Rücktritt von Gareth Southgate
„Thank you, England – for everything“
16. Jul 2024, 19:33 Uhr
Nach acht Jahren gibt Gareth Southgate sein Amt als Nationaltrainer ab. Auch wenn er keinen Titel gewonnen hat, ist er der konstant erfolgreichste Coach des Landes. Er hat England wieder mit der Nationalelf versöhnt – ein Vermächtnis, das er auf keinen Fall aufs Spiel setzen will.
„You made us all believe again“, schluchzte Englands Nationalspieler Harry Maguire. Sein Instagram-Post galt Gareth Southgate, der anderthalb Tage nach der schmerzlichen EM-Finalniederlage gegen Spanien (1:2) am Dienstagmittag seinen Rücktritt bekanntgab: Du hast uns den Glauben an einen Titel bei einer Welt- und Europameisterschaft zurückgebracht.
Seit dem bisher einzigen WM-Sieg 1966 warten die Engländer sehnlichst auf einen neuerlichen Triumph, und wahrscheinlich lässt sich Southgates Wirken als Nationaltrainer für den englischen Fußball gar nicht besser zusammenfassen, als es Maguires honoriges Statement tat. Obwohl der Verteidiger von Manchester United wegen Formschwäche diesmal nicht für den EM-Kader nominiert worden war, bedankte er sich als einer der ersten Spieler bei seinem Chef. In seiner knapp achtjährigen Amtszeit ist es Southgate gelungen, die Reputation des Fußballmutterlandes sowohl national als auch international wiederherzustellen, die durch die Achtelfinal-Apokalypse gegen Island bei der EM 2016 unter Vorgänger Roy Hodgson endgültig eingebüßt worden war. Die Engländer haben sich seitdem mit dem eigenen Nationalteam versöhnt und es sogar wieder liebgewonnen. Dieses Vermächtnis möchte Southgate wohl nicht länger aufs Spiel setzen.
Prinz William würdigt Southgate als einen “class-act”, einen wahren Gentleman
Seinen Abschied nach 102 Länderspielen begründete der 53-Jährige damit, dass der Posten für ihn als stolzen Englisman die Ehre seines Lebens gewesen sei und er alles gegeben habe. Aus seiner Sicht sei es Zeit für ein neues Kapitel und einen Wechsel auf der Trainerposition. Auf die genauen Gründe für seinen Schritt ging er nicht ein. Southgate äußerte sich weniger zum eigenen Befinden als zu seinen langjährigen Assistenten und Unterstützern, die er sehr persönlich würdigte. Zum Abschluss dankte er dem ganzen Land: „Thank you, England – for everything“.
In erster Linie gebührte jedoch Southgate das Kompliment. Seit Herbst 2016, als er das Traineramt vom 67-Tage-Flop Sam Allardyce übernahm, etablierte er England wieder in der Weltspitze. Auch wenn es letztlich nicht ganz zum erhofften Titel gereicht hat, ist Southgate der konstant erfolgreichste Trainer der Landeshistorie: In allen vier Turnieren mit ihm erreichten die Three Lions mindestens das Viertelfinale, darunter erstmals ein EM-Finale 2021, das im Elfmeterschießen gegen Italien verloren gegangen war. Prinz William, durch seine royale Funktion im Königreich auch Präsident des englischen Fußballverbands (FA), pries den Menschenfreund Southgate als einen „all-round class act“, einen in jeder Hinsicht erhabenen Gentleman, was quasi das höchstmögliche Lob in England darstellt. Der Trainer habe „Demut, Mitgefühl und echte Führungsqualitäten“ gezeigt, fand der Thronfolger des Königshauses.
Gareth Southgate wollte nach der öffentlichen Kritik nicht zum Ballast für die Spieler werden
Southgates Charakterstärke und Akribie färbte auf die Mannschaft ab. Der Einfluss des Trainers wurde vor allem in dessen 100. Länderspiel sichtbar, als England im EM-Viertelfinale die Schweiz in der einstigen Angstdisziplin Elfmeterschießen bezwang. Mit seiner seriösen Arbeit hat Southgate den Job des englischen Nationaltrainers wieder salonfähig gemacht und das Fundament für seine Nachfolger gelegt. Für sie wird es jetzt darum gehen, die Qualitäten der Spieler mehr zum Vorschein zu bringen und der Elf fußballerischen Glanz zu verleihen. Denn Southgates England scheiterte bei Turnieren stets an spielerisch überlegenen Teams, wie soeben an Spanien. Die massive Kritik an der zuletzt wenig spektakulären Spielweise soll auch dazu geführt haben, dass der Trainer nun aufhört. Southgate wollte keinesfalls zum Ballast für die Spieler werden.
Durch seine schnelle Zukunftsentscheidung – Southgates Vertrag lief offiziell noch bis zum Jahresende – gewinnt die FA wertvolle Zeit auf der Suche nach einer Lösung bis zu den nächsten Länderspielen im September. Als mögliche Kandidaten werden überwiegend Trainer gehandelt, die bereits erfolgreich in der Premier League gearbeitet haben. Dazu gehören der bei Newcastle United angestellte Eddie Howe und der Ex-Chelsea-Coach Graham Potter. Die beiden Engländer stehen wohl mehr in der Verbandsgunst als die frühere Nationalspielerriege um Steven Gerrard und Frank Lampard, die als Trainer bisher nicht an ihre einstigen Erfolge auf dem Platz anknüpfen konnten.
Als Nachfolger werden auch zwei deutsche Trainer gehandelt: Jürgen Klopp und Thomas Tuchel
Ebenso prüfen dürfte die FA ein Engagement des englischen U-21-Trainers Lee Carsley – sowie der internationalen Größen Jürgen Klopp, Thomas Tuchel und Mauricio Pochettino, die derzeit alle ohne Job sind. Sie könnte jeweils vor allem die Aussicht reizen, eine hochtalentierte Mannschaft zur WM 2026 zu führen und dort den ersten englischen Titelgewinn nach dann 60 Jahren in Angriff zu nehmen. Allerdings hatte Klopp nach dem Abschied aus Liverpool angekündigt, sich mindestens eine einjährige Auszeit zu nehmen. In jedem Fall ist dem nächsten Nationaltrainer die Unterstützung seines Vorgängers gewiss. Southgate sagte, er werde Fan der Mannschaft bleiben und sich über deren Erfolge freuen.
Ein künftiger Titel würde seine Arbeit rückblickend krönen. Aber auch so findet Maguire, dass die Erinnerungen an die Zeit mit Gareth Southgate für immer bleiben werden.