Kaderpolitik des FC Chelsea

FC Chelsea XXXL

20. Aug 2024, 20:00 Uhr

Neun Spieler verpflichtete der FC Chelsea in diesem Sommer. Aber keinen davon setzte Trainer Enzo im Auftaktspiel gegen Manchester City ein. (Foto: Shaun Brooks / Imago)
Neun Spieler verpflichtete der FC Chelsea in diesem Sommer. Aber keinen davon setzte Trainer Enzo im Auftaktspiel gegen Manchester City ein. (Foto: Shaun Brooks / Imago)

Sieben Innenverteidiger, sechs Stürmer und sechs Torhüter: Seit der Übernahme des FC Chelsea im Mai 2022 hat Todd Boehly 38 Spieler fest verpflichtet – für 1,32 Milliarden Euro. Damit belegt Boehlys Chelsea einen Top-Ten-Platz in der Allzeit-Ausgabenliste der Premier League. Doch Erfolg stellt sich mit dem Mammutkader nicht ein.

Von Sven Haist, London

Um sein Image als Vorsitzender des Chelsea Football Club hat sich Todd Boehly nie sonderlich geschert. Im Vergleich zu dem die Öffentlichkeit meidenden Voreigentümer Roman Abramowitsch ist Boehly bei Heimspielen an der Stamford Bridge fast dauerpräsent, seitdem er im Mai 2022 zusammen mit einem Investorenkonsortium den Klub übernahm, hinter dem mehrheitlich das US-Milliardenvehikel Clearlake steckt. Auch am Sonntag war er zum Saisonauftakt gegen Manchester City (0:2) in der Premier League zugegen. Der US-Amerikaner hinterlässt dabei stets den Eindruck, er mache sich nichts daraus, wie die Fußballfans und Medien sein Auftreten bewerten.

So nahm sich Todd Boehly gegen City vor aller Augen die Freiheit, als direkte Reaktion auf das ernüchternde zweite Gegentor seines Klubs in der Schlussphase und die sich abzeichnende Niederlage konsterniert aufzustehen und das Stadion zu verlassen – mehr als zehn Minuten vor Abpfiff wohlgemerkt. Der Spott der Anhängerschaft war ihm gewiss, die Chelsea-Sympathisanten springen mit ihrem eigenen Klub in der Bewertung genauso hart um wie mit den Gegnern. Die höhnische Interpretation des Boehly-Abgangs: Der Boss wird sicher gleich den nächsten Spielertransfer tätigen.

Selbst den Fans werden die Transfers von Todd Boehly zu viel

Chelseas Fans sind zwar grundsätzlich Zugängen nie abgeneigt (und schon gar nicht den sehr teuren), sie definieren sogar den Status ihres Klubs bisweilen anhand seines Vermögens. Das hat ihnen ehemals der Oligarch Abramowitsch zwei Jahrzehnte lang mit einer extravaganten Transferpolitik so gelehrt. Doch inzwischen haben selbst sie genug von den verschwenderisch wirkenden Kaufexzessen des neuen Managements. Sie beknien ihren steinreichen Onkel Todd: Stop buying players! – hör auf, neue Spieler zu verpflichten. Bisher vergeblich.

Todd Boehly zeigt sich unbeeindruckt, ist weiter von sich überzeugt. Soeben soll er den Chelsea-Transfer des Spielmachers João Félix von Atlético Madrid eingetütet haben, für kolportierte 50 Millionen Euro. Normalerweise sind Wechselgerüchte unverbindlich zu behandeln, aber in Verbindung mit Boehlys Chelsea hört man genauer hin. Wenn Félix, der im Winter 2023 schon für ein halbes Jahr ausgeliehen wurde, den ausgehandelten Langvertrag bis 2030 mit Option auf ein weiteres Jahr unterschreibt, wäre der Portugiese der tatsächlich 39. Spieler, den Boehly in zwei Jahren verpflichtet hätte.

1,32 Milliarden Ablöse: Damit befindet sich Boehlys Chelsea in den Top-Ten der Allzeit-Tabelle

Die Gesamtablöse der vollzogenen Transfers, darunter auch schon zwei Vorgriffe auf die nächste Saison, beläuft sich auf ungeheuerliche mehr als 1,32 Milliarden Euro. Mit dieser Summe belegt Boehlys Chelsea schon jetzt einen Top-Ten-Platz in der Allzeit-Ablösetabelle der Premier League. Unter seinem erst kurzen Vorsitz hat der Klub mehr Geld in frisches Personal gesteckt als zum Beispiel das seit einigen Jahren weit über den eigenen Verhältnissen wirtschaftende Gründungsmitglied Everton in drei Jahrzehnten. Auch die Traditionsklubs West Ham, Aston Villa und Newcastle liegen nur weniger als 200 Millionen vor ihm.  

Die Einkäufe bescherten Chelsea ein Mammutaufgebot, einen XXXL-Kader. Er ist mit seinen 44 Kadermitgliedern (inklusive Felix) so groß, dass der – ebenfalls für zehn Millionen bei Leicester City ausgelöste – neue Trainer Enzo Maresca jeden Wettbewerb (Premier League, League Cup, FA Cup, Conference League) quasi mit einer eigenen Mannschaft bestreiten könnte. Zur Übersicht reihte die BBC neulich alle Spieler nach Positionen auf dem Platz auf: Es gibt sieben Innenverteidiger, sieben zentrale Mittelfeldspieler und sechs Mittelstürmer – und sechs Torhüter. Bis auf den nur doppelt besetzten Linksverteidiger ist jede Position mindestens dreifach abgedeckt. Auch fünf Coaches hat Todd Boehly in seiner Amtszeit ausprobiert – wobei in den Londoner Pubs gewitzelt wird, ob es angesichts der hohen Spielerzahl nicht notwendig wäre, auch mehrere Cheftrainer auf einmal zu engagieren.

Stringent wirkt bei den Spielerkäufen von Todd Boehly nur das Alter

Das einzig stringente Merkmal bei Chelseas Einkäufen ist das Alter. Nur noch ein Feldspieler ist über 30 Jahre alt, der unerwünschte und zuletzt mehrmals verliehene Stürmer Romelu Lukaku. Gleichfalls stehen Raheem Sterling und Ben Chilwell auf der Abgabeliste. Findet sich für sie ein Abnehmer, wäre der älteste Profi dann der 26-jährige Abwehrspieler Axel Disasi. Die Idee hinter dem Vollumbruch ist es, die früher gewaltigen Gesamtgehaltskosten der Abramowitsch-Ära zu senken.

Wie aus den Klubbilanzen hervorgeht, belief sich der Betrag 2023 auf über 400 Millionen Pfund, wovon der Großteil auf die Profimannschaft zurückfiel; das Sportmagazin Athletic berichtet nun davon, dass die Löhne um 100 Millionen gekürzt werden konnten. Chelsea generierte bei den abgebenden Spielern ungefähr eine halbe Milliarde, womit der Klub bisher im Rahmen der Liga-Finanzregeln blieb. Denn die Erlöse lassen sich sofort in die Gewinn- und Verlustrechnung einbuchen, während die Transferausgaben über die Vertragslaufzeit sukzessive abgeschrieben werden.

Als es aufwärts ging, überwarf sich die Klubführung mit Pochettino

Boehlys Strategie schien zum Ende der Vorsaison sogar eine Perspektive zu bekommen. Nach einiger Einarbeitungszeit gelang es dem damaligen Trainer Mauricio Pochettino, aus der Ansammlung an talentierten Profis eine Mannschaft zu formen. Mit einem bemerkenswerten Endspurt von fünf Heimsiegen am Stück und nur einer Niederlage in fünfzehn Ligaspielen – einem 0:5 beim Zweiten Arsenal – arbeitete sich das schon abgeschlagene Chelsea auf den sechsten Platz vor. Doch die Klubführung überwarf sich mit dem im Team hochangesehenen Pochettino. Angeblich waren sich beide Seiten auch über die Kompetenzen bei der zukünftigen Kaderausrichtung uneinig.

Den Ton gibt nun wieder ungeniert Todd Boehly an. Der neue Coach Maresca hält sich bisher zurück – aber es ist davon auszugehen, dass auch er froh sein wird, wenn das Transferfenster in anderthalb Wochen schließt.

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