England siegt bei Carsley-Debüt
Die Debatten verlagern sich neben den Platz
08. Sep 2024, 17:22 Uhr
Interimstrainer Lee Carsley überzeugt beim 2:0 der Engländer in Irland mit seinen Entscheidungen. An beiden Treffern ist Rechtsverteidiger Trent Alexander-Arnold beteiligt. Allerdings wird Carsley für das Nicht-Mitsingen der Nationalhymne kritisiert.
Lee Carsley legte gleich mal einen Fehlstart hin. Bei seinem Debüt als Interimstrainer der englischen Nationalmannschaft löste der bisherige U-21-Coach vor dem Anpfiff des Nations-League-Spiels gegen Irland einen Sturm der Entrüstung im Land aus, der beinahe an den Orkan um die uninspirierte Spielweise des Teams bei der EM in Deutschland erinnerte.
Zuerst lief Carsley auf dem Weg in die Coaching Zone auf die falsche Spielfeldseite und setzte sich auf den Platz seines Kollegen Heimir Hallgrimsson. Der Fauxpas barg die Pointe, dass der in Birmingham geborene Engländer irischer Abstammung ist – und als Nationalspieler einst 40 Einsätze für die Iren absolvierte. Zudem wollte ihn Irlands Verband kürzlich für die Nationalelf verpflichten, was Carsley aber ablehnte. Ein Betreuer der Iren klopfte dem 50-Jährigen mehrmals süffisant auf die Schulter. Carsley war weniger zum Schmunzeln zumute, er wechselte sofort hochkonzentriert die Seiten. Später witzelte er immerhin, als irischer Nationalspieler „viel Zeit auf der Bank verbracht“ zu haben – weshalb er immer noch genau wisse, wo sich diese befindet.
Er habe mit Hymnen immer schon seine Probleme gehabt, sagt Carsley
Nach dem nicht gerade angenehmen Einstieg verzichtete Carsley dann darauf, die englische Nationalhymne „God Save the King“ mitzusingen. Sein Mund blieb stumm. Dies hatte er vorab bereits angekündigt. Er habe mit Hymnen schon immer so seine Probleme gehabt, als Spieler wie als Trainer, rechtfertigte Carsley seine Entscheidung. Zwar respektiere er Hymnen und wisse um ihre Bedeutung; ihm gehe es aber vordergründig darum, dass seine Gedanken – in den dreißig Hymnensekunden – nicht vom Spiel abschweifen würden.
Umgehend kritisierte Englands altes Trainereisen Harry Redknapp in der Boulevardzeitung Sun, das Singen der Nationalhymne sei als Patriot bedeutend. Das Konkurrenzblatt Mail fand sogar, der Nationaltrainerposten sei kein Job für einen Engländer, der sich weigere, „auch nur ein Lippenbekenntnis für unsere Nation“ abzugeben. Carsleys Reaktion hätte bewiesen, wo sein Herz hingehöre – auf die grüne, also die irische Insel. Das knallharte Mail-Verdikt: Verrat! Carsley muss entlassen werden, wohlgemerkt noch vor dem Anpfiff!
Carsley coacht das Spiel im Trainingsanzug
Die englische Football Association (FA) hörte allerdings, wie unter Carsleys Vorgänger Gareth Southgate, nur bedingt hin, was die Klatschpresse im eigenen Land zu sagen hat. Der Verband hielt natürlich an Carsley fest, vielleicht auch, weil durch die Missklänge quasi klar war, dass das Spiel für den Trainer eigentlich nur Besserung bringen konnte. Und genau so kam es: Englands 2:0 (2:0) über den Inselnachbarn Irland durch Tore von Declan Rice und Jack Grealish, die ebenso irische Vorfahren haben und auf Juniorenebene jeweils für Irland gespielt hatten, rief gemäßigtere Töne in der Heimat hervor.
Die Ironie lag freilich darin, dass sich Carsley am Spieltag einzig um die Attraktivität der Spielweise seiner Mannschaft gekümmert hatte – so wie es die Öffentlichkeit im Prinzip nach Southgates Rücktritt verlangt hatte. Southgate hatte in seiner Amtszeit jede Ungeschicklichkeit gekonnt vermieden. Sein korrektes Auftreten sahen manche Kommentatoren jedoch beispielhaft für die bisweilen wenig gewagten Leistungen seines Teams an. Carsleys erster Eindruck deutet nun an, dass es sich bei ihm möglicherweise andersherum verhalten könnte.
Jack Grealish kehrt in den Kader zurück – und startet im Mittelfeld
Der neue Trainer trat wie bei den U-21-Junioren im Trainingsanzug auf, leitete weiterhin das Aufwärmprogramm der Mannschaft und begutachtete die Spielleistung häufig aus der Hocke vom Seitenrand aus. Er ließ keinen Zweifel daran, dass er sich in erster Linie als Trainer versteht und weniger als Repräsentant des Fußballmutterlands. Seine erste Personalauswahl las sich forsch: Er behielt die Grundstruktur in der Aufstellung bei, setzte aber speziell bei der unter Southgate vieldiskutierten Rechtsverteidigerposition andere Akzente.
Erstmals seit vier Jahren stand der offensiv begabte Trent Alexander-Arnold vom FC Liverpool in der Anfangself eines Pflichtspiels. Mit seiner Passqualität förderte Alexander-Arnold die Flexibilität beim Herausspielen von Torchancen. Er leitete beide Tore ein, das erste mit einem scharfen Flugball über das fast gesamte Spielfeld und das zweite durch eine schnelle Kombination auf der rechten Seite. Zu viert spielten sich die Engländer sehenswert in den Strafraum durch, wo Rice den Ball letztlich auf Grealish ablegte.
Der Guardian schreibt versöhnlich, Carsley Team habe den Ball wie einen Freund behandelt
Der Spielmacher von Manchester City kehrte nach der Formschwäche in der Vorsaison ins Aufgebot zurück – und überzeugte wie Alexander-Arnold. Im Dreiermittelfeld mit Rice und Kobbie Mainoo führte Grealish die offensivste Rolle aus. Seit Jahren sucht England nach einem Taktgeber im Mittelfeld, worunter immer wieder die eigene Dominanz gelitten hat. Der im Klub überwiegend auf den Flanken eingesetzte Grealish könnte für die Zukunft eine Option darstellen – je nachdem wie der Trainer mit den diesmal absenten Stammspielern Jude Bellingham und Phil Foden plant. Der Guardian bilanzierte zum Einstand versöhnlich, Carleys Team habe „den Ball wie einen alten Freund“ behandelt.
Für die Engländer geht es in dieser Nations-League-Runde um die Rückkehr in die A-Gruppe. Als nächstes wartet Finnland im heimischen Wembley am Dienstag. Sollte auch dieses Spiel erfolgreich absolviert werden, könnte es sein, dass dem Interimstrainer Lee Carsley bald wieder ein Match gegen Irland bevorsteht – das Rückspiel im November.