Domenico Tedesco in der Kritik
Teuflische Selbstsabotage
15. Okt. 2024, 18:27 Uhr

Zum dritten Mal in Serie verliert Belgien gegen Frankreich in diesem Jahr. Einige Fans machen dafür Domenico Tedesco verantwortlich und pfeifen ihn aus. Dem Trainer ist es bisher nicht gelungen, eine neue schlagkräftige Mannschaft zu formen – und jetzt sagen ihm auch noch seine wichtigsten Spieler ab.
«Tedesco Démission», lautete das unmissverständliche und nicht überhörbare Urteil: Tedesco raus! In der Schlussphase des Nations-League-Spiel gegen Frankreich forderten zahlreiche belgische Fans im Brüsseler Nationalstadion die Absetzung des Nationaltrainers Domenico Tedesco. Schon vor Spielbeginn taten sie ihren Unmut kund, als Tedescos Name bei der Mannschaftsaufstellung verlesen wurde. Sie pfiffen ihn aus. Das gehöre zum Fussball dazu, versuchte der 39-Jährige die angespannte Stimmungslage zu beruhigen, er könne die Leute verstehen, wenn sie über die Ergebnisse enttäuscht seien.
In diesem Jahr verloren die Belgier jetzt drei Mal hintereinander gegen Angstgegner Frankreich, diesmal 1:2 (1:1) – obwohl sie nach dem Platzverweis für Frankreichs Aurélien Tchouaméni mehr als eine Viertelstunde in Überzahl agiert hatten. Zuvor waren sie im EM-Achtelfinal (0:1) und im Nations-League-Hinspiel (0:2) unterlegen. Der bisher letzte Pflichtspieltriumph über den Erzrivalen datiert sogar von der WM-Qualifikation 1981. Die Bilanz löste bei Belgiens Red Devils, den roten Teufeln, gewissermassen einen Höllenbrandaus. Durch die Pleite wird Belgien wohl die Endrunde der Nations League verpassen und in Abstiegs-Play-off bestreiten müssen. Die Pariser Tageszeitung «Le Parisien» spottete, Belgien sei ein Fussballland, das sich «in Selbstsabotage» übe.
Während der EM habe er keinen Moment der Freude verspürt, sagt Domenico Tedesco
Damit spielte das Blatt auch auf den WM-Halbfinal 2018 an, als Belgien trotz Überlegenheit gegen die Franzosen ausschied und damit erneut den erhofften ersten Triumph verpasste. Damals befand sich das talentierte Team, das seinerzeit der heutige FC-Bayern-Trainer Vincent Kompany anführte, auf dem Höhepunkt der Schaffenskraft; es wurde in der Heimat als «goldene Generation» angesehen. Ähnlich weit kam man bei Turnieren danach nicht mehr. An der WM 2022 gab es ein unheilvolles Ende, die Truppe schied wegen interner Zerwürfnisse in der Vorrunde aus.
Daraufhin traten einige Akteure und der Trainer Roberto Martínez ab. Martínez‘ Nachfolger Tedesco sollte die Mannschaft einen und einen Generationswechsel um die verbliebenen Ausnahmespieler Kevin De Bruyne und Thibaut Courtois einleiten. Stattdessen schien der deutsche Trainer, der zuvor RB Leipzig und Schalke 04 gecoacht hatte, das brüchige Gebilde mit einer unattraktiven Spielweise und einer diskutablen Personalauswahl weiter zu spalten. Bei der EM 2024 wurde das Team nach der Vorrunde gnadenlos ausgepfiffen, weil es im letzten Gruppenspiel gegen die Ukraine am Ende auf Remis spielte, um den zweiten Platz abzusichern. In seiner Analyse gestand Domenico Tedesco später, während der EM «keinen einzigen Moment der Freude verspürt» zu haben.
Kapitän Kevin De Bruyne meldet sich bis Jahresende ab, um sich zu schonen
Nach dem EM-Aus schnauzte Kapitän De Bruyne auf Nachfrage zur sogenannten goldenen Generation: «Was ist eine goldene Generation?» Seinen Frust über den Zustand der Nationalelf legte er dann im September offen, als er nach der neuerlichen Frankreich-Pleite am Spielfeldrand schimpfend drohte, seine Karriere in der Nationalelf zu beenden. «Ik stop», liess sich von De Bruynes Lippen ablesen: Ich höre auf! Mit glühend rotem Kopf schonte der Spielmacher weder die Mitspieler noch den Trainer. Wenn es für die Spitze nicht mehr reiche, müsse man zumindest alles geben – was einige nicht getan hätten. Zudem stehe man «mit zu vielen Leuten hinten drin», weshalb es kaum eine Verbindung nach vorn gebe, beklagte er damals. Immer wieder rieb er sich dabei die Augen. Seit dem EM-Achtelfinalerfolg gegen Portugal 2021 hat Belgien kein Pflichtspiel mehr gegen eine Nation gewonnen, die sich in der Weltrangliste unter den ersten 20 befindet.
Für diesen Länderspielblock und auch für den nächsten im November meldete sich der 33-Jährige ab. Zuletzt hatte er bei Manchester City angeschlagen gefehlt, sein Trainer Josep Guardiola meinte, die Verletzung sei aber keine grosse Sache. Tedesco begründete De Bruynes Absenz damit, dass sich dieser so «um seinen Körper kümmern» könne. Grundsätzlich hat De Bruyne in Aussicht gestellt, bis zur WM 2026 an Bord zu bleiben, sein Vertrag in Manchester läuft derweil zum Saisonende aus. Ihm fehlt nur noch ein Titel mit Belgien, um seine Karriere abzurunden. Im Klubfussball hat De Bruyne alle möglichen Pokale geholt.
Auch Lukaku steht nicht zur Verfügung, obwohl er regelmäßig für Napoli spielt
Neben De Bruyne verzichtete auch Romelu Lukaku auf eine Berufung, er hatte Domenico Tedesco schon im September gebeten, ihn nicht zu berücksichtigen. Damals war der Angreifer erst am letzten Transfertag vom FC Chelsea zur SSC Neapel gewechselt und wähnte sich nicht in der richtigen körperlichen Verfassung. Nun bekräftigte der Trainer, dass Lukaku weiterhin mit Einsätzen über die volle Spieldauer zu kämpfen habe – obwohl dieser in Napoli zuletzt in allen Ligaspielen in der Startelf gestanden war und erst spät in der zweiten Halbzeit ausgewechselt wurde.
Lukakus Fehlen wirkt wie eine bittere Pointe für Tedesco, der diesen bisher durchgehend gestärkt hatte. Damit brachte der Trainer sogar den Weltklasse-Torwart Courtois von Real Madrid gegen sich auf. In einem für Courtois persönlich wichtigen Spiel im Juni 2023 untersagte ihm Domenico Tedesco (in Abwesenheit von De Bruyne) die Kapitänsbinde – zugunsten von Lukaku. Courtois reiste beleidigt ab, Tedesco machte die Sache publik. Seitdem bestritt der 32-Jährige kein Spiel mehr für die Nationalelf. Kürzlich kündigte der Goalie an, unter Tedescos Leitung nicht mehr für Belgien aufzulaufen.
Zuspruch gibt es für Tedesco immerhin von einigen Spielern
Die Absagen der bekanntesten belgischen Spieler erwecken den Eindruck, als sei es gerade nicht sonderlich verlockend, gerade für Belgien zu spielen. Immerhin erhielt Domenico Tedesco nach der Kritik der Fans an ihm wohlwollenden Zuspruch aus der Mannschaft.

Es brennt bei Belgiens Teufeln
Statt einem Neuanfang unter Trainer Domenico Tedesco gehen die Querelen in der belgischen Nationalelf weiter. Nach der Pleite gegen Frankreich droht Kevin de Bruyne mit Rücktritt. Das erhöht den Druck auf Tedesco - der sich mit Torwart Thibaut Courtois überworfen hat und eine Absage des formschwachen Stürmers Romelu Lukaku kassiert.