Arsenal-Assistent Nicolas Jover
Wieder Ecke – olé, olé olé!
05. Dez. 2024, 17:07 Uhr
Der FC Arsenal besiegt Manchester United 2:0 durch zwei Tore nach Ecken. Damit hat der Klub in den vergangenen anderthalb Jahren die europaweit beste Bilanz nach Standards. Dafür verantwortlich ist mit dem Berliner Nicolas Jover ein Deutsch-Franzose – der die Gegner zur Verzweiflung bringt.
Der FC Arsenal hat einen neuen Darling. Sein Name: Set Piece – Standards. Die Sympathisanten des Klubs bejubelten Ecken und Freistöße im Heimspiel gegen Manchester United am Mittwochabend mehr als alles andere. „Set-piece again, olé, olé, olé“ hallte es immer wieder durchs Stadion: wieder ein Standard. Die sogenannten ruhenden Bälle sind quasi zum verlässlichsten Vorlagengeber des Teams von Trainer Mikel Arteta und seinem Assistenten Nicolas Jover geworden, sie gelten beinahe als Elfmeter.
Auch bei Arsenals 2:0 (0:0) über den einstigen Titelrivalen United waren es erneut zwei Ecken, aus denen die beiden Tore durch Jurriën Timber (54. Minute) und William Saliba (73.) hervorgingen. Seit Beginn der Vorsaison haben die Gunners jetzt 22 Ecken-Tore erzielt, zehn davon waren jeweils der erste Treffer in einem Match. Das ist die mit Abstand beste Bilanz aller Spitzenvereine in Europa.
United-Experte Berbatov witzelt, Arsenal sei das „neue Stoke City“
Nach dem Spiel witzelte der frühere United-Angreifer Dimitar Berbatov, dass Arsenal das „neue Stoke City“ sei. Die Aussage war eine Reverenz an den gegenwärtigen Zweitligisten aus der Arbeiterstadt Stoke-on-Trent, der sich von 2008 bis 2018 in der Premier League halten konnte. In dieser Zeit nutzte Stoke unter dem Trainerveteran Tony Pulis die körperliche Überlegenheit der eigenen Spieler aus, um überwiegend durch Standards zum Torerfolg zu kommen. Bei Arsenal basiert die Stärke vor allem auf Präzision, Akribie und Probenarbeit. Beispielhaft für die Detailbesessenheit stand die Ausführung beim zweiten Tor gegen United. Vor der Ecke von der rechten Seite pfiff Arsenals Stürmer Kai Havertz laut in die Finger, um sich beim Trainerteam seiner genauen Rolle zu versichern. Er positionierte sich dann wie seine Kollegen am ballentfernten Pfosten gegen die im Raum verteidigenden Gäste.
Unter Nicolas Jover besitzt jeder Spieler einen genauen Laufweg
Von dort lief Havertz wie der spätere Torschütze Saliba zur Tormitte, um zwei Gegner nach vorn zu locken. Weil zusätzlich Timber den letzten United-Verteidiger Mazraoui blockte, war am Ende der ganz hinten lauernde Partey frei. Er köpfelte den Ball scharf zurück in den Fünfmeterraum, wo ihn Saliba mit dem Hintern über die Torlinie bugsierte. Der Ablauf war so choreografiert, dass man annehmen konnte, sogar das Abfälschen des Balls von Saliba wäre einstudiert gewesen. „Wir sind gerade die Meister (der Standards)“, lobte Arteta sein Team.
Die Medien in England bezeichneten Arsenal als „Set Piece FC“ und riefen die Spieler als „Standardkönige“ aus. Auch United-Trainer Rúben Amorim räumte nach der ersten Niederlage mit seinem neuen Klub ein, Arsenals Ecken wären „unglaublich“ gewesen und hätten „das Spiel entschieden“. Durch den Sieg verkürzte das drittplatzierte Arsenal den Rückstand auf Tabellenführer FC Liverpool auf sieben Punkte; die Reds kamen in Newcastle aufgrund eines Torwartfehlers in der Nachspielzeit nur zu einem Remis (3:3).
Die Standards hätten den Unterschied gemacht, sagt Uniteds Trainer Amorim
Die Denk- und Tüftelarbeit hinter den Standards verrichtet Artetas Mitarbeiter Nicolas Jover. Der 43-Jährige ist in Berlin geboren, wuchs in Frankreich auf und beschäftigte sich während seines Sportstudiums in Kanada erstmals detailliert mit Fußball. Danach arbeitete er in der Videoanalyse von Montpellier, bevor ihn Brentford 2016 als Standardcoach abwarb. Dort wurde Arteta, seinerzeit Assistent von Manchester City, auf Jover aufmerksam und setzte sich für dessen Verpflichtung ein. Er sei für Nicolas Jover gewissermaßen „in den Krieg gezogen“, um die damals kritischen City-Verantwortlichen zu überzeugen, sagte Arteta einmal. Später, 2021, holte Arteta Jover von City zu Arsenal.
Bei den Gunners hat Nicolas Jover seitdem die Qualität der Ecken und Freistöße auf ein bisher noch nie gesehenes Niveau gehoben. Gegen United führte fast jede der insgesamt 13 Ecken zu einer (großen) Torchance – obwohl Trainer Amorim mit Harry Maguire zusätzlich einen der kopfballstärksten Verteidiger nominierte. Das eigene Vorgehen entwickelte Jover in den vergangenen Jahren mit den Spielern gezielt weiter. Das Repertoire an Varianten macht es einem Gegner inzwischen geradezu unmöglich, sich darauf einzustellen. Arsenal hat für jede Form der Verteidigung mehrere Optionen zur Hand. Die einzige Chance für den Gegner besteht darin, die eigene Abwehrformation selbst in jeder Situation anzupassen.
Nicolas Jover gilt als Pionier, auch DFB-Standardtrainer Buttgereit schaute von ihm ab
Neben den Laufwegen und der Abstimmung der Spieler im Strafraum ist eine punktgenaue Ausführung die Grundbedingung für den Erfolg. Daran feilt Nicolas Jover mit Arsenals Schützen Bukayo Saka (Linksfuß) und Declan Rice (Rechtsfuß) genauso intensiv. Nach dem United-Match sagte Rice, es gehe für ihn darum, zu wissen, mit welcher Power er jeweils den Ball treffen muss, um ihn an eine bestimmte Stelle zu flanken.
Auf seinem Gebiet gilt Nicolas Jover als ein Pionier. Seine Werdegang und seine Ideen nehmen sich Berufskollegen immer mehr zum Vorbild – so etwa Mads Buttgereit, der Standardtrainer der DFB-Elf. Er hält Jover für ein „Genie“ und einen „sehr tiefgründig denkenden Trainer“. Nach einem Treffen mit diesem habe er einst angefangen, sich selbst mehr als Spezialist für ruhende Bälle zu sehen, erzählte Buttgereit mal. Weil gegen Jovers Fähigkeiten bis jetzt kaum anzukommen ist, witzelte Ex-United-Profi Gary Neville am Mittwoch bei Sky, Jover sei der „nervigste Kerl im Fußball“.
Die Standards wiegen sogar das Fehlen eines verlässlichen Torjägers auf
Die Torgefährlichkeit der Gunners nach Standardsituationen wiegt bisweilen sogar das Fehlen eines verlässlichen Torjägers auf: In den vergangenen anderthalb Jahren hat Arsenal in der Premier League mehr Tore allein nach Ecken erzielt als insgesamt der beste Torschütze der Mannschaft. Die Standards sind gewissermaßen der neue Star des FC Arsenal – und werden als solcher auch besungen.