Liverpool verliert erneut
Arne Slot tritt ein Luftloch
05. Okt. 2025, 13:08 Uhr

Der FC Liverpool kassiert innerhalb einer Woche die dritte Niederlage in Serie. Das 1:2 beim FC Chelsea offenbart strukturelle Defizite auf den Außenpositionen im teuer eingekauften Wunschteam von Arne Slot. Auch Florian Wirtz kommt erneut kaum zur Geltung – was ihm einen spöttischen Spitznamen einbringt.
Als der vierte Offizielle sieben Minuten Nachspielzeit anzeigte, stürmte Arne Slot wütend auf ihn zu. Die Zahl seiner Diskussionen mit Referees hat in dieser Saison merklich zugenommen, immer wieder missfallen dem Trainer des FC Liverpool Entscheidungen. Auch am Samstagabend im Premier-League-Topspiel beim FC Chelsea suchte Slot wiederholt und offensichtlich unsachlich den Austausch mit dem Schiedsrichtergespann. Wie sein Gegenüber Enzo Maresca wurde auch er dafür mit der gelben Karte verwarnt. Dabei ging es ihm diesmal nicht um zu wenig, sondern um zu viel Nachspielzeit. Zwar hätte seine Mannschaft beim Stand von 1:1 noch einen Siegtreffer benötigt, doch der Niederländer wollte lieber nicht verlieren, als das Spiel gewinnen. Chelsea drängte auf das 2:1 – und erzielte es schließlich: Estêvão traf in der fünften Minute der Nachspielzeit. Die Bedeutung dieses späten Siegtreffers für Chelsea spiegelten die Reaktionen der beiden Trainer: Maresca rannte die Seitenlinie entlang, um den erstmals für den Verein erfolgreichen 18-jährigen Brasilianer zu feiern, und nahm für seinen übertriebenen Jubel samt Verlassen der Coaching Zone – ausnahmsweise klaglos – die fällige gelb-rote Karte in Kauf. Slot hingegen trat frustriert ein Luftloch.
Zum ersten Mal in seiner Karriere als Cheftrainer hat der 47-Jährige drei Pflichtspiele in Serie verloren, weder bei AZ Alkmaar noch bei Feyenoord Rotterdam war ihm das zuvor widerfahren. Nun also mit dem LFC, den er vor einem Jahr von Jürgen Klopp übernahm, auf Anhieb zur Meisterschaft führte und anschließend mit Neuzugängen im Gegenwert von rund einer halben Milliarde Euro zum vermeintlichen Wunschteam umbaute. Liverpools Pleitenwoche – zunächst ein 1:2 in der Liga bei Crystal Palace, dann ein 0:1 bei Galatasaray Istanbul in der Champions League – kostete die Tabellenführung. Der FC Arsenal setzte sich durch ein ungefährdetes 2:0 gegen West Ham United (Tore: Declan Rice/38. Minute und Bukayo Saka/Elfmeter, 67.) an die Spitze. Der Rückschlag nach zuvor sieben Siegen am Stück verlangt nun eine durchdachte Reaktion von Slot. Nach dem teuersten Transfersommer der Fußballgeschichte wird im Vereinsumfeld insgeheim zumindest die Titelverteidigung erwartet – nicht zuletzt aus wirtschaftlichen Gründen.
Um diesen Anspruch zu erfüllen, ist im Vergleich zum Vorjahr wohl eine bessere Dosierung der Belastung nötig. Daran arbeitet Arne Slot bereits: Er versucht, Einsatzzeiten gezielt zu steuern und Schlüsselspieler im dichten Terminkalender zu entlasten. Dabei überrascht er mit unkonventionellen Maßnahmen: Gegen Crystal Palace passte er die eigene Struktur im Ballbesitz dem Gegner an; in Istanbul verzichtete er auf Mohamed Salah in der Startelf; und an der Stamford Bridge stellte er so umfassend um, dass am Spielende nur drei von zehn Feldspielern noch auf ihrer ursprünglichen Position spielten. Diese Art der Rotation ist für Slot neu – sie wurde ihm in früheren Stationen kaum abverlangt. Hinzu kommt der personelle Umbruch mit sieben Neuzugängen und zehn Abgängen, der bislang keine stabile Stammformation hervorgebracht hat. Grundsätzlich knüpft Arne Slot strukturell und personell an die Vorsaison an. Doch die Gegner haben sich darauf eingestellt, sie verteidigen entweder tief oder attackieren früh. Auch Chelsea kombinierte beide Ansätze.
Das legt ein zentrales Problem im Spiel der Reds offen: den Spielaufbau (unabhängig davon, ob er am eigenen Strafraum oder auf Höhe der Mittellinie beginnt). Liverpool greift traditionell über die Flügel an. Unter Klopp hatte sich ein klares Muster etabliert, auf das Slot zunächst ebenfalls setzte: rechts Trent Alexander-Arnold und Mohamed Salah, links Andrew Robertson und Luis Díaz. Zwei dieser vier Schlüsselspieler haben allerdings den Verein im Sommer verlassen. Der eigentlich ablösefreie Alexander-Arnold wechselte für zehn Millionen Euro frühzeitig zu Real Madrid, Díaz für 70 Millionen Euro zum FC Bayern. Robertson wurde zudem durch den für 47 Millionen Euro verpflichteten Milos Kerkez vom AFC Bournemouth aus der Startelf verdrängt. Verblieben ist nur noch Salah, inzwischen 33.
Gerade der Torjäger scheint unter dem Abgang seines langjährigen Partners Alexander-Arnold besonders zu leiden. Acht Jahre bildeten die beiden ein eingespieltes Duo. In der letzten Saison erzielte Salah 27 Tore in 29 Premier-League-Matches – bis sich Alexander-Arnold im März am Knöchel verletzte. Seither gelangen ihm in der Liga nur noch vier Tore: zwei davon am Saisonende mit Alexander-Arnold zurück auf dem Platz, ein weiteres in der neuen Spielzeit per Elfmeter. Salas Bilanz erklärt sich durch das Fehlen der Automatismen – und durch die außergewöhnlichen Qualitäten von Alexander-Arnold als Rechtsverteidiger. Dessen Pässe und Flanken brachten Salah in Position und verschafften ihm Freiräume, da sich gegnerische Abwehrreihen auch auf den Engländer konzentrieren mussten.
Slot hat inzwischen vier Spieler als mögliche Nachfolger getestet: Nachwuchsmann Conor Bradley, den von Leverkusen geholten, aber verletzungsbedingt zurückgeworfenen Jeremie Frimpong sowie die aus dem Mittelfeld zurückgezogenen Curtis Jones und Dominik Szoboszlai. Letzterer half zuletzt zwei Mal in Folge in der Liga in der zweiten Halbzeit hinten aus, nachdem Slot den überforderten Bradley – gegen Chelsea auch noch gelb-rot gefährdet – zur Pause ausgewechselt hatte. Kein einziger Außenverteidiger Liverpools hat in der laufenden Premier-League-Saison eine Torbeteiligung vorzuweisen – Alexander-Arnold kam im Vorjahr auf zehn. Am ehesten gelingt es noch Szoboszlai, die Spielstärke seines Vorgängers zu ersetzen. Gegen Chelsea leitete er das zwischenzeitliche 1:1 durch Cody Gakpo ein (63.). Zuvor hatte Moisés Caicedo die Hausherren mit einem fulminanten Distanzschuss in Führung gebracht (14.). Defensiv bleibt Szoboszlai auf der ungewohnten Position allerdings anfällig – beim entscheidenden Gegentor durch Estêvão war er nicht unbeteiligt.
Durch den Qualitätsverlust auf den Außenbahnen ist Liverpool zunehmend gezwungen, durch das Zentrum anzugreifen. Dafür verpflichtete man Spielmacher Florian Wirtz für 135 Millionen Euro von Bayer Leverkusen. Er soll mit seiner Kreativität auch das Fehlen Alexander-Arnolds zumindest teilweise kompensieren. Doch viele Gegner – Chelsea besonders konsequent – schließen die Passwege in die Mitte. So fiel es Wirtz nach seiner Einwechslung zur zweiten Halbzeit erneut schwer, Akzente zu setzen. Immerhin: Mit einem feinen Hackentrick bereitete er die beste Chance von Salah vor, die dieser aber kläglich vergab. In England haftet Wirtz aktuell wegen seiner Statistik in der Premier League ein wenig der Spitzname „007“ an – 0 Tore, 0 Vorlagen, 7 Spiele.
Während des anstehenden Länderspielblocks bleibt Arne Slot nur die theoretische Arbeit am Setup seiner Mannschaft. Die Mehrzahl seiner Spieler reist zu ihren Nationalteams. Im Herbst stehen wegweisende Wochen an: In der Liga warten unter anderem Manchester United und Manchester City, in der Champions League Eintracht Frankfurt und Real Madrid. Dafür formulierte Arne Slot sein Ziel so: Künftig will er nicht mehr auf die Länge der Nachspielzeit angewiesen sein.
Europäische Renaissance zum 120. Jubiläum
Galatasaray meldet sich eindrucksvoll auf europäischer Bühne mit einem Sieg gegen den FC Liverpool zurück. Die Engländer unterschätzen den türkischen Meister und die frenetische Kulisse in Istanbul. Die Party nach dem Spiel rührt Ilkay Gündogan.
