Interview über Fabian Hürzeler
«Brighton ist für Fabian Hürzeler ein Trampolin»
13. Jun 2024, 19:37 Uhr
St. Paulis Aufstiegstrainer Fabian Hürzeler wechselt überraschend zu Brighton in die Premier League. Der England-Experte Sven Haist ordnet den Millionen-Transfer ein, erklärt, was Hürzeler als Nachfolger von Roberto De Zerbi erwartet – und warum der 31-Jährige ein internationaler Botschafter für St. Pauli ist.
Regional Sport: Herr Haist, wie blicken Sie auf den 9-Millionen-Wechsel von Fabian Hürzeler zu Brighton & Hove Albion?
Sven Haist: Auch wenn jetzt sicher viele Fans traurig und verärgert sind, halte ich den Transfer von Fabian Hürzeler für den krönenden Abschluss des St. Pauli-Aufstiegs. Er stellt eine große Auszeichnung für den Club dar. Und vor allem für die Arbeit von Andreas Bornemann und Oke Göttlich.
Das ist eine sehr spezielle Sichtweise. Können Sie das etwas konkretisieren?
St. Pauli verliert mit Fabian Hürzeler natürlich einen exzellenten Trainer – aber durch seine Unterschrift bei Brighton gewinnt St. Pauli wiederum auch einen erstklassigen Botschafter. Hürzeler ist der jüngste und derzeit einzige deutsche Premier-League-Trainer und dieser wird immer St. Pauli in seinem Lebenslauf stehen haben, denn er hat den Club in die erste Liga geführt. St. Pauli ist in den letzten Tagen so oft in den englischen Medien erwähnt worden wie nie zuvor. Das Renommee des Clubs hat sich international durch den Hürzeler-Wechsel schlagartig auf eine Weise vergrößert, wie es durch kein Geld der Welt zu erreichen wäre.
Warum könnte es denn so gut passen zwischen dem jungen Trainer und Brighton?
Als junger Trainer schaut man zuerst, wer war denn dort zuletzt Trainer. Das waren Graham Potter und Roberto De Zerbi und dann stellt sich die Frage, mit welcher Reputation sind sie gekommen und mit welcher gegangen. Beide haben sich in Brighton einen Namen gemacht – und so ist der Club auch für Hürzeler ein Trampolin. Alle englischen Spitzenclubs schauen auf die Entwicklung dieses Vereins! Brighton ist als Stadt an der englischen Südküste eine Ruheoase, und der Club ist das gleichermaßen für Tainer. Die Clubchefs werden Hürzeler nicht reinreden und ihm die volle Rückendeckung geben. Ihm wird es zudem helfen, dass De Zerbi einen nahezu identischen Spielstil gepflegt hat und die Mannschaft mit dieser Ausrichtung bereits vertraut ist.
Auf was für eine Mannschaft trifft denn Fabian Hürzler bei Brighton?
Sven Haist: Er trifft auf eine hungrige und talentierte Mannschaft. In der Saison 2022/2023 hatte sie durch die Europa-League-Qualifikation einen riesigen Erfolg. Diese Mehrfachbelastung hat man der Elf zuletzt angemerkt. Es gab einige Weggänge und viele Verletzte, sodass das Team in der Rückrunde kontinuierlich zurückfiel. Insgesamt hat sich Brighton unter De Zerbi vorzeigbar entwickelt – und darauf kann Hürzeler nun aufbauen.
Und woran ist Roberto de Zerbi am Ende gescheitert?
Sven Haist: De Zerbi hat das Team mit seinem Anspruch und seiner Erwartungshaltung überfordert. Er ist schneller gewachsen als die Spieler und der Club.
Was kann Fabian Hürzeler mit Brighton erreichen?
Sven Haist: Wenn es gelingt, mit dem Team einen einstelligen Tabellenplatz zu belegen, würde ich das als Erfolg werten. Es würde nicht gut tun, über eine noch bessere Platzierung zu sprechen. Crystal Palace aus dem Süden Londons ist der große Rivale von Brighton und schlägt mit Oliver Glasner einen ähnlichen Weg ein. Dieses Duell kann ein Gradmesser zur Bewertung von Hürzelers Arbeit sein.
Inwiefern könnte Marcel Hartel, der ein inniges Verhältnis zu Fabian Hürzeler pflegt, ein Thema für Brighton werden?
Sven Haist: Letztlich entscheidet das Brighton – und der Club arbeitet sehr datenbasiert. Die Frage ist, ob ihm der Schritt in die Premier League zugetraut wird. In den vergangenen Jahren hat Brighton viele junge Spieler aus dem Ausland verpflichtet, sie verbessert und teuer weiterverkauft. Marcel Hartel wäre daher kein typischer Brighton-Transfer.
Fabian Hürzeler hat sich bei St. Pauli in der Öffentlichkeit sehr reif präsentiert. Auf was für ein mediales Umfeld trifft er nun in Brighton?
Wer die Medienstadt Hamburg hinter sich hat, der fürchtet sich wohl vor keiner Berichterstattung mehr (lacht). In England liegt der Fokus auf den Big Six. Dadurch wird einem in Brighton nicht jeden Tag auf die Finger geschaut, was für Hürzeler am Anfang sicher von Vorteil ist.
Brighton wird vorgeworfen, dass der Club an Fabian Hürzeler trotz eines gültigen Vertrages herangetreten ist. Ein legitimer Vorwurf?
Die Erfolgsgeschichte von Fabian Hürzeler und des FC St. Pauli sollte im Vordergrund stehen. Es ist der Fluch der guten Tat, dass ein Trainer bei einer solch wunderbaren Arbeit das Interesse anderer Vereine weckt. Der FC St. Pauli ist ein Proficlub und bewegt sich im Profifußball – da kann man nicht erwarten, dass jeder Spieler und Trainer lebenslang unterschreibt.
Und Fabian Hürzeler hat durch sein Vorgehen auch keinen Schaden genommen?
Nein, das glaube ich nicht. Seine Entscheidung ist nachvollziehbar. Sie zeigt, wie durchdacht er seine Laufbahn plant. Und St. Pauli wird sicher einen geeigneten Nachfolger finden und hat auch ohne ihn gute Chancen, den Klassenerhalt zu schaffen. Die Fans auf dem Kiez sollten sich nach der ersten Enttäuschung auf die erste Liga freuen – und stolz darauf sein, dass ihr ehemaliger Trainer nun in der Premier League tätig ist.