José Mourinho bei Fenerbahçe Istanbul

Selbst Mourinho kommt kaum zu Wort

04. Jun 2024, 18:54 Uhr

Schon bei seiner Ankunft wird José Mourinho wie ein Messias gefeiert. Wie das wohl aussieht, wenn er Fenerbahçe Istanbul zur ersten Meisterschaft seit 2014 führt? (Foto: Seskim / Imago)
Schon bei seiner Ankunft wird José Mourinho wie ein Messias gefeiert. Wie das wohl aussieht, wenn er Fenerbahçe Istanbul zur ersten Meisterschaft seit 2014 führt? (Foto: Seskim / Imago)

Fenerbahçe Istanbul bereitet José Mourinho einen triumphalen Empfang. Eine Viertelmillion Menschen verfolgen seine emotionale Vorstellung im Livestream. Der Startrainer soll den volatilen Klub, der zuletzt im Mittelpunkt von Kontroversen stand, zur ersten Meisterschaft seit 2014 führen.

Von Sven Haist, London

Fast niemand sorgte beim Champions-League-Final für mehr Wirbel als José Mourinho. Dabei wies er im Vergleich zu früheren Jahren diesmal keine der beiden Mannschaften an der Seitenlinie an. Der Trainer war stattdessen auf Einladung des britischen TV-Senders TNT zu Gast und nutzte seinen vielbeachteten Auftritt vor der Kamera vor allem in eigener Sache: Er rührte kräftig die Werbetrommel für seinen am nächsten Tag verkündeten Wechsel zu Fenerbahçe Istanbul. Auf die Frage des Expertenkollegen Rio Ferdinand, wer sein berühmtester Telefonkontakt sei, antwortete Mourinho auf seine typische Art: «Der Präsident von Fenerbahçe».

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José Mourinho wirbt für seinen neuen Klub Fenerbahçe Istanbul.

Die Reklame für seinen neuen Job in der türkischen Liga machte sich umfänglich bezahlt. Seine Ankunft am Bosporus am Sonntag glich einem triumphalen Empfang, als hätte er für seinen zukünftigen Klub soeben den Henkelpokal gewonnen. Abertausende Fans wohnten der Vorstellung des 61-Jährigen im Sukru Saracoglu Stadion bei und verehrten ihn wie einen Fussballmessias. Sie liessen ihn kaum zu Wort kommen und zündeten Bengalos auf den Tribünen. Mourinho nickte anerkennend und wedelte zwei Klubschals durch die Luft.

Mourinhos Wechsel erzeugt ähnlich viel Aufmerksamkeit wie einst Mesut Özil

In der kaum zu widerstehenden Mischung aus Charme, Selbstbewusstsein und Schlagfertigkeit verführte Mourinho auch diesmal die Anhänger. Er rief ihnen zu, was sie von ihm hören wollten: emotionale Liebessentenzen. Normalerweise werde ein Trainer erst nach Siegen verehrt, setzte José Mourinho an. Aber er habe das Gefühl, schon jetzt geliebt zu werden. Zudem wolle er der Coach aller Fans sein, ihre Träume seien auch seine und er versprach, von nun an zur Familie des Vereins zu gehören. «Dieses Shirt ist meine Haut», verkündete er pathetisch. In der Hand hielt er das Fenerbahçe-Trikot. Mourinhos Rede verfolgten eine Viertelmillion Menschen im Livestream des Klubs. Das Aufsehen erinnerte an den Wechsel des mittlerweile zurückgetretenen türkischstämmigen Ausnahmespielers Mesut Özil vom FC Arsenal zu Fenerbahçe im Winter 2021.

https://www.youtube.com/watch?v=FJY3gWG5zsw
Die Antrittsrede von José Mourinho bei seinem neuen Klub Fenerbahçe Istanbul.

Der Traditionsklub hat seinen Sitz auf der anatolischen Seite Istanbuls und ist im türkischen Fussball der ewige Gegenspieler der Stadtnachbarn Galatasaray und Beşiktaş. Die Drei machen fast jeden Ligatitel unter sich aus. Allerdings ist Fenerbahçe im Dauerduell mit Galatasaray um den Status des Rekordmeisters zuletzt abgehängt worden. Die bisher letzte Meisterschaft gab es 2014, seitdem holte Galatasaray fünf weitere Titel und liegt nun mit 24 zu 19 Meisterschaften vorn, Beşiktaş kommt auf 16. In der vergangenen Saison scheiterte Fenerbahçe trotz langer Tabellenführung knapp an Galatasaray. So wirkt Mourinhos Engagement wie eine Reaktion auf die Bilanz.

Mourinho setzt Fenerbahçes Faible für international erlauchte Trainer fort

Mit seinen bisherigen Vereinen, FC Porto, FC Chelsea, Inter Mailand, Real Madrid, Manchester United und AS Rom, holte José Mourinho immerzu Titel, insgesamt 26, darunter acht Meisterschaften und fünf Europapokalsiege. Er steht im Ruf, Erfolge beinahe zu garantieren. Nur bei Tottenham Hotspur gelang ihm kein Triumph, dort wurde er unmittelbar vor dem League-Cup-Final im April 2021 entlassen. Seine Stationen verdeutlichen, dass Mourinho eher kein Trainer für einen Provinzverein ist. Er benötigt den grossen Auflauf, wie zuletzt bei der Roma – und nun bei Fenerbahçe.

Zwar besitzt die Mannschaft um die Altstars Dusan Tadic und Edin Dzeko nicht das Niveau der Teams, die Mourinho grösstenteils in seiner Laufbahn angeleitet hat. Aber der Portugiese, der bei Topklubs nicht zuletzt wegen seines streitbaren Charakters an Wert verloren hat, hat die Liebe zum Spiel nie verloren. Und er ist sich dafür auch nicht zu schade, auf etwas niedrigerem Niveau zu agieren, solange eben die Titelaussicht stimmt. Bei Fenerbahçe setzt José Mourinho das Faible für international erlauchte Trainern fort. Vor ihm waren schon Guus Hiddink, Joachim Löw, Christoph Daum, Zico, Luis Aragonés und Dick Advocaat angestellt. Viele von ihnen hielten es nur eine Saison aus, aber die kurze Verweildauer schreckt ihn nicht ab: Mourinho weiss, wie es ist, irgendwann entlassen zu werden, nur bei Porto und Inter zog er von sich aus weiter.

Fenerbahçes Präsident ließ über einen Ligaaustritt abstimmen

Fenerbahçe ist berüchtigt für sein volatiles Umfeld und steht immer wieder im Mittelpunkt von Skandalen. Der Klub sieht sich meist als Opfer, kritisiert mit drastischen Worten den Verband. Im Frühjahr eskalierte die Situation, als die eigene Truppe von gegnerischen Fans bei einem Platzsturm angegriffen wurden und der Verein kurz darauf wegen Unstimmigkeiten bei der Terminwahl das Supercup-Finale boykottierte. Fenerbahçes betont systemkritischer Präsident Ali Koc, der aus einer der reichsten türkischen Familien stammt, berief eine ausserordentliche Sitzung ein und liess über einen Ligaaustritt entscheiden. Die Abstimmung scheiterte.

Durch die Anwesenheit von José Mourinho steht dem türkischen Fussball nun einer der interessantesten Spielzeiten seit Jahren ins Haus. Er könne zwar keine Titelversprechungen abgeben, aber durch sein Mitwirken werde sich die Attraktivität und Reichweite der Liga in Europa sicher erhöhen, glaubt der Trainer. Falls erforderlich, wird er dafür wohl weiter Werbung machen.

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