegründete FK Bodö/Glimt erlebt hat – und das ist eine Menge.
Zuletzt stand der Klub kurz vor der Insolvenz
In den ersten Jahrzehnten nach der Gründung war es Glimt verboten, in der höchsten Liga des Landes zu spielen. Es hieß, die Klubs aus dem Norden könnten mit denen im Süden sportlich nicht mithalten. Die Ausgrenzung wurde dann 1972 aufgehoben, ein paar Jahre später schaffte Glimt den erstmaligen Aufstieg und wurde gleich Vizemeister. Ähnlich turbulent ging es weiter, zuletzt stand der Verein 2010 vor der Auflösung – wegen finanziellen Problemen. Doch die Fanszene spendete Geld, um Glimt irgendwie über Wasser zu halten.
Was sich von Bodö/Glimt lernen lässt: das demokratische Rollenverständnis
So begann der Aufschwung des Klubs, der ihn nun in Europa bekannt gemacht hat. Hauptverantwortlich dafür ist der norwegische Trainer Kjetil Knutsen, der 2018 eingestellt wurde. Unter ihm definiert sich die Truppe über einen vorzeigbaren Offensivfußball, die mit schnellen flexiblen Spielzügen aufwartet. Selbst in Tottenham hatte das Team mehr Ballbesitz und widerlegte das Klischee, skandinavische Teams brillierten überwiegend über ihre Physis. Vielleicht lässt sich bisweilen sogar vom demokratischen Mannschaftsgefüge des Vereins lernen. Die Kapitänsbinde rotiert zwischen mehreren Spielern, vor den Partien bilden sie am Seitenrand mit den Trainern und Betreuern einen Kreis.
Auch das Coaching wirkt weniger auf den Cheftrainer fixiert, die Assistenten von Knutsen scheinen während des Matches eine ähnlich bedeutende Rolle einzunehmen. Insofern passt auch der eigene Spitzname, Bodö/Glimt wird wegen der Trikotfarbe die „gelbe Horde“ gerufen. Damit gleicht man die individuelle Unterlegenheit aus. Kaum ein Spieler ist in Europa bekannt, der eigene Kaderwert liegt auf dem Papier bei rund 40 Millionen Euro – der von Tottenham wird auf zehn Mal so viel veranschlagt.
Man werde Bodö/Glimt nicht unterschätzen, betont Tottenham-Trainer Postecoglou
Fjörtoft glaubt, dass seine Landsleute eine „gute Chance“ hätten, nochmals weiterzukommen. Der Respekt vor dem Außenseiter ist bei den notorisch wackelnden Spurs groß. Trainer Ange Postecoglou hob hervor, man werde den Gegner gewiss nicht unterschätzen. Zur Sicherheit könnte er seinen Spieler die Reisehinweise des eigenen Vereins weiterleiten.

Englische Raubfische im Karpfenteich
Die englischen Klubs dominieren die Europa League und Conference League. Manchester United, Tottenham und Chelsea gewinnen ihre Halbfinalhinspiele gegen die europäische Festlandkonkurrenz deutlich. Ihr Ziel: die Saison mit einem Titel schönfärben.