Arsenal in der Analyse
«Irgendeinen töten!»
01. Apr 2024, 18:41 Uhr
Selbst Pep Guardiola wirkt ratlos, wie die Defensivkunst des FC Arsenal zu knacken ist. Der Klub besitzt die beste Abwehr der Premier League und spielt flexibel wie ein Chamäleon. Vor dem Champions-League-Viertelfinale ist der FC Bayern gewarnt.
Der Arsenal Football Club gehört zu den Lieblingsgegnern des FC Bayern in der Champions League. In allen K.o.-Duellen setzten sich die Münchner durch, auch in der Gruppenphase gab es meist Siege. Die vergangenen drei Vergleiche gewann der deutsche Rekordmeister sogar jeweils 5:1. Doch im anstehenden Viertelfinale (9./17. April) dürfte ein erneuter Sieg in dieser Höhe eher unwahrscheinlich sein. Denn Arsenal besitzt die beste Defensive in der Premier League und kassierte nur sieben Gegentore in den zwölf Pflichtspielen in diesem Jahr. Diesen Status bestätigte der Klub am Sonntagabend eindrucksvoll im Spitzenspiel bei Manchester City – mit einem 0:0. Zum ersten Mal nach 57 Heimspielen blieb City torlos.
Arsenals Trainer Mikel Arteta schien dabei bereit zu sein, für ein Spiel ohne Gegentor einen möglichen Sieg zu opfern. Seine Equipe zog sich durchgehend an den eigenen Strafraum zurück und stoppte bei jeder Gelegenheit den Spielfluss. Am Ende hatte City 72 Prozent Ballbesitz – ein Wert, auf den selbst die Guardiola-Elf sonst überwiegend nur gegen Abstiegskandidaten kommt.
Gegen City wählte Arteta die defensive Aufstellung
Auf die Nachfrage, wie einer solchen hartnäckigen Verteidigung beizukommen sei, witzelte Guardiola in der Pressekonferenz: „Irgendeinen töten!“ Schon in der Hinrunde gelang City im direkten Duell gegen Arsenal kein Tor, auch weil Arteta als ehemaliger Guardiola-Assistent kein anderes Team besser zu analysieren vermag als City. Er hat bei Arsenal zuletzt zwei Mittelfeld-Formationen etabliert, die je nach Spielstand zum Einsatz kommen. In der offensiven Option agieren Abräumer Declan Rice, Spielmacher Martin Ödegaard und Offensivallrounder Kai Havertz zusammen; in der defensiven Variante rückt der DFB-Nationalspieler in den Sturm vor und Jorginho verstärkt für ihn das Zentrum. Gegen City wählte Arteta selbstverständlich letztere Aufstellung. So wirkte das Match bisweilen wie Einbahnstraßenfußball, der für City ohne echte Torchance in eine Sackgasse führte.
An diesem stockenden Angriffsverkehr, der die verwöhnten City-Fans schon in der ersten Halbzeit ungeduldig werden ließ, hatte wohl nur Jürgen Klopp seinen Spaß. Der Trainer des FC Liverpool flachste, er würde am liebsten „beide Klubs verlieren“ sehen – und die ereignislose Nullnummer dürfte diesem Wunsch recht nahe gekommen sein. Durch die Punkteteilung der Rivalen ist Liverpool im Titel-Dreikampf der neue Tabellenführer und kann in den verbleibenden neun Spielen aus eigener Kraft die 20. Meisterschaft gewinnen, womit Rekordchampion Manchester United eingeholt wäre.
Arsenal und Arteta gleichen einem Chamäleon, das von Spiel zu Spiel anders agiert
Den möglichen Verlust der Tabellenführung hatte Arteta bei der Wahl der strategischen Ausrichtung wohl bewusst in Kauf genommen. Er gilt als feiner Taktiker, ist im Gegensatz zu Guardiola, der seinem Spielansatz meist treu bleiben, allerdings kein Idealist. Zwar bevorzugt er grundsätzlich einen auf Spielkontrolle durch Ballbesitz ausgerichteten Stil, ist aber ebenfalls bereit, sich dem Gegner anzupassen. Arteta und sein Team gleichen einem Chamäleon, das die Herangehensweise von Spiel zu Spiel ändern kann.
Um die Widerstandsfähigkeit der Equipe zu erhöhen, die in der vergangenen Saison trotz lange Tabellenführung den Ligatitel knapp verpasst hatte, verstärkte sich Arsenal im Sommer mit neuen Spielern für rund eine Viertelmilliarde Euro Ablöse. Erneut setzte der Klub auf international aufstrebende und dennoch renommierte Profis wie Havertz und Rice, den teuersten Einkauf der Klubgeschichte. Zum Zeitpunkt des Wechsels waren beide 24 Jahre alt, sie stehen beispielhaft für den gesamten Kader, in dem fast alle Profis zwischen 22 und 26 Jahre alt sind.
Selbst die Offensivspieler um Kai Havertz arbeiten selbstlos nach hinten
Diese Altersstruktur ist die Grundlage für die Geschlossenheit und Ambition der Mannschaft. Sie verfügt über viele Spitzenprofis, aber keinen Ausnahmekönner. Die meisten Spieler warten noch auf ihren ersten grossen Titel und sind auch deswegen bereit, sich dem Teamgedanken durchgehend unterzuordnen. Diese Haltung fasste Havertz nach dem City-Spiel prägnant zusammen. Obwohl er als Stürmer bisweilen mehr in der Abwehr als im Angriff eingebunden war, habe er seine Rolle zu „1000 Prozent akzeptiert“. Man müsse „für die Mannschaft ackern“, betonte er.
Trotz der ebenfalls beachtlichen spielerischen Substanz ist die Defensivstärke das Prunkstück bei Arsenal. Die Abstimmung des Teams beim Attackieren des gegnerischen Spielaufbaus ist derzeit fast beispiellos in Europa. Durch das Spielverständnis der Offensivleute und deren geschickten Positionierung gelingt es häufig, die Lücken für Pässe zu schließen. Auf diese Weise provozierten die Gunners ungewohnt viele Ballverluste von City.
Tuchel coacht ähnlich flexivel wie Arteta
Allerdings trifft Arteta im Duell mit den Bayern in Person von Thomas Tuchel auf einen Trainer, der wichtige Spiele häufig ähnlich flexibel und pragmatisch angeht wie er. Dies macht die Vorbereitung wesentlich komplizierter als gegen Mannschaften, deren Spielweise sich nur in Nuancen verändert. In den direkten Vergleichen mit City und Liverpool gewann der FC Arsenal jeweils das Heimspiel und erzielte auswärts ein Remis. Diese Ergebnisse würden gegen den FC Bayern zum Weiterkommen reichen.