Debakel für Schottland zum EM-Auftakt
Nicht mal Whiskey hilft
14. Jun 2024, 23:38 Uhr
Schottland erleidet zum EM-Auftakt gegen Deutschland ein Debakel – 1:5. Trotz der lautstarken Unterstützung holt die Schotten ein ewig gültig scheinendes Los ein. Immerhin gelingt der erste Turniertreffer seit der WM 1998 – es ist ein Eigentor.
Der Jubel der schottischen Fans kannte auf den Tribünen wenig Zurückhaltung mehr. Die Tartan Army sang euphorisiert den ewigen Schlager „No Scotland, no party“ und die deutschen Anhänger verstummten angesichts der Stimmgewalt der Gäste für kurze Zeit. Soeben hatte Schottland in der 87. Spielminute mit dem ersten Turniertor seit der WM 1998 ein bisschen heimische Fußballhistorie geschrieben. Auf diesen Moment hatten die leidgeprüften Anhänger 26 Jahre geduldig zugewartet, weil sich die heimischen Fußballer nicht unbedingt immer geschickt anstellen beim Toreschießen. Und so passte es geradezu, dass kein Schotte diesen bedeutenden Treffer erzielte – sondern DFB-Verteidiger Antonio Rüdiger per Eigentor. Rüdiger lenkte den Ball nach einem Freistoß mit dem Kopf ins deutsche Netz ab.
Das Ende der langen Torlosigkeit fühlte sich für die Schotten wie ein kleiner Trost an für einen Fußballabend, der schottischer fast nicht hätte verlaufen können. Die eigene Nationalmannschaft stand vor dem Match gegen den Gastgeber am Freitag so sehr im Fokus wie seit Jahren nicht mehr, die Landsleute hofften darauf, erstmals bei einem bedeutenden Turnier die K.-o.-Phase zu erreichen. Hunderttausend Schotten folgten dem Team zum Spielort nach München, zehntausend von ihnen hatten Tickets für das Match und sangen die Liedzeilen der Nationalhymne „O Flower of Scotland“ so frenetisch mit, als wären alle Landsleute im Stadion vertreten gewesen.
Die Schotten ruinieren sich das Torverhältnis
Doch dann wurde Schottland abermals von dem ewig gültig scheinenden eigenen Los eingeholt, gegen das die Nation immerzu anzukämpfen versucht: Die Schotten haben eine großartige Zeit, bis das Spiel beginnt. Der sehnlich erwartete EM-Auftakt geriet zu einem Debakel, das sich wohl nicht mal mit mehreren Flaschen schottischen Whiskeys herunterspülen und vergessen lässt. Durch das 1:5 gegen Deutschland haben sich die Schotten nicht nur das mühsam aufgebaute Selbstvertrauen und internationale Renommee ruiniert – sondern auch das Torverhältnis, das über ein mögliches Weiterkommen als eventueller Gruppendritter entscheiden könnte.
Wahrscheinlich benötigt Schottland deshalb in den anstehenden zwei Spielen gegen die Schweiz und Ungarn vier Punkte für den Einzug ins Achtelfinale. Trotz der miesen Ausgangslage beteuerte Nationalcoach Steve Clarke, dass seine Mannschaft den Glauben bewahren werde, weil sie deutlich besser sei als die gezeigte Leistung. Nach Abpfiff bedankten sich die beschämt wirkenden Spieler auf dem Platz vorsichtig aus der Distanz bei den Anhängern für den Support, die meisten hatten schon vorzeitig das Stadion verlassen. Angesichts der riesigen Enttäuschung fragte die Times nicht zu Unrecht, ob sich das lange Warten auf dieses Match überhaupt gelohnt habe.
Schottland habe wie ein Kaninchen im Scheinwerferlicht gewirkt, schreibt der Scotsman
Tatsächlich war den Spielern die lange Zeit ohne wirkliche Turniererfahrung – nur an der EM 2021 hatte Schottland zuletzt teilgenommen – anzusehen. Für alle von ihnen stellte das Duell mit den Deutschen das bisher wichtigste Länderspiel in ihren Karrieren dar. Der Scotsman kommentierte, die Truppe habe wie ein Kaninchen im Scheinwerferlicht gewirkt. Als größtes Problem erwies sich vermutlich der Verzicht auf eine Manndeckung des im Stile eines Quarterbacks für Deutschland agierenden Mittelfeldregisseurs Toni Kroos. Er war in der Entstehung an allen drei deutschen Treffer in der ersten Halbzeit beteiligt.
Bisweilen war Kroos so frei, als hätte es sich nicht bis nach Schottland herumgesprochen, dass er erst nach der EM seine Laufbahn beendet. Die schnellen Gegentore und der zusätzliche Platzverweis für Abwehrspieler Ryan Porteous verstärkten die Überlegenheit der Deutschen. In der Pause prophezeite der ehemalige schottische Nationalspieler und heutige TV-Experte Ally McCoist seinen Landsleuten eine „lange, lange Halbzeit“ – und seine Prognose trat natürlich ein. Die Schotten hatten am Ende keinen Torschuss und auch keine Ecke vorzuweisen. Der Independent bedankte sich bei Antonio Rüdiger für das Eigentor und fügte sarkastisch an, dass dieser Schottlands einzige Hoffnung für das weitere Turnier sei.
In den Schlussminuten ging es für Schottland vor allem darum, die höchste EM-Niederlage überhaupt zu vermeiden. Jugoslawien hatte sie einst im Viertelfinale der EM 2000 gegen den Gastgeber Niederlande erlitten – es war ein 1:6. Immerhin das blieb den Schotten erspart.